Eine historische Aufarbeitung der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zeigt, wie nazifreundlich sich die Schweiz damals verhalten hat und wie paranoid gegenüber der Sowjetunion. Die Geschichte hat Spuren hinterlassen, die bis in die Gegenwart reichen: Die antirussische Politik hält bis heute an.

„Das war das größte weltpolitische Ereignis seit dem Weltkrieg.“ Mit diesen Worten beschrieb Giuseppe Motta Hitlers Einmarsch in Österreich im März 1938. Motta war Außenminister der Schweiz und in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg ein prägender Kopf der Außenpolitik — einer Außenpolitik wohlgemerkt, welche vielen Schweizern Angst machte. So auch dem Journalisten Harry Gmür.

Der politische Kurs, den Motta vor Beginn des kolossalen Gemetzels anvisierte, war 1939 für den 31-jährigen Gmür Grund genug, sich journalistisch ganz dem Kampf gegen den Faschismus zu widmen. Gmür stammte aus einer großbürgerlichen Familie und hatte sich als scharfer Beobachter seiner Zeit in den Dreißigerjahren bereits einen Namen als Journalist und Agitator innerhalb der Linken gemacht.

In der von ihm herausgegebenen und mitfinanzierten Wochenzeitung ABC schrieb der studierte Historiker und Germanist Gmür 1937/1938 gegen Faschismus, Antisemitismus sowie auch gegen die Komplizenschaft der Schweizer Regierung und Wirtschaftselite an, die den Achsenmächten nahestand. Die Zeitung, die in Deutschland bereits im Juli 1937 von den Nazis verboten wurde, genoss auch über die linken Kreise hinaus Prestige und galt geradezu als ein Leuchtturm des kritischen und engagierten Journalismus. Zu den regelmäßigen Autoren gehörten Josef Halperin, Theo Pinkus, Charles Ferdinand Vaucher, Friedrich Glauser und Annemarie Schwarzenbach.

Bundesanwaltschaft beschlagnahmte Zeitung

Aufgrund personeller und finanzieller Schwierigkeiten musste das ABC jedoch bereits im März 1938 nach nur 55 Ausgaben eingestellt werden. Entscheidend an der „Beerdigung“ des ABC hatte zuletzt die Bundesanwaltschaft mitgewirkt. Im März 1938 beschlagnahmte sie eine bereits gedruckte Auflage von 1145 Stück, weil sie Wind von einem Plakat erhalten hatte, mit dem die Wochenzeitung auf sich aufmerksam machen wollte. Auf diesem war ein mit roter Farbe durchgekreuzter Nazi zu sehen, der Flugblätter verteilte. Darunter war zu lesen: „Der Schweizer liest die freie demokratische Wochenzeitung ABC.“ Begründet wurde die Beschlagnahmung des Plakates mit den „völkerrechtlichen Beziehungen“, welche die Schweiz damit gefährden würden. Gemeint waren die Beziehungen zu den Achsenmächten.

„Patriotisches Großkapital“ — ein scharfes Pamphlet

Aus der Empörung heraus griff Gmür, den die Behörden als gefährlichen Dissidenten einstuften, sodann im Sommer 1939 zur Feder und verfasste das informationsreiche rund 90-seitige Pamphlet: „Patriotisches Großkapital — anderthalb Jahre schweizerische Außenpolitik“.

Verbreitung fand die Streitschrift keine, einen Verlag suchte Gmür vergeblich. Die Unterdrückung der Schrift dürfte einen einfachen Grund gehabt haben: Sie deckte in einer Episode, die von Pressezensur und Angst gekennzeichnet war, die Beziehungen der Schweizer Machtelite zu Franco-Spanien, Mussolini-Italien und Hitler-Deutschland schonungslos und akribisch auf. Während linke Literatur durch die Behörden unterdrückt und beschlagnahmt wurde, tat der Bundesrat in den Monaten vor Beginn des Zweiten Weltkrieges wenig, um gegen die nationalsozialistische Propaganda, welche auch die Schweiz flutete, vorzugehen.

