Ein US-Gericht entschied gegen Nestlé und die weitere Privatisierung von Wasser. Das Urteil könnte zum Präzedenzfall werden.
Tobias Tscherrig für die Online-Zeitung INFOsperber
Das Berufungsgericht des US-Bundesstaates Michigan hat ein Urteil eines Bezirksrichters aufgehoben und Nestlé damit einen empfindlichen Schlag versetzt: Gemäss dem Urteil ist die kommerzielle Wasserabfüllung des Schweizer Nahrungsmittelkonzerns keine öffentliche Dienstleistung und gehört nicht zur öffentlichen Wasserversorgung.
Aufgrund des Urteils darf Nestlé in der US-Gemeinde Osceola keine Wasserpumpstation bauen, die der Konzern gebraucht hätte, um grössere Wassermengen zu fördern. Das letzte Wort scheint aber noch nicht gesprochen: Gemäss US-Medien denkt Nestlé über weitere rechtliche Schritte nach. Nichtsdestotrotz gilt der Richterspruch bei Gegnerinnen und Gegnern der Wasserprivatisierung bereits heute als Meilenstein. Entsprechend erhielt er internationale Beachtung. Nur nicht in der Schweiz, wo sich der Hauptsitz des weltgrössten Nahrungsmittelkonzerns befindet.
Nestlé verklagt Gemeinde und will öffentlicher Dienstleister sein
Im Jahr 2017 wollte Nestlé in der Gemeinde Osceola eine Pumpstation bauen, um für die Marke «Ice Mountain» grössere Wassermengen zu gewinnen. Konkret wollte der Konzern die Wassermenge aus einem umstrittenen Bohrloch in Evart von etwa 250 Gallonen pro Minute auf 400 Gallonen pro Minute erhöhen (von 950 auf über 1500 Liter pro Minute). Gemäss «Guardian» hätte eine Pumpe auf einem Campingplatz für Kinder gebaut werden müssen, um die erhöhte Last über ein Rohrsystem zu transportieren.
Die Gemeinde lehnte das Bauvorhaben 2017 aufgrund ihrer Zonengesetze ab. Mit der Begründung, bei der Pumpstation handele es sich um eine öffentliche Dienstleistung, verklagte Nestlé die Gemeinde. Ein Bezirksrichter gab dem Schweizer Nahrungsmittelkonzern schliesslich Recht. Er urteilte, dass der Bau der Pumpstation legal sei, weil Wasser für das Leben unerlässlich und das Abfüllen von Wasser ein «wesentlicher öffentlicher Dienst» sei, der eine wichtige Nachfrage bediene – weswegen das Bauvorhaben der Pumpstation über dem Zonenreglement der Gemeinde stehe.
Nestlé-Pumpstation ist «keine öffentliche Wasserversorgung»
Das Berufungsgericht von Michigan hob diese Entscheidung jetzt wieder auf. Die Berufungsrichter bestätigten zwar, dass Wasser lebenswichtig sei. Allerdings müsse auch der Kontext berücksichtigt werden, in dem Wasser verkauft werde. Die Vermarktung von abgefülltem Wasser in einem Gebiet, in dem Leitungswasser verfügbar ist, sei nicht zwingend erforderlich. «Die Schlussfolgerung des Bezirksgerichts, dass die kommerzielle Wasserabfüllung (von Nestlé) ein ‚wesentlicher öffentlicher Dienst‘ ist, ist eindeutig falsch», schrieben die Richter. «Ausser in Gebieten mit keiner anderen Wasserquelle, ist abgefülltes Wasser nicht unbedingt notwendig.»
Das Gericht stellte fest, dass zu den Infrastrukturen, die wesentliche öffentliche Dienstleistungen erbringen, Elektrizitätswerke, Abwasseranlagen oder andere ähnliche Einrichtungen gehören. Die Pumpstation von Nestlé passe nicht in diese Kategorie.
