Medienberichte über eine zweifelhafte Studie – Zahlreiche Medien berichten dieser Tage über eine Studie, die scheinbar zeigt, dass wir aus gesundheitlichen Gründen doch unseren Fleischkonsum nicht reduzieren müssen.

Eine Analyse von Dr. Guido F. Gebauer

Spiegel Online titelt „Esst ruhig weiter Fleisch!“. Die Zeit meint „Forscher sehen keinen Grund, auf rotes Fleisch zu verzichten“. Der Tagesspiegel schreibt „Ist rotes Fleisch jetzt doch nicht so ungesund?“. International gibt es ähnliche Schlagzeilen, von der New York Times bis zum Guardian.

Nun habe ich mir den Originalartikel angeschaut und bin verblüfft über das Ausmaß an Subjektivität und Auslassungen in der Studie:

  • in aller Kürze zusammengefasst, haben die Autoren ihr Design so angelegt, dass sie mögliche positive Auswirkungen von Fleischreduktion massiv unterschätzen mussten.
  • auf dieser Basis hat dann ein uneiniger Panel seine Empfehlungen abgeleitet, wobei nur die Mehrheitsposition berichtet wird.

Was ist geschehen?

Ausgangslage der Studie

Die Studie hat zwei Hauptprobleme und zahlreiche weitere Schwächen:

  • die Wissenschaftler haben die Auswirkungen von Fleischverzicht (vegetarisch) oder von Verzicht auf alle tierischen Lebensmittel (vegan) nicht untersucht. Sie können hierzu daher auch keine Aussage machen. Die Wissenschaftler haben sich vielmehr ausschließlich auf eine Reduktion des Fleischkonsums um drei Mahlzeiten pro Woche konzentriert. Stärkere Reduktionen haben sie komplett aus ihren Berechnungen, die die Grundlage für ihre Empfehlung sind, ausgeschlossen. Die Autoren haben sich dazu entschieden, eine sehr umfangreiche Studienlage für ihre Bewertungen zu ignorieren, die zeigt, dass kompletter Fleischverzicht und insbesondere der Verzicht auf alle tierischen Produkte (vegan) die Gesundheit in hohem Ausmaß positiv beeinflusst. Entgegen der Berichte in den Medien können die Autoren Fleisch gar nicht freisprechen, weil sie Fleischverzicht gar nicht untersucht haben. Diese Sachlage geht in der öffentlichen Diskussion unter und führt zu Bewertungs-Verzerrungen. Den Autoren muss der Vorwurf gemacht werden, diese Medienberichterstattung durch eigene Formulierungen mit erzeugt zu haben.
  • es handelt sich um eine Studie, in der ein Panel aus Experten demokratisch abgestimmt hat, welche Schlüsse und Empfehlungen gezogen werden sollen. Es geht hier nicht nur oder vorwiegend um Fakten, sondern vor allem um Bewertungen und Meinungen. In der Medienberichterstattung geht zudem unter, dass sich die Mitglieder des Panels tatsächlich nicht einig war. Die Medien berichten nur die Mehrheitsmeinung, lassen aber die Minderheitsmeinung des gleichen Panels unerwähnt. Tatsächlich hat eine substantielle Minderheit der Experten von über 20 % (3 von 14) für eine Empfehlung für Fleischreduktion abgestimmt.

Den Leserinnen und Lesern der zahlreichen Medienartikel bleiben beide Aspekte leider unbekannt. Sie können sie nur dann erfahren, wenn sie die Studie der Autoren im Original selbst lesen. Nur tut dies fast niemand.

An dieser Stelle muss aber nicht nur den Medien, sondern auch den Autoren der Studie vorgeworfen werden, diese unvollständige Rezeption ihrer Studie gefördert zu haben. Sie haben offenbar alles getan, um eine maximale Medienwirkung zu erzielen.

Selbst der Artikel ist unvollständig. Im Artikel werden beispielsweise die Gründe für die Uneinigkeit unter den Panel-Mitgliedern nicht genannt. Ausschließlich die Mehrheitsempfehlung wird ausführlich dargestellt und begründet.