Zeitungen, welche „durch besonders schwere Ausschreitungen die guten Beziehungen der Schweiz zu anderen Staaten“ gefährden konnten, wurden mit Verwarnungen und vorübergehenden Verboten belegt. Im Oktober 1938 verbot der Bundesrat zum Beispiel die antifaschistische welsche Zeitung „Journal des Nations“. Radikale Kritik am Faschismus und Nazismus sollte möglichst marginalisiert werden. Im Dezember 1938 erweiterte der Bundesrat die Pressezensur — endgültige Verbote für Zeitungen wurden nun in Betracht gezogen.

Faschismus auf dem Vormarsch

Während hierzulande ein unerbittlicher Kampf gegen die Presse und insbesondere auch gegen die Linken geführt wurde, breitete sich der Faschismus auf dem europäischen Kontinent wie ein Krebsgeschwür aus. In Spanien tobte ein blutiger internationaler Konflikt, die nationalistischen Anhänger von Francisco Franco wurden durch die beiden faschistischen Mächte Deutschland und Italien unterstützt. Im März 1938 marschierte Hitler in Österreich ein, der „Anschluss“ war perfekt.

Es folgte die Konferenz in München Ende September 1938, welche die Annexion des Sudentenlandes beschloss; und nur wenige Wochen später wurde die geheime Anordnung für die Besetzung der restlichen Tschechoslowakei Realität. Spätestens mit der „Kristallnacht“ vom 9. November 1938 und der systematischen Judenverfolgung war klar, welche Intentionen der Nationalsozialismus hegte.

Der Bundesrat näherte sich mehr und mehr den faschistischen Achsenmächten an; in den Augen Gmürs ein Grauen. Zwei Monate nach der Annexion Österreichs befreite sich die Schweiz am 14. Mai 1938 als Mitglied des Völkerbundes von der Pflicht, Wirtschaftssanktionen gegenüber künftig Krieg führenden Nationen wie dem Deutschen Reich oder Italien mittragen zu müssen.

Gmür schrieb:

„Dem Vorwurf, die Schweiz habe durch ihren Abfall von der Kollektivsicherheit die Geschäfte der faschistischen Kriegstreiber besorgt, wird demnach die Berechtigung nicht abzusprechen sein.“

Beweihräucherung des Münchner-Abkommens

Spiritus rector hinter dieser Politik war der Tessiner Außenminister Motta, der als strenger Antikommunist im Nationalsozialismus und Faschismus eine effiziente Abwehr gegen den Sowjet-Bolschewismus zu erkennen glaubte. Insbesondere die Position, die Motta sowie auch der Schweizer Gesandte in Berlin, Hans Frölicher, zum Münchner Abkommen und der Annexion des Sudetenlandes einnahmen, tadelte Gmür aufs schärfste.

An einer Rede in München sprach Frölicher im Oktober 1938 positiv über Hitlers Annexion des Sudetenlandes. Für den scharfsinnigen politischen Beobachter Gmür bedeutete das: Frölicher war der Goebbels-Propaganda auf den Leim gekrochen. Er schrieb:

„Es ist zwar richtig, dass die deutschen Machthaber 1938 in der Hauptsache Gebiete annektierten, in denen ein starker Prozentsatz den Anschluss wünschte. Bei Österreich ist aber zumindest fraglich, ob bei freier Abstimmung sich eine Mehrheit für den Anschluss gefunden hätte.“

Frölichers Lobrede war nicht etwa ein Aussetzer, der vom Bundesrat desavouiert wurde. Im Gegenteil. Der Bundesrat verteidigte den Gesandten in Berlin. Bundesrat Motta war gar entrüstet, dass Frölicher für sein Auftreten in der Presse so arg kritisiert wurde. Was Gmür lakonisch kommentierte:

„Dadurch ist die Rede Frölichers zu einem Skandal geworden, den das ganze Regime zu verantworten hat.“