Die Richter wiesen auch das Argument von Nestlé ab, wonach es sich bei der Pumpstation um eine «öffentliche Wasserversorgung» handle. So sei im Gesetz des Bundesstaates Michigan klar geregelt, dass öffentliche Wasserversorgungen «durch Leitungen an einen Ort transportiert» werden, während «nicht essentielles Wasser» in Flaschen abgefüllt werde. «Wir kommen zum Schluss, dass die von Nestlé vorgeschlagene Druckerhöhungsanlage «keine öffentliche Wasserversorgung» nach dem Gesetz von Michigan ist, schrieb das Gericht.
William Fahey, der Anwalt der Gemeinde Osceola, sagte dem «Guardian», es sei klar, dass Nestlés Abfüllbetrieb «einen kommerziellen Zweck» erfülle und die Pumpe durch die Zonenrichtlinien der Gemeinde verboten sei. Er sagte, Nestlé könne sich nun an das Oberste Gericht von Michigan wenden oder versuchen, die Pumpe an einem anderen Ort im Township zu bauen.
Präzedenzfall im Kampf gegen Wasserprivatisierung
Mit dem Urteil schob das Berufungsgericht von Michigan der weiteren Wasserprivatisierung durch Konzerne – zumindest vorerst – einen Riegel. Deswegen fand der Richterspruch international Beachtung: Gegnerinnen und Gegner der Wasserprivatisierung sehen darin einen Präzedenzfall, der sich zum Massstab im Kampf gegen die weitere Privatisierung von Wasser entwickeln könnte. Wie der «Guardian» schreibt, könnte das Urteil auch die staatlichen Umweltbehörden dazu veranlassen, die Genehmigungen zu überdenken, die es Nestlé ermöglichen, Wasser in Michigan zu pumpen.
So habe Nestlé zum Beispiel in der Vergangenheit eine staatliche Bewilligung erhalten, die Fördermenge auf 400 Gallonen pro Minute zu erhöhen. Das zuständige «Michigan Department of Environment, Great Lakes and Energy» (EGLE) habe die Genehmigung teilweise erteilt, weil es festgestellt habe, dass Nestlé einen wesentlichen öffentlichen Dienst erbringe und den lokalen Grundwasserpegel nicht beschädige.
«Grosser Sieg für Öffentlichkeit»
Nestlé gibt sich mit dem Urteil des Berufungsgerichts aber nicht zufrieden. Der Nahrungsmittelkonzern besteht gemäss Medienberichten darauf, dass der Bau der Pumpstation nicht gegen die Landnutzungsrechte der Gemeinde Osceola verstossen hätte. Gegenüber der «Detroit Free Press» sagte die Nestlé-Managerin für natürliche Ressourcen, Arlene Anderson-Vincent, Nestlé werde weitere rechtliche Schritte prüfen.
Trotzdem spricht Rechtsanwalt Jim Olson, der zwar nicht in den vorliegenden Fall involviert war, aber bereits in der Vergangenheit vor Gericht gegen Nestlé gekämpft hatte, im «Guardian» von einem «grossen Sieg» für die Öffentlichkeit. Fälle wie derjenige von Osceola würden zeigen, «wie weit private Wasseranbieter wie Nestlé gehen, um das uneingeschränkt der Allgemeinheit gehörende Wasser, die öffentliche Wasserversorgung und auch das Land der Gemeinden, die betroffen sind, zu privatisieren.» Das Wasser gehöre aber dem Staat und der Öffentlichkeit, der Verkauf von Wasser sei dagegen ein privates Geschäft. Die Behauptung, der Schweizer Nahrungsmittelkonzern sei ein öffentliches Unternehmen, sei «lächerlich».
Und Umweltanwalt Ross Hammersley sagte im «Guardian», dass das Urteil, wonach die Wasserentnahmen durch Nestlé keine öffentlichen Dienstleistungen seien, ihm bei seinen eigenen Fällen helfen könnte.