Die Meinungsfindung ist nicht dokumentiert und daher nicht nachvollziehbar. Es wird nicht einmal mitgeteilt, welches Panel-Mitglied zu welcher Meinung gelangt ist. Mögliche individuelle Interessenkollisionen verschließen sich so für die Leserinnen und Leser.

Dies alles macht die für wissenschaftliche Veröffentlichungen eher untypische hohe Subjektivität der ganzen Angelegenheit noch einmal deutlich und stellt ein Fragezeichen hinter die gesamte Studie und die Empfehlungen.

Warum muss auch kompletter Fleischverzicht untersucht werden?

Ein Gedankenexperiment:

  • nehmen wir an, Menschen reduzieren ihren Zigarettenkonsum um 5 Zigaretten pro Tag. Die dadurch erreichte Reduktion von Krebserkrankungen und anderen negativen Folgen des Rauchens wird höchstens moderat ausfallen.
  • Darf man daraus schließen „Rauchen sei wissenschaftlich freigesprochen“ und sollte man derartige Schlüsse als Wissenschaftler verbreiten?
  • natürlich nicht – denn die Situation stellt sich anders dar, wenn zusätzlich untersucht wird, was eine komplette Beendigung des Rauchens bringt: in diesem Fall zeigt sich ein starker Effekt.
  • die korrekten Empfehlungen wäre also nicht, das Rauchen fortzusetzen, sondern mit dem Rauchen ganz aufzuhören.

So wie bei der Raucherstudie der Vergleichsmaßstab zum Nichtrauchen vorhanden sein muss, so benötigt auch eine Studie zu Fleischkonsum und Fleischreduktion unbedingt den kompletten Fleischverzicht als Vergleichsmaßstab. Fehlt dieser Maßstab, werden alle Schlüsse verzerrt, und zwar genau wie dem Raucherbeispiel.

  • nur die Berücksichtigung des Vergleichsmaßstabs „kein Fleischkonsum“ erlaubt eine Aussage darüber, wie stark die negativen Folgen des Fleischkonsums oder die positiven Folgen des Fleischverzichts sind

Dass die Autoren Fleischverzicht nicht untersuchten, gibt Rätsel auf. Dies ist sogar umso unverständlicher, als dass ein Einbezug von komplettem Fleischverzicht den Aufwand der Studie nur geringfügig erhöht hätte.

Was wäre gewesen, wenn…

Hätten die Autoren kompletten Fleischverzicht berücksichtigt, hätten sie nach ihren eigenen Daten sehr viel stärkere Effekte für Fleischreduktion festgestellt und berichten müssen.

Die Medien würden nicht berichten, Fleisch sei freigesprochen, sondern sie würden berichten, dass moderater Fleischverzicht nicht genügt, sondern dass erst Fleischverzicht einen stark positiven Einfluss auf die Gesundheit ausübt.

Hätten die Autoren also die eigentlich aus wissenschaftlichen und ethischen Gründe gebotene vollständige Auswertung vorgenommen, wäre die aktuelle Empfehlung der Panelmehrheit obsolet gewesen.

Ist Fleischverzicht unrealistisch?

Einziges Argument der Autoren für ihre selektive Betrachtung ist, dass kompletter Fleischverzicht unrealistisch sei. Ganz so unrealistisch ist Fleischverzicht aber nicht. Immerhin gibt es je nach Land und Erhebungsmethoden zwischen 6- 30 % Vegetariern, wobei Indien mit 30 % der Spitzenreiter ist. Die Zahl der Veganer steigt ebenfalls in den westlichen Industrieländern stark an, in Großbritannien hat sie sich seit 10 Jahren verfünffacht.

Nun berufen sich die Autoren allerdings ebenfalls auf von ihnen ausgewertete Studien zur Bereitschaft zum Fleischverzicht. Mit den eigentlichen Gesundheitseffekten haben diese Studien freilich nichts zu tun. Was aber zeigen diese Studien?

  • Die Autoren meinen aus den Studien lesen zu können, dass die Bereitschaft der Menschen eher gering sei. Dies nehmen sie als Rechtfertigung ihrer eingegrenzten Analyse.
    Die Autoren zitieren aber keine einzige Studie, die zeigen würde, dass die Reduktion von Fleisch um drei Mahlzeiten pro Woche die realistischste Reduktion sein würde. Es geht also hierbei nicht um Wissenschaft, sondern um eine Bauchentscheidung. Das eigene Bauchgefühl der Forscher ist jedoch keine wissenschaftlich legitime Erklärung für den Ausschluss des kompletten Fleischverzichtes aus den eigenen Kalkulationen.