Tränen des Bundesrates

Noch einen Schritt weiter bei der faschismusaffinen Interpretation der geopolitischen Lage ging Bundesrat Motta selbst, wie Gmür schrieb. Zur Eröffnung der Mustermesse in Lugano im November 1938 heroisierte der Schweizer Magistrat das Münchner-Abkommen regelrecht:

„Wem wären nicht die Tränen in die Augen getreten, als er den epischen Flug von Neville Chamberlain nach Berchtesgarden, nach Godesberg und nach München verfolgte? Dieser edle Greis war in Wahrheit der fliegende Bote des Friedens, ein unvergänglicher Ruhm seines Landes und eine gemeinsame Ehre aller Völker, die sich vor seiner moralischen Größe verneigen.“

Natürlich durften auch Lobhudeleien auf den Diktator Mussolini, der ebenfalls zu Gast war, nicht ausbleiben. Diese devote Haltung gegenüber den faschistischen Machthabern Europas brachte Gmür knackig auf den Punkt:

„Dass er (Motta) sich vorbehaltlos in die Reihe jener Hosianna-Schreier stellte, die die Weltmeinung durch eine Verdrehung der Tatsachen um 180 Grad irrezuführen und für neue Kapitulationen reif zu machen sich mühten, bleibt … ein unentschuldbares Verbrechen gegen unser Land.“

Ungleiche Behandlung

Am deutlichsten zeigte sich die selektive politische Wahrnehmung Mottas am Beispiel Russlands. Einerseits glorifizierte der Außenminister ständig die angebliche Neutralität der Schweiz, andererseits diffamierte er bei jeder Gelegenheit die Sowjetunion. Der Außenminister war auch davon überzeugt, dass Lenin persönlich für den Generalstreik 1918 in der Schweiz verantwortlich war.

Ein Jahr nach Ausbruch der bolschewistischen Revolution hatte die Schweiz im Herbst 1918 die diplomatischen Beziehungen zu Moskau abgebrochen. Im April 1939 argumentierte die oberste Landesbehörde, dass diese auch weiterhin nicht aufgenommen werden könnten, da sich Moskau im Unterschied zu anderen Staaten in die inneren Angelegenheiten der Schweiz einmischen würde.

In der politischen Realität war es aber der verlängerte Arm Hitlers und Mussolinis, der bis tief in die helvetische Politik hineindrängte.

Gmür legte in seinem Pamphlet akribisch dar, wie 1938 und 1939 noch unzählige Nazi-Spione ungehindert und weitgehend ungestraft ihre Propaganda in der Schweiz verbreiten konnten.

Die Konsequenz dieser asymmetrischen Diplomatie bekam auch Gmür selbst zu spüren, führte sie doch innenpolitisch zur Unterdrückung jeglicher linker Stimmen und Bewegungen. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges trat das Vollmachtenregime in Kraft, welches der Regierung weitgehende Machtbefugnisse übertrug.

Im November 1940 verbot der Bundesrat die Kommunistische Partei der Schweiz (KPS). Gmür, der aufgrund seiner radikal antifaschistischen Haltung bereits Ende der Dreißigerjahre mit den Kommunisten zusammengearbeitet hatte, wurde 1942 aus der SP hinausgeworfen und agierte daraufhin in der Illegalität.

Unterstützung für Franco-Spanien

Hart ins Gericht ging Gmür in seiner Streitschrift mit der Politik der westlichen Demokratien und insbesondere der Schweiz gegenüber den Putschisten in Spanien. Gmür war sich sicher: Ohne deren Komplizenschaft mit Franco-Spanien hätte sich der Faschismus in Europa niemals ausbreiten können.

Besonders heftig kritisierte Gmür, dass die Schweiz als eines der ersten Länder am 14. Februar 1939 offiziell die diplomatischen Beziehungen mit Franco-Spanien aufnahm — und zwar schon zu einem Zeitpunkt, als Franco erst zwei Drittel des spanischen Territoriums unter seiner Kontrolle hatte. Und vor dem Hintergrund, dass die offizielle Schweiz verweigert hatte, die republikanische Regierung anzuerkennen.

