Rede von Juliana Rivas 10.11.2019 Berlin
Genossen und Genossinnen, wir befinden uns in einem einzigartigen Moment der Geschichte unseres Landes. Dem Moment, an dem das Volk sich in Auflehnung, in Rebellion, erhoben hat. Wir sind endlich aufgewacht und stellen uns gegen ein System, welches uns seit mehr als 30 Jahren Gewalt antut. Mit zunehmender Klarheit erkennen wir die Konsequenzen der Marktlogik, die uns die Diktatur vererbt hat. Angesichts dieser sozialen Explosion, erfuhren wir mit Bitterkeit, dass die prompte Antwort der Piñera-Regierung, die Anwendung von willkürlicher Gewalt ist. Etwas, an das sich das chilenische Volk, bei jeglichem Anzeichen von Einforderung seiner Rechte, gewöhnen musste.
Und dann erklärt Piñera den Ausnahmezustand und bringt so das Militär zurück auf die Straßen – eine Situation von der wir nie gedacht hätten, dass sie nach 30 Jahren wiederkommen könne. Aber wir sehen schon, dass diese 30 Jahre nichts anderes waren als tiefe Lethargie, ein Schnitt in der Zeit unseres Landes, in dem man uns mit lauen Reformen einlullte, mit Reformen die für Millionen nichts verbesserten außer für dieses eine Prozent der reichsten der Reichen des Landes.
Obwohl unsere Demonstrationen, unsere Kundgebungen, friedlich sind, werden wir weiterhin gewalttätig angegriffen. Sie haben unsere sozialen Anführerinnen und Anführer umgebracht, damit wir uns ängstigen den Kampf weiterzuführen. Sie schießen unser Volk in den Rücken und beschuldigen es terroristisch zu sein. Aber es ist der Staat, der Terror ausübt. Wer heute in Chile auf die Straße geht, riskiert es ein Auge zu verlieren oder von Schrotkugeln getroffen zu werden, riskiert einen Schlagstock in den Rücken oder eine Kugel in den Kopf. Weil sie Angst haben, verweigern sie uns das legitime Demonstrationsrecht.
Allein der Gedanke, ihre geschätzten Privilegien verlieren zu können, lässt sie erzittern. Ihr Beweggrund ist Gier, denn sie fürchten, ihre in ihren Steuerparadiesen angefüllten Schatztruhen zu verlieren.Sie spekulieren mit unseren Pensionen, sie spekulieren mit dem Preisen unserer Wohnungen, unseres Grund und Bodens – sie bereichern sich an unserem fürs Studium Angesparten. Um unsere Rechte über uns selbst, über unsere Körper kontrollieren zu können, brüsten sie sich mit ihrer Moral und lachen uns dabei höhnisch ins Gesicht, Genossinnen.Unsere Großeltern sterben, während sie auf Versorgung warten und unsere Mütter und Väter grämen sich, wenn sie an die miserable Rente denken, die sie erwartet. Und wir, während all dessen sterben wir weiter an illegalen Abtreibungen – wir alle leiden an der Lust jener am Luxus.
Es reicht, haben wir gesagt. Jetzt müssen es klar haben, die Unzufriedenheit über die sozialen Zustände ist massiv und betrifft die gesamte Bevölkerung. Wir sind ein ganzes Volk das sich gegen die Herren des Landes und ihre politischen Handlanger erhebt.
Jetzt sehen wir es, der Präsident und diese Regierung legen ihre Prioritäten auf verstärkte Polizeikontrollen, auf die Stärkung der Geheimdienstmechanismen, auf die Kriminalisierung von Kundgebungen.
¿Haben sie unsere Unzufriedenheit etwa nicht bemerkt? ¿Sehen sie denn nicht die zerstörten Abbilder und Skulpturen ihrer kolonialistischen und völkermordenden Helden auf den öffentlichen Plätzen? ¿Hören sie den unsere Forderung nach einer verfassungsgebenden Versammlung nicht?
Piñeras Ankündigung stärkt unsere Wut, sie eint uns mehr und mehr und stärkt unsere Organisiertheit, denn, so wie wir es schon so oft wiederholt haben: sie haben uns sogar die Angst genommen.
Als migrantische Community drücken wir grundsätzlich unsere tiefe Verbundenheit mit den Kämpfen unserer Völker aus. Halten wir diese emanzipatorische Kraft die da geboren wurde nicht auf! Zeigen wir Deutschland, dem Land das die Waffen an jene verkauft, die uns umbringen, zeigen wir den Wirtschaftsmächtigen unserer Länder, die die natürlichen Ressourcen kontrollieren, zeigen wir ihnen, dass das Volk erwacht ist und den Kampf weiterführen wird, bis Würde alltäglich wird.