Die selektive Analyse der Autoren wird umso absurder in einer Situation, in der alle Welt über vegan und Klima diskutiert.

Zudem berücksichtigen die Autoren den psychologisch-soziologischen Sachverhalt nicht, dass sich Einstellungen und Handlungsbereitschaften schnell ändern können.

Aber es geht sogar noch weiter:

  • die Einschätzung der Autoren, dass die Menschen nicht verzichten wollen, ist nach den Darlegungen der Autoren auf eine letztlich nicht präzise beschreibbare und nicht quantifizierbare Art und Weise sogar in die Empfehlungen der Mehrheit eingegangen, den Fleischkonsum ohne Reduktion fortzusetzen. Ebenso könnte man Menschen raten, doch einfach weiter zu rauchen, da sie ja nicht verzichten wollten. Selbst wenn dies im Einzelfall tatsächlich im Sinne von Resignation durchaus so gesehen werden mag, wäre eine allgemeine derartige Empfehlung verantwortungslos. Gleiches gilt für die Empfehlung der Panel-Mehrheit, den Fleischkonsum fortzusetzen.

Die Studie fällt durch die nicht sinnvolle Verknüpfung einer sehr subjektiv wirkenden Herangehensweise mit objektiven Sachverhalten auf. Dies reduziert die Gültigkeit der Schlussfolgerungen der Autoren erheblich.

Laienpsychologische Annahmen

Die Autoren und Panelmitglieder waren übrigens ausnahmslos keine Psychologen. Sie gehen aber von laienpsychologischen Annahmen aus, indem sie glauben, dass eine moderate Reduktion eines Konsumverhaltens grundsätzlich leichter und daher realistischer sei als ein kompletter Verzicht. Sie referenzieren hierzu keinerlei Forschungsliteratur, sondern verlassen sich erneut auf nichts weiter als ihr Bauchgefühl.

Psychologisch ist diese Annahme unrichtig:

  • gerade bei Gewohnheits- und Suchtverhalten kann der komplette Verzicht leichter als die reine Reduktion sein. Denn die Reduktion konfrontiert uns immer wieder mit den auslösenden Reizen, die unseren Appetit auf den Konsum wieder wachrufen.

Dies gilt für Alkohol und Rauchen, es gilt aber eben auch für das, was wir essen:

  • so kann es Menschen durchaus schwerer fallen, nur ein halbes Stück Kuchen zu essen, als gar kein Stück Kuchen zu essen.

Wir können reduzieren oder einen Konsum komplett einstellen. Es gibt hier sicherlich individuelle Unterschiede, die Annahme der Autoren, dass Reduktion grundsätzlich realistischer sei als komplette Beendigung eines Konsums ist aber unbegründet.

Empfehlungen erzeugen Stimmungen

Die Autoren glauben, Menschen würden nicht auf Fleisch verzichten wollen. Sie übersehen dabei die Veränderlichkeit von gesellschaftlichen Einstellungen und Verhaltensweisen, die möglichen Auswirkungen der aktuellen Klimadiskussion, die zunehmende Verfügbarkeit von Fleischalternativen.

Zudem erzeugen die Autoren selbst Stimmungen, die den gesellschaftlichen Fleischverzicht erschweren können. Indem sie Verzicht für unrealistisch halten, die Auswirkungen des Verzichts daher selektiv ausblenden und im Ergebnis höchst subjektive fleischfreundliche Ergebnissse öffentlichkeitswirksam publizieren, begehen die Autoren der Studie nicht nur einen Zirkelschluss, sondern halten die Bevölkerung effektiv davon ab, ihren Fleischkonsum zu verändern.

Wieso diese hochgradig selektive Betrachtung?

