Die deutsche Verteidigungsministerin fordert die Entsendung deutscher Soldaten nach Ost- und Südostasien zu einer Machtdemonstration gegen die Volksrepublik China. „Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum“ fühlten sich von Beijing „zunehmend bedrängt“, behauptete Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer gestrigen Grundsatzrede an der Münchener Bundeswehr-Universität; es sei daher „an der Zeit“, „mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region“ zu zeigen. Die USA, Großbritannien und Frankreich demonstrieren seit geraumer Zeit im Südchinesischen Meer per Kanonenbootpolitik ihre militärische Macht.
Darüber hinaus sprach sich die Ministerin generell für eine Ausweitung der deutschen Militäreinsätze aus; außerdem müssten ein Nationaler Sicherheitsrat geschaffen sowie der Wehrhaushalt deutlich aufgestockt werden. Laut Kramp-Karrenbauer wird die Bundesregierung die deutsche EU-Ratpräsidentschaft in den Dienst der Militarisierung stellen und ein „E3-Format“ etablieren, das es ermöglicht, eine deutsch-französisch-britische Führung über die EU-Militärpolitik zu etablieren.
„Das militärische Spektrum ausschöpfen“
Eine Ausweitung der deutschen Militäreinsätze hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am gestrigen Donnerstag in einer Grundsatzrede an der Münchener Universität der Bundeswehr gefordert. Ein „Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, … unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen“ könne „nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen“, erklärte Kramp-Karrenbauer in Anklang an mehrere Reden, die der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor rund sechs Jahren gehalten hatten.[1] Deutschland dürfe „nicht einfach nur abwarten“; es müsse „selbst Vorschläge machen, Ideen entwickeln, Optionen vorstellen“. Es gehe darum, die „Rolle der Gestaltungsmacht“ anzunehmen. Wie bereits Gauck am 3. Oktober 2013 behauptete Kramp-Karrenbauer, im Ausland werde um deutsche Militäroperationen gebeten; „überall werde ich gefragt: ‚Könnt ihr Deutschen bitte noch mehr tun?'“ Die Bundesrepublik müsse nun die „Initiative ergreifen“ – und dazu gehöre letztlich „auch die Bereitschaft, … das Spektrum militärischer Mittel wenn nötig auszuschöpfen“. Andernfalls „verzwergen wir uns selbst“.[2]
„In unserem eigenen Interesse“
Konkret kündigt die Verteidigungsministerin zum einen Maßnahmen in der Bundesrepublik an. So soll der Bundessicherheitsrat, der unter anderem Rüstungsexporte genehmigt, in einen „Nationalen Sicherheitsrat“ transformiert werden; dieser müsse in Zukunft die „Entwicklung strategischer Leitlinien“ für die deutsche Außen- und Militärpolitik übernehmen, hatte Kramp-Karrenbauer bereits im März dieses Jahres verlangt. Die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats wird in den deutschen Eliten bereits seit dem Jahr 2006 immer wieder gefordert (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Die Verteidigungsministerin sprach sich zudem für eine „Vereinfachung und Beschleunigung“ des parlamentarischen Verfahrens zur Entsendung der Bundeswehr in Auslandseinsätze aus. Schließlich soll auch das Militärbudget massiv aufgestockt werden. Vor wenigen Wochen war bekannt geworden, dass Berlin für das kommende Jahr erstmals Militärausgaben von mehr als 50 Milliarden Euro an die NATO melden wird; in den NATO-relevanten Zahlen sind auch Kosten enthalten – zum Beispiel Ausgaben für Auslandseinsätze -, die die Bundesregierung in anderen Etatposten, etwa im Haushalt des Auswärtigen Amts, versteckt.[4] Wie die Ministerin gestern bekräftigte, sollen die deutschen Wehrausgaben im Jahr 2024 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen, „spätestens 2031“ dann zwei Prozent des BIP. Beim BIP des vergangenen Jahres wären dies 66,8 Milliarden Euro gewesen; bis 2031 wird die deutsche Wirtschaftsleistung aber wohl noch klar ansteigen. Die massive Aufstockung liege, erklärte Kramp-Karrenbauer, „in unserem eigenen Sicherheitsinteresse“.
