Die größten Waffenschmieden in den USA und Westeuropa, darunter deutsche Konzerne, haben ihren ohnehin dominanten Anteil an der globalen Rüstungsproduktion noch weiter gesteigert. Dies geht aus einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI hervor.
SIPRI hat den Absatz der 100 größten Rüstungsfirmen weltweit analysiert und kommt zu dem Schluss, dass 83 Prozent ihres Ausstoßes von 70 Unternehmen stammen, die ihren Sitz in Ländern der selbsternannten westlichen Wertegemeinschaft haben. Während der Gesamtabsatz der Top 100-Rüstungskonzerne um 4,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist, nahm derjenige der US-amerikanischen und westeuropäischen unter ihnen um rund 5,2 Prozent zu. Aktuell weitet sich die Produktion von Kriegsgerät auch in Deutschland massiv aus. So konnte die Rüstungssparte des Düsseldorfer Rheinmetall-Konzerns ihren Umsatz in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 11,8 Prozent steigern. Die Erhöhung des Wehretats verheißt Milliardengeschäfte. Auch die deutschen Rüstungsexporte nehmen dramatisch zu.
83 Prozent
Die Rüstungsverkäufe der 100 größten Waffenschmieden der Welt haben im vergangenen Jahr um 4,6 Prozent zugenommen und ein Gesamtvolumen von 420 Milliarden US-Dollar erreicht. Dies berichtet das Stockholmer Forschungsinstitut SIPRI in einer gestern vorgelegten Analyse.[1] Ausgenommen sind Unternehmen aus China, für die SIPRI nicht über genügend Firmendaten verfügt; SIPRI schätzt die Zahl der chinesischen Rüstungsfirmen, die zu den größten 100 weltweit zählen dürften, auf zehn. Von den Top 100-Rüstungsfirmen haben 70 ihren Sitz in den USA oder in Europa (außer Russland und der Türkei); auf sie gehen 83 Prozent der Rüstungsproduktion der Top 100-Waffenschmieden der Welt zurück. Damit stehen allein die Spitzenkonzerne der westlichen Rüstungsgemeinschaft für die Herstellung von Kriegsgerät im Wert von 348 Milliarden US-Dollar im Jahr 2018 – mehr als die gesamte Wirtschaftsleistung Dänemarks. Die 27 Firmen aus Europa (außer Russland und der Türkei) unter den globalen Top 100 der Branche stellten Rüstungsgüter im Wert von 102 Milliarden US-Dollar her, 0,7 Prozent mehr als noch 2017. Die Produktion der zehn russischen Top 100-Unternehmen dagegen nahm um 0,4 Prozent ab. Ihr Anteil am gesamten Top 100-Rüstungsausstoß liegt nun bei 8,6 Prozent – ein Zehntel des transatlantischen Betrags.
Zyklische Schwankungen
Zwar verzeichnet der SIPRI-Bericht für die deutschen Unternehmen unter den 100 größten Waffenschmieden der Welt einen Verkaufsrückgang von 3,8 Prozent im Jahr 2018. Dieser beruht allerdings weitgehend auf einem starken Einbruch beim Kriegsschiffbauer ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS), dessen Absatz von 2,05 Milliarden US-Dollar (2017) auf 1,65 Milliarden US-Dollar (2018) sank. SIPRI weist darauf hin, dass solche Schwankungen für die Marineindustrie charakteristisch sind; dies liegt an den langen Produktionszyklen für die außergewöhnlich teuren Kriegsschiffe. Tatsächlich hat TKMS inzwischen Neuaufträge erhalten, die attraktive Gewinne verheißen; so ist der Konzern an der Herstellung von fünf Korvetten für die deutsche Marine beteiligt (Volumen inklusive Waffensysteme: 2,5 Milliarden Euro) und wird gemeinsam mit der brasilianischen Embraer vier Korvetten für Brasiliens Marine bauen – dies für einen Preis von 1,6 Milliarden US-Dollar. Auch die Verkäufe sind bei TKMS mittlerweile wieder gestiegen; allein in den ersten neun Monaten 2019 erreichten sie 1,31 Milliarden Euro. TKMS hat Investitionen in Höhe von 250 Millionen Euro angekündigt: Man wolle, heißt es, „Europas modernstes Marineunternehmen werden“.[2]
Auf Wachstumskurs