Es stellen sich eine Reihe von Fragen:

  • warum haben sie sich ausschließlich auf eine Reduktion um drei Mahlzeiten in der Woche versteift, obwohl doch absehbar war, dass sie damit natürlich höchstens moderate Effekte finden können?
  • warum haben die Autoren nicht einfach das Folgerichtige getan und auch die Auswirkungen von komplettem Fleischverzicht berechnet, die Ergebnisse dargestellt und ihren Empfehlungen zugrunde gelegt?
  • wollten die Autoren überhaupt bestehende positive Effekte von Fleischreduktion finden?

An dieser Stelle muss ich es auch als Psychologie deutlich sagen:

  • es entsteht der Eindruck, dass die Autoren das unanspruchsvolle Kriterium „drei Mahlzeiten mit Fleisch weniger“ gerade deshalb wählten, weil bei diesem Kriterium die Effekte gering sind
  • hätten die Autoren zusätzlich die Auswirkungen von kompletten Fleischverzicht mit berechnet, hätten sie sehr viel stärkere Effekte festgestellt. In diesem Fall hätten sie nicht zu weiterem Konsum auffordern können, sondern hätten wohl eine andere Empfehlung geben müssen.

Nach meiner Überzeugung haben die Autoren bewusst einen Untersuchungsausschnitt gewählt, der zu einer positiven Empfehlung für Fleisch führen könnte.

Die viel stärkeren Effekte von Fleischverzicht und veganem Leben passten nicht zu ihren Empfehlungen und vermutlich ist dies der Grund, warum sie sie sich nicht angeschaut haben.

  • Es wurde keine Daten gefälscht. Der Vorwurf, der den Autoren aber gemacht werden muss, lautet, dass sie Daten selektiv betrachtet haben, offensichtlich um in der gesellschaftlichen Diskussion eine Pro-Fleischposition zu verankern. Wie sonst wäre die höchst selektive Datenbetrachtung zu erklären?

Einseitige Bewertung der gefundenen Effekte

Die Autoren haben nach meinem Eindruck alles im Vorfeld getan, um möglichst keine positiven Effekte von Fleischreduktion zu finden.

Die Autoren bleiben dabei aber nicht stehen. Sie diskutieren zudem selbst die von ihnen für ihr eigenes Kriterium „drei Mahlzeiten weniger“ gefundenen Effekte in nach meiner Einschätzung bemerkenswerter Subjektivität weg:

Die Studie zeigt, dass Fleischkonsum in einer statistischen hochsignifikanten Dosis-Wirkungs-Beziehung mit Tod aufgrund von Krebs, Herzerkrankungen und außerdem mit der Häufigkeit von Diabeteserkrankungen steht.

Diese festgestellte Beziehung nutzten die Wissenschaftler, um die Auswirkungen einer Fleischreduktion um drei Mahlzeiten pro Woche zu berechnen.

Wie dargestellt haben sie aus wissenschaftlich unerklärlichen Gründen darauf verzichtet, den Effekt von Null Fleisch zu untersuchen.

Trotz dieser Methodik, die es stark erschwert, tatsächlich bestehende positive Auswirkungen von Fleischverzicht zu finden, zeigen die Ergebnisse, dass auch nach diesen Berechnungen Fleischreduktion statistisch mit verbesserter Gesundheit einhergeht:

  • nach den Kalkulationen der Autoren zeigt sich in den Daten, dass bei Reduktion des Fleischkonsums um drei Mahlzeiten in der Woche signifikant weniger Menschen an Krebs oder Herzerkrankungen sterben würden und es auch weniger Diabetesfälle gäbe.

Diesen Befund, den sie selbst errechnet haben, erklären die Autoren dann aber in außergewöhnlichen Wendung für irrelevant.

Die Anzahl derjenigen Menschen sei zu gering, die wegen der Fleischreduktion nicht an Krebs oder Herzerkrankungen sterben oder an Diabetes erkranken würden.

Hier liegen die Autoren fehl:

Sie verkennen, dass bei tödlichen und überhaupt bei schweren Erkrankungen nicht nur Leid über die direkt Betroffenen, sondern auch über zahlreiche Angehörige und Freunde gebracht wird.

Als 13-Jähriger mit einer an Krebs erkrankten alleinerziehenden Mutter habe ich daran auch persönlich noch sehr plastische Erinnerungen. Jedes Menschenleben zählt und ebenso die Vermeidung von Leid und Belastung für Angehörige.

