Die Bundesregierung stärkt Chiles Präsident Sebastián Piñera in seinem Abwehrkampf gegen anhaltende Massenproteste den Rücken. Man teile mit Chile „grundlegende Werte“, heißt es im Auswärtigen Amt; Außenminister Heiko Maas sagt seinem chilenischen Amtskollegen zu, Deutschland stehe „auch in schwierigen Zeiten an der Seite Chiles“. In dem südamerikanischen Land toben seit Wochen Massenproteste, als deren eigentliche Ursache die dramatische Armut und die eklatante soziale Ungleichheit im Land gelten.
Piñera, Milliardär und Angehöriger der alten Eliten, lässt die Proteste mit blutiger Gewalt durch Polizei sowie Militär niederschlagen. Die chilenischen Streitkräfte verfügen über zahlreiche Waffen aus deutscher Produktion. Piñera, mit dessen Partei Renovación Nacional die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung seit Jahren kooperiert, obwohl zu ihren Funktionären erklärte Pinochet-Anhänger zählen, stützt die alten, weißen Eliten auch in anderen Ländern Lateinamerikas – etwa in Venezuela. Berlin tut es ihm mit der Anerkennung des venezolanischen Putschisten Juán Guaidó und mit Lob für den Putsch in Bolivien gleich.
Vertrauensvolle Beziehungen
Chile unterhält allgemein, wie das Auswärtige Amt konstatiert, „langjährige enge Bindungen“ an Deutschland.[1] Die politischen Beziehungen werden als „eng und vertrauensvoll“ eingestuft; auch wirtschaftlich arbeiten beide Länder intensiv zusammen. Chile, mit dem die Bundesregierung im Jahr 2013 eine „Rohstoffpartnerschaft“ geschlossen hat, ist – neben Peru – Deutschlands wichtigster Kupferlieferant und stellte im Jahr 2017 drei Viertel der deutschen Lithiumimporte. Die Streitkräfte des Landes verfügen über signifikante Bestände an deutschen Waffen. Zwei der vier chilenischen U-Boote wurden von HDW produziert; ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) bemüht sich um den Auftrag, die alternden Boote Mitte der 2020er Jahre durch neue Modelle zu ersetzen.[2] Chiles Heer hat seit 2007 insgesamt 186 Kampfpanzer des Typs Leopard 2 aus Beständen der Bundeswehr gekauft und modernisiert; außerdem hat es in Deutschland 270 Schützenpanzer des Typs Marder beschafft. Nicht zuletzt hat der Bundessicherheitsrat in den vergangenen Jahren die Lieferung einer ganzen Reihe an Schusswaffen nach Chile genehmigt – Maschinengewehre, Maschinenpistolen, Revolver, Pistolen und Munition.
„Danke, Pinochet!“
Jenseits der allgemein engen Beziehungen bestehen besondere Kontakte zur aktuellen chilenischen Regierungspartei Renovación Nacional (RN) von Präsident Sebastián Piñera. Die RN wird bereits seit den 1990er Jahren von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung unterstützt. Dabei wickelt die Stiftung ihre Fördermaßnahmen gewöhnlich über RN-nahe Einrichtungen ab, etwa das Instituto Libertad, das zuweilen als „Think-Tank der RN“ bezeichnet wird.[3] Als einen Arbeitsschwerpunkt in Chile bezeichnet die CSU-nahe Stiftung zum Beispiel die „parlamentarische Beratung“, die sie Abgeordneten im chilenischen Parlament zukommen lässt. Darüber hinaus widmet sie sich der „Bildung neuer Führungskreise“ für das Land.[4] Die RN ist gemeinsam mit der Unión Demócrata Independiente (UDI), einem Sammelbecken von Anhängern der ehemaligen Militärdiktatur unter Augusto Pinochet, Mitglied in der Unión de Partidos Latinoamericanos (UPLA), der führende Rechtsparteien des Subkontinents angehören. Die UPLA wiederum wird schon seit 1992 ebenfalls von der Hanns-Seidel-Stiftung unterstützt. Die RN hat kürzlich Schlagzeilen gemacht, weil eine ihrer Abgeordneten in Chiles Parlament, Camila Flores, sich auf einer Parteiversammlung vor 500 Parteimitgliedern unter tosendem Beifall als Pinochet-Anhängerin bezeichnete und äußerte, sie sei dessen Militärdiktatur „dankbar“.[5] Als daraufhin öffentlich Kritik laut wurde, erhielt sie offizielle Rückendeckung durch die Parteiführung, die ihrerseits mit der Hanns-Seidel-Stiftung kooperiert.