Andere Rüstungskonzerne mit Sitz in Deutschland konnten ihre Verkäufe bereits im vergangenen Jahr deutlich steigern. Dies gilt neben dem auf einem starken deutschen Anteil fußenden Airbus-Konzern (Platz 7 weltweit auf der SIPRI-Rangliste), dessen Absatz im Jahr 2018 um neun Prozent wuchs, exemplarisch für den deutschen Branchenprimus Rheinmetall. Die Düsseldorfer Waffenschmiede konnte ihren Rüstungsabsatz laut Berechnungen von SIPRI schon 2018 von 3,65 Milliarden US-Dollar im Vorjahr um 4,1 Prozent auf 3,8 Milliarden US-Dollar steigern und damit von Platz 26 auf Platz 22 der SIPRI-Weltrangliste vorrücken. Auch in diesem Jahr setzt die Rüstungssparte des Unternehmens ihr Wachstum fort. Bereits in den ersten neun Monaten 2019 konnte sie ihren Umsatz um 11,8 Prozent steigern; dabei gelang es, das operative Ergebnis fast zu verdoppeln – auf 134 Millionen Euro.[3] Auch der Auftragsbestand wächst rasch. Im November teilte Rheinmetall mit, man habe gemeinsam mit Krauss-Maffei Wegmann (KMW) einen Auftrag zum Bau von 500 Radpanzern des Typs Boxer für die britischen Streitkräfte erhalten; der Wert des Vorhabens belaufe sich auf 2,6 Milliarden Euro.[4]
Rüsten, rüsten, rüsten
Dabei stehen der deutschen Rüstungsindustrie ohnehin goldene Zeiten bevor. „Wir profitieren vom Nachholbedarf in der militärischen Beschaffung vieler Länder und von steigenden Budgets, insbesondere auch in Deutschland“, wird Rheinmetall-Vorstandschef Armin Papperger zitiert.[5] Der deutsche Wehretat hat in diesem Jahr erstmals real – unter Einbeziehung von Mitteln, die im Haushalt vermeintlich ziviler Ministerien versteckt sind – die Schwelle von 50 Milliarden Euro überschritten und soll massiv weiter steigen (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Hinzu kommt, dass auch die anderen NATO-Staaten in raschem Tempo rüsten. Laut Angaben von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg werden durch die beschleunigte Militarisierung allein bis 2020 rund 130 Milliarden US-Dollar über die ursprünglichen Planungen hinaus für die Streitkräfte bereitgestellt; bis 2024 soll der Betrag – aufsummiert – 400 Milliarden US-Dollar erreichen. Auf signifikante Teile davon hofft auch die deutsche Rüstungsindustrie. Hohe Summen werden darüber hinaus spezifische EU-Rüstungsvorhaben in die Kassen deutscher Waffenschmieden spülen. So gehen Experten beispielsweise davon aus, dass alleine der geplante deutsch-französische Kampfjet Kosten von bis zu 100 Milliarden Euro verursachen wird.[7]
Rekord-Waffenexporte
Bereits jetzt massiv im Anstieg begriffen sind auch die deutschen Rüstungsexporte. Wie im November bekannt wurde, hat die Bundesregierung von Januar bis Oktober 2019 Exporte von Kriegsgerät im Wert von gut 7,4 Milliarden Euro genehmigt und damit bereits fast so viel wie im bisherigen Rekordjahr 2015 insgesamt, in dem Rüstungsexporte im Wert von rund 7,9 Milliarden Euro die Zustimmung der Bundesregierung erhielten. Dabei profitieren deutsche Waffenschmieden stark von der Aufrüstung in der NATO. So nahm der Wert der genehmigten Lieferungen in NATO- und der NATO gleichgestellte Länder von 1,03 Milliarden Euro im Vergleichszeitraum 2018 auf rund 3,21 Milliarden Euro in den ersten zehn Monaten 2019 zu. Allein Ungarn erhielt Genehmigungen für den Import deutschen Kriegsgeräts im Wert von 1,76 Milliarden Euro; dabei handelt es sich vor allem um Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 sowie Panzerhaubitzen 2000. Auf Platz zwei unter den Empfängern deutschen Kriegsgeräts liegt Ägypten (800 Millionen Euro), auf Platz 6 die Vereinigten Arabischen Emirate (200 Millionen Euro). Den in Kairo seit ihrem Putsch vom Juli 2013 brutal herrschenden Militärs werden gravierende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, darunter Masseninhaftierungen von Regierungsgegnern und das Verschwindenlassen von mittlerweile mehr als 1.500 Personen.[8] Die Vereinigten Arabischen Emirate und ihre lokalen Verbündeten wiederum nutzen Waffen und anderes Kriegsgerät, das deutsche Unternehmen nach Abu Dhabi geliefert haben, nicht zuletzt für ihre berüchtigten Kriege in Libyen und im Jemen (german-foreign-policy.com berichtete [9]).
[1] The SIPRI Top 100 Arms-Producing and Military Services Companies, 2018. SIPRI Fact Sheet. December 2019.
[2] ThyssenKrupp to invest $279 million at shipbuilding division. reuters.com.
[3] Quartalsfinanzbericht zum 30. September 2019. ir.rheinmetall.com.
[4] Großbritannien bestellt über 500 Boxer im Wert von 2,6 MrdEUR. rheinmetall.com 08.11.2019.
[5] Quartalsfinanzbericht zum 30. September 2019. ir.rheinmetall.com.
[6] S. dazu Minimalkonsens Aufrüstung.
[7] S. dazu Führungskampf in der EU-Rüstungsindustrie.
[8] S. dazu Mubarak 2.0 (II).
[9] S. dazu Die Schlacht um Al Hudaydah (II) und Arabische Waffenbrüder.