Gmür nahm auch den Umgang der Behörden mit Spaniern hierzulande unter die Lupe: Den Anhängern des republikanischen Spaniens wurde das öffentliche Auftreten in der Schweiz untersagt, die Franco-Anhänger hingegen konnten unbehelligt und mit behördlicher Genehmigung an öffentlichen Anlässen Propaganda betreiben.

Diese ungleiche Behandlung bekamen auch die mutigen Schweizer Spanienkämpfer zu spüren, die bereit waren, gegen die Faschisten ihr Leben aufs Spiel zu setzen. 800 Schweizer hatten sich den Internationalen Brigaden angeschlossen. Mehrere Dutzend starben im Kampf gegen die Faschisten. Die Überlebenden wurden zuhause zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt und erst 2009 durch das Parlament rehabilitiert.

In keiner anderen Demokratie der Welt wurden die Spanienkämpfer so konsequent weggesperrt wie in der Schweiz. Umgekehrt kamen diejenigen Schweizer, die für Franco gekämpft hatten, wesentlich milder davon.

Für Gmür jedenfalls stand bereits 1939 fest: Die Schweizer Machteliten hatten im spanischen Bürgerkrieg gegen die Interessen der Republik gehandelt und somit „der Gewaltpolitik des faschistischen Kriegsblocks aus freier Willkür den Weg gebahnt“. Verantwortlich für diesen politischen Kurs war in seinen Augen — ebenso wie in der Deutschland- und Italienpolitik — die herrschende Klasse, welche die nationalen Belange zugunsten ihrer eigenen Kapitalinteressen, des patriotischen Großkapitals, opferte.

Die Welt von gestern — die Welt von heute

Die hier beschriebenen Ereignisse liegen mittlerweile 80 Jahre zurück. Aus heutiger Perspektive ist es einfach, sich über die Politik der herrschenden Klasse der Schweiz in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg und die damalige Pressezensur zu echauffieren. Die Welt ist eine andere. Die Frage aber stellt sich: Hat sich die Welt seither grundsätzlich zum Besseren verändert?

Einen Kampf gegen die Presse führen die Machteliten, ebenso wie vor 80 Jahren, auch heute. Man denke nur an den Fall Julian Assange. Die US-Machteliten tun alles, um den womöglich bedeutendsten Verleger des 21. Jahrhunderts zu töten. Sein Verbrechen? Er hat die Kriegsverbrechen des US-Imperiums aufgedeckt.

Die Mördermaschinerie der Nationalsozialisten ist Vergangenheit. Doch ist das alleine bereits ein Fortschritt? Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler, Mitglied des Beratenden Ausschusses des UNO-Menschenrechtsrates, sagt (1):

„Der Faschismus brauchte sechs Kriegsjahre, um 56 Millionen Menschen umzubringen, die heutige neoliberale Weltwirtschaftsordnung schafft das locker in gut einem Jahr.“

Die Namen und Gesichter der Machteliten haben sich verändert, doch gleichartige Machtstrukturen bestehen auch heute. Die Weltmacht USA, die über 800 Militärbasen auf dem ganzen Planeten verfügt und im Kampf um wirtschaftlichen und politischen Einfluss auch vor Regime Changes nicht zurückschreckt, hat mit ihren militärischen Interventionen seit 1945 zwischen 20 bis 30 Millionen Menschenleben auf dem Gewissen.

Und auch an faschistischen Strukturen herrscht kein Mangel. Man denke nur an den Aufstieg Jair Bolsonaros in Brasilien oder den Putsch, der gerade gegen den ersten indigenen Präsidenten Boliviens, Evo Morales, ausgeführt wurde.