Putschisten
Sowohl die RN wie auch Präsident Piñera, als Milliardär einer der reichsten Männer seines Landes, haben sich zuletzt unter anderem mit entschiedener Unterstützung für die Putschisten in Venezuela hervorgetan, die ihrerseits den alten weißen Eliten des Landes entstammen. Bereits am 23. Januar, dem Tag, an dem sich in Caracas der Oppositionspolitiker Juán Guaidó zum Präsidenten erklärte und die Streitkräfte zum Putsch aufrief, stellte sich die RN in einer von der UPLA veröffentlichten Erklärung auf die Seite der venezolanischen Umstürzler. Das Papier wurde auch von Óscar Ortiz vom bolivianischen Movimiento Demócrato Social unterzeichnet, der in den aktuellen Umsturz in Bolivien involviert ist; seiner Partei, die die Interessen der alten weißen Eliten Boliviens vertritt, gehört die selbsternannte bolivianische Übergangspräsidentin Jeanine Áñez an.[6] Auf die Publikation der Pro-Guaidó-Erklärung folgten Unterstützungsbesuche von RN-Politikern bei dem Putschisten; zudem stärkte Präsident Piñera ihm den Rücken, indem er ihn offiziell als angeblichen venezolanischen Präsidenten anerkannte und ihm praktische Hilfe zukommen ließ. In Piñera haben die Putschisten aus Venezuela bis heute einen verlässlichen Helfer. Guaidó sei „Venezuelas legitimer Präsident“, behauptete das chilenische Staatsoberhaupt zuletzt etwa am 22. September.[7]
Massenproteste
Hat Piñera dazu beizutragen versucht, in Venezuela die alten weißen Eliten wieder an die Macht zu bringen, so werden er und die chilenischen Eliten seit Oktober selbst von Massenprotesten bedroht. Ausgelöst durch eine relativ geringe Erhöhung der Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr, haben sich Proteste entwickelt, die zeitweise mehr als eine Million Menschen auf die Straße brachten, Generalstreiks beinhalteten und bis heute nicht zur Ruhe gekommen sind. Als tatsächliche Ursache der Proteste gilt die krasse soziale Ungleichheit in Chile, wo ein Prozent der Bevölkerung rund 35 Prozent des Reichtums besitzt, während offiziell gut 14 Prozent unterhalb der Armutsgrenze von etwa 145 US-Dollar im Monat leben und die Hälfte der Lohnabhängigen weniger als 400 Euro im Monat verdient.[8] Weltweit auf Kritik stößt inzwischen die Brutalität, mit der die chilenischen Repressionskräfte die Privilegien und den Reichtum der chilenischen Elite verteidigen. Bei den Protesten wurden laut offiziellen Angaben mittlerweile über 5.600 Menschen festgenommen sowie mehr als 2.000 verletzt, etwa die Hälfte davon durch Schusswaffen. Rund 200 Menschen wurden durch Polizeigeschosse am Auge getroffen; derlei Verletzungen führen oft zum Erblinden.[9] Die Zahl der Todesopfer wird offiziell mit 23 angegeben; in fünf Fällen ist bislang Mordanklage gegen Polizisten und Soldaten erhoben worden. Menschenrechtsorganisationen beklagen zahlreiche Fälle von Folter. Zeitweise patrouillierten die Streitkräfte, die auch von Deutschland ausgerüstet werden, auf den Straßen der Hauptstadt mit Panzern.[10]
Die Bundesregierung bezieht Position
Die Bundesregierung bezieht Position – und zwar auf Seiten der chilenischen Eliten. Chile sei für Deutschland „ein wichtiger und verlässlicher Partner“, heißt es in einem aktuellen Beitrag aus dem Auswärtigen Amt: Beide Länder teilten „grundlegende Werte“. Außenminister Heiko Maas habe „mit seinem Amtskollegen“ in Santiago telefoniert und ihm „versichert, dass Deutschland auch in schwierigen Zeiten an der Seite Chiles steht“, heißt es weiter: „Maas begrüßte die Anstrengungen von Staatspräsident Piñera zur Lösung der Krise.“[11] Die Haltung ist stringent; auch in Venezuela sowie in Bolivien unterstützt Berlin jeweils die alten weißen Eliten und nimmt Stellung gegen die indigene Bevölkerung und gegen die – weithin indigenen – Unterschichten. So hat sie etwa den venezolanischen Putschisten Guaidó, wie es etwa auch Chiles Präsident Piñera tat, als angeblichen Präsidenten seines Landes anerkannt [12] und den aktuellen Putsch in Bolivien gebilligt (german-foreign-policy.com berichtete [13]). Mittlerweile haben sich auch der Putschist Guaidó sowie die selbsternannte „Präsidentin“ Boliviens, Jeanine Áñez, in ihren gänzlich illegal angemaßten Ämtern wechselseitig anerkannt.[14] Damit schließen sich die Kreise im Pakt der weißen Eliten.
[1] Deutschland und Chile: bilaterale Beziehungen. auswaertiges-amt.de 04.03.2019.
[2] TKMS presenta a la Armada de Chile la fragata Meko A200 y el submarino 214. infodefensa.com 04.01.2019.
[3] Think thank de RN entrega „lista negra“ a Piñera con más de mil funcionarios removibles. elmostrador.cl 15.02.2018.
[4] Áreas de Trabajo. latinamerica.hss.de/chile.
[5] RN entrega respaldo a diputada Flores tras dichos sobre ser pinochetista: „Aquí nadie sobra“. latercera.com 16.12.2018.
[6] Declaración de la Unión de Partidos Latinoamericanos UPLA de reconocimiento al gobierno encargado de Venezuela. 23.01.2019.
[7] Piñera refuta a Bachelet y la ONU: „Juan Guaidó es el presidente legítimo de Venezuela“. elmostrador.cl 22.09.2019.
[8] Lisa Caspari: Endstation Reichtum. zeit.de 27.06.2017.
[9] Anna Landherr, Jakob Graf: Erneute Proteste und Generalstreik in Chile. amerika21.de 14.11.2019.
[10] David Rojas-Kienzle, Marius Weichler, Sophia Boddenberg: Chile: Aufstand gegen Piñera, Panzer auf den Straßen, Ausnahmezustand ausgeweitet. amerika21.de 21.10.2019.
[11] Chile und Deutschland: Partner auch in unruhigen Zeiten. auswaertiges-amt.de 12.11.2019.
[12] S. dazu Die Weltenherrscher (II) und Aufforderung zum Putsch (II).
[13] S. dazu Berlin und der Putsch.
[14] Juan Guaidó reconoció a Jeanine Áñez como presidenta interina de Bolivia: „Son una inspiración para Venezuela“. infobae.com 13.11.2019. Jeanine Áñez reconoció a Juan Guaidó como presidente de Venezuela. infobae.com 14.11.2019.