Zu den reinen Zahlen:

  • die Autoren führen aus, dass bei Reduktion um drei Fleischmahlzeiten pro Woche bezüglich roten Fleisches im Durchschnitt nach ihren Befunden 17 von 1000 Personen weniger an Krebs oder Herzerkrankungen versterben oder an Diabetes erkranken könnten.
  • mit Bezug auf verarbeitetes Fleisch gelangen die Panelmitglieder zum Schluss, dass sogar 24 von 1000 Personen in diesem Sinne profitieren könnten.
  • nimmt man an, dass 5–10 Personen pro Erkrankungsfall mitbetroffen sind (Partner, Eltern, Kinder, Freunde etc.), würden sich also positive Effekte auf 8,5 % bis 24 % der Bevölkerung ergeben können. Dies sind keineswegs triviale Effekt.
  • aber selbst wenn wir die reinen Zahlen der direkt Betroffenen zugrundelegen, ginge es allein in Deutschland um immerhin zwischen 136000 bis 192000 Menschen, die womöglich nicht an Krebs oder Herzerkrankungen sterben oder an Diabetes erkranken würden. Hinter diesen Zahlen verbergen sich einzelne Menschen, die nicht unter den Tisch fallen sollten.

Bei weitem größer wäre, wie mehrfach dargestellt, die Anzahl derjenigen, die von Fleischreduktion gesundheitlich profitieren könnte, wenn die Autoren als zusätzlichen Vergleichsmaßstab – wie es wissenschaftlich und ethisch zu fordern gewesen wäre – auch Null-Fleischkonsum mit zugrunde gelegt hätten.

Ignorieren weiterer Gesundheitseffekte

Aber die Autoren machen einen weiteren Fehler, indem sie allgemeine Gesundheitsempfehlungen („esst weiter Fleisch wie bisher“) aus einer Untersuchung ableiten, die überhaupt nur einen Teilausschnitt relevanter gesundheitlicher Auswirkungen von Fleischreduktion betrachtet hat:

  • ausschließlich Todesfälle aufgrund von Krebs- und Herzerkrankungen, sowie Diabetes-Fälle gehen in die Studie ein.
  • Sachlage ist aber, dass für zahlreiche weitere Erkrankungen günstige Ergebnisse für Fleischverzicht berichtet werden. Diese wurden von den Autoren gar nicht erst untersucht und deshalb geben sie auch keine Zahlen bekannt. Dies hinderte die Autoren aber nicht daran, zu einer allgemeinen fleischfreundlichen Empfehlung zu gelangen.

Hierbei ist auch Folgendes zu berücksichtigen:

  • selbst wenn ein Faktor jeweils nur einen kleinen Einfluss auf eine spezifische Erkrankung hat, dafür aber viele Erkrankungen positiv beeinflusst, kann sich ein großer Gesamteffekt ergeben. Indem die Autoren andere mögliche Auswirkungen zwar durchaus im Artikel kurz benennen, aber aus ihren Empfehlungen ausblenden, handeln die an der Studie beteiligten Autoren tendenziös – und zwar in ähnlicher Art und Weise, wie jahrzehntelang Wissenschaftler ebenfalls die Gefahren des Rauchens verharmlosten.

Die Autoren sprechen per Mehrheitsbeschluss eine allgemeine Empfehlung unter dem Gesamtbegriff der „Gesundheit“ aus, obwohl sie zahlreiche gesundheitliche Faktoren ignorierten. Gerade bei einer Makrostudie wie dieser wäre ein vollständiger Ansatz zu erwarten und sogar erforderlich gewesen, wenn allgemeine Empfehlungen abgeleitet werden sollen.

Kausalwirkung wird angezweifelt

Mittlerweile hat selbst die WHO Fleisch als karzinogen eingestuft. Aber die Autoren zweifeln sogar eine jede Kausalwirkung von Fleischreduktion auf die Verbesserung der Gesundheit an.

Dies tun sie mit einem überaus zweifelhaften Argument:

  • weil komplette Ernährungs-Schemata (Diätformen, z.B. mediterrane Ernährung) einen größeren Effekt als die Fleischreduktion in den Daten hätten, sei es unwahrscheinlich, dass Fleisch der kausale Faktor sei.