Heute kuschen die politischen Eliten der Schweiz vor den USA

Kommen wir aber nochmals zurück auf die Schweiz. Die gegenwärtige Schweiz. 1938/39 drängte der verlängerte Arm Hitlers und Mussolinis bis tief in die helvetische Politik hinein. Heute ist die Eidgenossenschaft den Druckversuchen der USA ausgesetzt.

Ein anschauliches Beispiel hierfür ist ihr Umgang mit dem US-Whistleblower und einstigen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden, dem sie kein Asyl gewährte. Der Grund ist ein einfacher: Die Angst vor Repressalien seitens des US-Imperiums. Snowden hatte nach seiner folgenreichen Entscheidung, seinem ehemaligen Arbeitgeber den Rücken zu kehren und die Welt über die Totalüberwachung der US-Geheimdienste aufzuklären, in dutzenden Staaten politisches Asyl beantragt. Auch in der Schweiz.

Diese hatte zunächst ernsthaft erwogen, dem geschassten Paria sicheren Unterschlupf zu gewähren. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sie einem bekannten politischen Flüchtling Hilfe geleistet hätte. Thomas Mann, Rosa Luxemburg, Ernst Bloch, Michail Bakunin und Wladimir Lenin erhielten in der friedlichen Alpenrepublik Asyl.

Der Versuch scheiterte jedoch, nachdem die amerikanischen Machteliten Druck auf Bundesbern ausgeübt hatten. Die US-Botschafterin in Bern, Suzi LeVine, intervenierte am 19. September 2014 beim Bundesamt für Justiz. Daraufhin wurden die Überlegungen, ob und wie Snowden zu schützen wäre, aufgegeben. Die bereits geplanten Bestrebungen, ihn in der Schweiz zu befragen, wurden liegengelassen. Auch die Strafanzeige, welche die Bundesanwaltschaft zuvor wegen US-Spionage in der Schweiz eingereicht hatte, wurde ad acta gelegt.

Darüber schrieb die Schweizer Zeitung „Tages Anzeiger“ (2) im November 2016:

„Mit den Amerikanern will es sich der Bund nicht verscherzen. Die kleine Schweiz ist in Sicherheitsfragen vom großen Bruder jenseits des Atlantiks schwerstabhängig. Ihr Geheimdienst profitiert von der umfassenden US-Cyberspionage — die Nachbarländer tun dies ebenso.“

Formelle Neutralität hin oder her. Bei einem Snowden wird sie auf dem Altar realer Machtverhältnisse geopfert. Dafür gewährte Russland dem Geplagten und Gejagten Asyl.

Snowden hatte in insgesamt 27 Staaten Asyl beantragt (3). Die US-Machteliten schafften es jedoch mittels Einschüchterung und Drohung, dass kein einziger von diesen sich dazu bereit fand. Konkret waren es Joe Biden, der damalige US-Vizepräsident, und John Kerry, damaliger US-Außenminister, welche denjenigen Staaten mit unabsehbaren Konsequenzen drohten, die mit dem Gedanken spielten, Snowden aufzunehmen.

Auch die Schweiz trägt die Sanktionen gegen Russland mit

Ähnlich manifestiert sich die Vormachtstellung des US-Imperiums auch im Rahmen des Ukraine-Konfliktes, für dessen Ausbruch die USA mitverantwortlich sind und der gegenwärtig im Zusammenhang mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Donald Trumps wieder ins Zentrum der Weltöffentlichkeit gerückt ist. Auch hier ist es der Schweiz nicht gelungen, sich der Ukrainepolitik der US-Machteliten zu widersetzen.

Ebenso wie die EU-Staaten trägt sie die Sanktionen mit (4), welche die westlichen Staaten nach dem Krim-Referendum und dem Abschuss der Malaysia Airlines Flug 17 über der Ukraine 2014 gegen Russland verhängt haben. Eine neutrale Außenpolitik sieht anders aus.