Das „E3-Format“
Zum anderen plant die Verteidigungsministerin Maßnahmen, die die EU betreffen. So werde es ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 sein, „die europäische Zusammenarbeit in der Verteidigung [zu] verstärken“. Dabei werde man „der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU einen Strategischen Kompass geben“: einen Kompass „für eine selbstbewusste Europäische Verteidigungsunion“. Laut aktuellen Plänen soll Brüssel in seinem nächsten Etat allein 13 Milliarden Euro für den EU-Rüstungsfonds zur Verfügung stellen; unter dem Orwell’schen Schlagwort „Europäische Friedensfazilität“ sollen 10,5 Milliarden Euro für Militäreinsätze eingeplant werden, während 6,5 Milliarden Euro für die Verbesserung der „militärischen Mobilität“ vorgesehen sind.[5] Bemerkenswert ist darüber hinaus Kramp-Karrenbauers Plan, ein „E3-Format“ zu „verstetigen“. Mit „E3“ sind die drei Mächte Westeuropas gemeint, die in den Verhandlungen um das Atomabkommen mit Teheran kooperieren (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) und sich dabei in gewissem Umfang auch gegen die Vereinigten Staaten positionieren. Das „E3-Format“ ermöglichte es, Großbritannien auch nach seinem Austritt aus der EU in deren Außen- und Militärpolitik einzubinden und die „E3“ als eine Art informelles Führungsgremium für die EU-Außen- und Militärpolitik zu etablieren. „Auf der Ebene der Verteidigungsminister“ wird laut Kramp-Karrenbauer „dieses Format fest etabliert werden …, mit einem weiteren Treffen noch dieses Jahr“.
Kanonenbootpolitik gegen China
Schließlich hat Kramp-Karrenbauer gestern die Entsendung deutscher Soldaten nach Ost- und Südostasien gefordert. Wie die Ministerin behauptete, fühlten sich „unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum – allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien – … von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt“. Sie wünschten sich „ein klares Zeichen der Solidarität“. Es sei nun „an der Zeit, dass Deutschland … ein solches Zeichen setzt“; dazu solle man „mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen“. Forderungen, die Bundeswehr müsse im Umfeld Chinas operieren, wurden bereits Mitte dieses Jahres öffentlich erhoben. Damals hieß es in einem Pressebericht, im Verteidigungsministerium werde diskutiert, an der Kanonenbootpolitik der USA, Großbritanniens und Frankreichs im Südchinesischen Meer teilzunehmen und auch ein deutsches Kriegsschiff dorthin zu entsenden. „Die Einleitung einer Marineoperation vor der Küste Taiwans“ etwa könne als „ein geradezu bahnbrechender, bisher ungesehener Akt des Heldenmuts“ eingestuft werden, hieß es in einer Zeitung aus dem „Springer“-Verlag.[6] Seitdem hat die Bundesregierung die deutsche Militärkooperation mit Australien [7] und mit Indien [8] intensiviert.
Zwei weltkriegsfähige Konflikte
Mit Marineoperationen in Ost- und Südostasien würde Deutschland zur militärischen Partei in einem zweiten weltkriegsfähigen Konflikt. Bereits jetzt ist die Bundesrepublik führend an NATO-Maßnahmen beteiligt, die westliche Truppen in größtmöglicher Nähe zur russischen Westgrenze stationieren und zusätzlich zur partiellen Einkreisung Russlands schnellstmöglich einsatzfähige Kampftruppen („NATO-Speerspitze“) trainieren (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Zum neuen Kalten Krieg gegen Moskau droht nun ein weiterer Kalter Krieg hinzuzukommen – gegen Beijing. Washington, in gewissem Maß aber auch Paris und London sind in der Asien-Pazifik-Region mit Stützpunkten und Patrouillenfahrten längst präsent; die Vereinigten Staaten haben vor geraumer Zeit in Aussicht gestellt, rings um China ihre Mittelstreckenraketen aufzustellen.[10] Damit wäre der gegenwärtige militärische Rahmen für eine asiatisch-pazifische Präsenz der Bundeswehr abgesteckt.
Bitte beachten sie auch unsere Video-Kolumne: Krieg gegen China.
[1] S. dazu Schlafende Dämonen und Der Weltordnungsrahmen.
[2] Zitate hier und im Folgenden: Rede der Ministerin an der Universität der Bundeswehr München. bmvg.de 07.11.2019.
[3] S. dazu Führung aus einer Hand (II).
[4] Deutsche Verteidigungsausgaben sollen auf 50 Milliarden Euro steigen. faz.net 16.10.2019.
[5] S. dazu Sparen für Deutschland.
[6] John Vinocur: Das wäre das Ende der deutschen Zurückhaltung. welt.de 11.06.2019. S. dazu Angriff auf die Ein-China-Politik (I).
[7] S. dazu Der transpazifische Kalte Krieg.
[8] S. dazu Chinas Gegenspieler.
[9] S. dazu Im Aufmarschgebiet, Noch näher an den Konflikten und Führungsansprüche an der „Nassen Flanke“.
[10] S. dazu „Ein Alptraumszenario für China“ und Abschied vom INF-Vertrag (III).