Es sei hier einmal wörtlich aus dem Artikel zitiert:

  • We hypothesized that if red meat and processed meat were indeed causally related to adverse health outcomes, we would find stronger associations in studies that specifically addressed red meat and processed meat intake versus studies addressing dietary patterns.

Diesen Zweifel stehen bereits den Analysen in den untersuchten Einzelstudien entgegen, die oftmals zahlreiche andere Faktoren bereits kontrollierten.

Vor allem aber vergleichen die Autoren hier Äpfel mit Birnen nach dem Motto: „weil Äpfel gesünder sind als Erbsen, können Erbsen nicht gesund sein„.

Dabei haben sich die Autoren nicht einmal die Mühe gemacht, gegebenenfalls die Effekte von Fleischreduktion und Diät-Schema zu separieren. Viele Diät-Schemata gehen mit einer deutlichen Fleischreduktion einher und zusätzlich werden als gesund geltende Lebensmittel präferiert (z. B. Olivenöl).

Warum sollte es da erstaunlich sein, dass solche komplexen Muster stärkere Effekte erzielen als isolierte Fleischreduktionsstudien?

Ich würde das Gegenteil erwarten!

Die entsprechende Vermutung der Autoren wird nicht überzeugend begründet. Das Vorgehen der Autoren ist so am Ende komplett zirkulär:

  • Sie formulieren eine Hypothese und verwenden diese dann gleichzeitig als Beweis für etwas anderes , anstatt zunächst ihre Hypothese wissenschaftlich zu untermauern.

Gravierend ist aber auch erneut, was die Autoren hier in ihrer Bewertung auslassen:

  • in Studien, in denen das vegane Schema untersucht wurde, schneidet dies im Regelfall am besten ab. So weisen Veganer – und nicht Vegetarier – nach einer großen Studie eine reduzierte Krebshäufigkeit auf und leben länger
  • eine vor Kurzem in den Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America veröffentlichten Studie gelangt zu der Schlussfolgerung, dass eine vegane Ernährung bis zum Jahr 2050 jährlich 8 Millionen Menschenleben retten könnte.

Zusammensetzung des Panels

Auch zur Zusammensetzung des Panels und den Zielsetzungen sind einige kritische Anmerkungen notwendig:

Unter den 14 Panelmitgliedern ist keine einzige sich vegetarisch oder vegan ernährende Person. Die Autoren teilen dies in einer Tabelle zu Interessenkollisionen mit. Gerade unter Ernährungswissenschaftler gibt es aber besonders viele sich vegetarisch oder vegan ernährende Personen.

Das Panel war international zusammengesetzt, es ist erstaunlich, dass keine einzige vegetarisch oder vegan lebende Person in den Panel eingeladen wurde. Gerade weil es sich nicht nur um Fakten, sondern hochgradig subjektive Bewertungen handelt, wäre eine repräsentativere Zusammensetzung des Panels überzeugender gewesen.

Letztendlich stellt sich die Situation so dar:

  • eine Gruppe von 14 fleischessenden Wissenschaftlern hat einen echten Fleischverzicht von Anfang an für unrealistisch erklärt
  • alle 14 Fleischesser haben sich daher entschieden, die Auswirkungen von Fleischverzicht aus ihren Kalkulationen, Interpretationen und Empfehlungen zu entfernen
  • trotzdem stellten diese Wissenschaftler in den reinen Daten fest, dass selbst eine moderate Fleischreduktion statistisch mit signifikant positiven Auswirkungen auf die Gesundheit verbunden ist
  • im Anschluss hat der Panel per Mehrheitsbeschluss beschlossen, dass dieser positive Effekt irrelevant sei und jeder so weiter Fleisch essen solle, wie er wolle.

Seither wird in den Medien berichtet, Fleisch sei freigesprochen. Aber wer hat diesen Freispruch getätigt und welches Vertrauen kann in die Freisprechenden gesetzt werden?

Klimadiskussion für die Autoren ohne Belang

Die Autoren gestehen ohne Umschweife ein, dass sie sich nicht mit den Auswirkungen von Fleischkonsum auf das Klima und die Umwelt im Allgemeinen befasst haben.