Die Vasallenhaltung der europäischen Staaten inklusive der Schweiz ist insbesondere deshalb erstaunlich, da es den US-Machteliten im Februar 2014 gelang, den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zu stürzen und eine ihnen genehme Putschregierung an die Macht zu bringen, die aus Parteimitgliedern der rechtsradikalen, antisemitischen und russophoben Swoboda-Partei bestand (5).

Deren Absichten waren von Anfang an klar: NATO-Beitritt sowie eine engere militärische und ökonomische Zusammenarbeit mit dem Westen. George Friedman (6), US-Stratege und einstiger Vorsitzender von Stratfor, sprach von einem offensichtlichen Putsch, der in Kiew über die Bühne ging. Die Sanktionen erhoben die europäischen Länder allerdings nicht gegen die USA, sondern gegen Russland. Dies, nachdem die Bürger auf der Krim, die historisch und kulturell Russland nahe stehen, gegen die neuen Machthaber in Kiew zu rebellieren begonnen und sich für einen Anschluss an Russland ausgesprochen hatten. Der Krieg, der daraufhin begann, dauert bis heute an.

So sieht aktuell Machtpolitik aus. Die politische Elite in der Schweiz will es mit dem US-Imperium nicht verscherzen und es sich nicht zum Feind machen. Die Gefahr kann schließlich nur von Russland ausgehen. Genauso wie zu Zeiten Mottas, als die Schweiz den Kommunismus für alles Schlechte auf der Welt verantwortlich machte, marschiert die politische Elite der Schweiz heute mit den transatlantischen Herrschern dieser Welt mit, die hinter allen bösen Taten den verlängerten Arm Wladimir Putins sehen. Und das, obwohl die NATO mittlerweile bis an die Grenzen Russlands vorgerückt ist.

Zur Person Harry Gmür

Berthold Harry Gmür stammte aus einer großbürgerlichen Familie und wurde 1908 als ältestes von drei Kindern des Ehepaars Max und Clara Gmür-Fischer in Bern geboren. Sein Vater Max war einer der bekanntesten Juristen des Landes, Professor und Rechtshistoriker an der Universität Bern und deren Rektor. Zusammen mit Eugen Huber war er an der Ausarbeitung des Zivilgesetzbuches (ZGB) beteiligt. Harrys Mutter Clara war die Tochter eines reichen Kolonialwarenhändlers.

Ungewöhnlich und nicht dem Lebensstil seiner Herkunft entsprechend, heiratete er schon als 22-jähriger Germanistik- und Geschichtsstudent Genrietta Esther (auch Gena genannt), die Tochter jüdischer Eltern, welche wegen der Repressionen gegenüber Juden im Zarenreich Russlands 1908 staatenlos in die Schweiz übersiedelten. Schon im Laufe seiner Gymnasialzeit sah er seine eigene bürgerliche Welt mit zunehmend kritischeren Augen an und distanzierte sich von dieser mehr und mehr. Spätestens nach seiner Rückkehr in die Schweiz im Jahr 1933 nach Absolvierung seiner Studienjahre in mehreren europäischen Städten brach Gmür mit seiner eigenen Herkunftsklasse.

Er trat der Sozialdemokratischen Partei bei und wurde ebenfalls Mitglied der „Jungsozialistischen Bewegung“, die sich links von der Sozialdemokratie positionierte. Auch gehörte er ab 1934 dem Projekt „Plan der Arbeit“ an, welches die Überwindung des Kapitalismus inmitten der wirtschaftlichen und politischen Krisen der 1930er Jahre beabsichtigte. Das Projekt wurde vom Verband des Personals der öffentlichen Dienste (VPOD) unter dem damaligen geschäftsleitenden Sekretär Hans Oprecht lanciert. Von 1937 bis 1938 war er einer der Redakteure der antifaschistischen Wochenzeitschrift ABC, an deren Realisierung er mitbeteiligt war und die er mit seinem Erbe finanziell unterstützte.

Aufgrund seiner für die Sozialdemokratie zu radikalen Positionen wurde Gmür 1942 aus der Partei ausgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt gehörte er bereits mindestens zwei Jahre der damals verbotenen Kommunistischen Partei an. Als noch während des Zweiten Weltkriegs, 1944, in Zürich die Partei der Arbeit (PdA) gegründet wurde, gehörte Gmür zu den Gründervätern. Von 1944 bis 1949 war er der erste Präsident der Zürcher Sektion.

Gleichzeitig war er auf nationaler Ebene in der Parteileitung vertreten und einer der drei Vizepräsidenten. Für die PdA-Zeitung Vorwärts war er von 1944 bis 1947 als Chefredakteur tätig. Ab 1958 schrieb er bis zu seinem Tod 1979 unter dem Pseudonym Stefan Miller (zum Teil auch Gaston Renard und Mercator) für die bekannte DDR-Zeitschrift Weltbühne zahlreiche Berichte über Afrika und deren Entkolonialisierungsbestrebungen sowie über die rechtsfaschistischen Diktaturen in Europa.

Aus Angst vor Spionagevorwürfen enthielt er sich kritischer Beiträge über die Schweiz. 1968 erschien im Sinwel Verlag die Erzählung „Die weiße Hündin“. Nach seinem Tod wurden im Europa Verlag 2015 der Niederdorfroman „Am Stammtisch der Rebellen“ und 2016 der 1929 verfasste Jugendroman „Liebe und Tod in Leipzig“ veröffentlicht. 2009 erschien von Mario König und Markus Bürgi im Chronos Verlag die Biographie Gmürs: „Harry Gmür — Bürger, Kommunist, Journalist.“

Die Schweizer Geschichtsschreibung hat das Pamphlet von Harry Gmür ignoriert

Die aufdeckende Auseinandersetzung der Historiker mit den faschistischen und hitlerfreundlichen Bewegungen und Sympathien, auch der offiziellen Schweiz, hat nach dem Krieg mit großer Verzögerung eingesetzt. Auch die neue Bewertung dieser bedenklichen Vorkommnisse. Zu diesem Versäumnis gehört auch, dass das mutige und echtzeitlich verfasste Pamphlet von Gmür kaum berücksichtigt worden ist. Ein wichtiges Stück Schweizer Geschichte ist damit bis heute nicht genügend beleuchtet worden. Eine solche Schrift, die in einer der dunkelsten Episoden der Menschheitsgeschichte verfasst wurde, hat gebührende Aufmerksamkeit verdient.

Dieser Text ist leicht überarbeitet und erschien zuerst unter www.infosperber.ch und wurde von Rubikon unter Creative Commons-Lizenz 4.0 übrnommen.

Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.jungewelt.de/artikel/192298.für-die-völker-des-südens-hat-der-dritte-weltkrieg-längst-begonnen.html
(2) https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/schweizer-rueckzieher-im-fall-snowden/story/28546514
(3) https://www.youtube.com/watch?v=e9yK1QndJSM
(4) https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Aussenwirtschaftspolitik_Wirtschaftliche_Zusammenarbeit/Wirtschaftsbeziehungen/exportkontrollen-und-sanktionen/sanktionen-embargos/sanktionsmassnahmen/massnahmen-zur-vermeidung-der-umgehung-internationaler-sanktione.html
(5) Kees, Van der Pijl (2018). Flight MH17, Ukraine and the New Cold War — Prism of Disaster. Manchester: Manchester University Press.; siehe auch
https://consortiumnews.com/2014/09/02/whos-telling-the-big-lie-on-ukraine/
(6) https://www.newcoldwar.org/stratfor-chiefs-most-blatant-coup-in-history-interview-from-dec-2014/


Rafael Lutz arbeitet als Journalist für die Zürcher Lokalzeitung Der Tößthaler und schließt aktuell sein Soziologiemasterstudium an der Universität Fribourg ab. Zuletzt erschien von ihm „Heiße Fäuste im Kalten Krieg — Antikommunistischer Krawall beim Bahnhof Zürich-Enge 1957“.