  • J. Poore und T. Nemecek sind zwei Wissenschaftler an der Universität Oxford, die soeben im Wissenschaftsjournal Science die Ergebnisse einer Megastudie zu den Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf die Umwelt veröffentlicht haben. Es handelt sich um die bisher umfangreichste Studie zu diesem Thema, die zudem in einem Magazin veröffentlicht wurde, welches zusammen mit dem Magazin Nature als das renommierteste Wissenschafts-Magazin in der Welt gilt. Entsprechend streng sind die Überprüfungen bis ein Artikel in diesem Magazin veröffentlicht wird. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass die vegane Ernährung die umweltfreundlichste mögliche Ernährungsform ist.

Obwohl eine große Anzahl weiterer Studien die katastrophalen Auswirkungen von Fleisch und Nutztierhaltung auf Klima und Umwelt belegen, geben die Autoren eine weltweit publizierte Empfehlung, den Fleischkonsum einfach fortzusetzen.

In Anbetracht der Klimakrise und der zahlreichen vorliegenden Studien hierzu ist dies für einen Review, der Empfehlungen zum Fleischkonsum gibt, eine nicht vertretbare Auslassung. Längst werden die Auswirkungen auf das Klima beispielsweise in den bei weitem fleischkritischeren Empfehlungen der Academy of Nutrition and Diatetics, der weltweit größten ernährungswissenschaftlichen Vereinigung, berücksichtigt.

Der aktuelle Review ist insofern in allen Aspekten ein konservativer Rückfall, der in Zeiten der Klimakrise wissenschaftlich und ethisch inakzeptabel ist.

Im Ergebnis gibt die Mehrheit der Panelmitglieder eine Empfehlung, deren Umsetzung dazu geeignet wäre, unser Klima und aller Überleben, aber auch die aktuelle und künftige Gesundheit der Menschen zu gefährden.

Resümee

Weltweit werden derzeit in den Medien Empfehlungen aus einem Artikel zitiert, der zu der Empfehlung gelangte, wir bräuchten unseren Fleischkonsum nicht reduzieren.

Letztlich handelt es sich um eine tendenziöse Studie, die die Studienlage selektiv so auswählte, dass möglichst ein höchstens geringer positiver Effekt von Fleischkonsum gefunden werden kann.

Die Fokussierung auf eine nur moderate Reduktion des Fleischkonsums im Artikel und der Ausschluss des kompletten Verzichts aus der Betrachtung haben die Befundlage unangemessen verändert. Aber auch der Ausschluss zahlreicher möglicher Erkrankungen aus den Analysen und die Nicht-Betrachtung von Klimaauswirkungen haben die Befunde und Schlussfolgerungen verzerrt.

Trotzdem zeigen die Daten der Autoren positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Fleischreduktion. Ein gespaltener Panel hat dann aber mehrheitlich entschieden, die sichtbar werdenden positiven Effekte wegzudiskutieren und in ihren Empfehlungen unter den Tisch fallen zu lassen. Gründe für die andere Entscheidung der Minderheitsfraktion werden nicht benannt und trotz Uneinigkeit wird eine allgemeine Empfehlung gegeben.

Die Autoren operieren mit zu bemerkenswert subjektiven und sogar pseudopsychologischen Annahmen, die ihnen den Blick auf eine objektive und sachgerechte Analyse offenbar verstellten. So gehen die Autoren davon aus, dass Fleischverzicht unrealistisch sei, was sich aus nicht viel mehr als ihrem eigenen Bauchgefühl ergibt und psychologischen Erkenntnissen widerspricht, dass manchmal der komplette Verzicht auf etwas einfacher sein kann als die Reduktion des Konsums.

In Wirklichkeit stärkt der Artikel die vegane Position, dass es nicht nur um moderate Fleischreduktion gehen kann, sondern um kompletten Fleischverzicht gehen muss. Nur leider nehmen die Autoren dieses sich gerade aufzwingende Ergebnis ihres Artikels nicht zu Kenntnis. Die Medien wiederum stützen sich allein auf die Zusammenfassung der Autoren und folgen damit einer Autorengruppe, deren Absicht es zu sein scheint, eine Pro-Fleisch-Position in der Gesellschaft zu verteidigen.

In der Gesamtbetrachtung sind die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Autoren fehlgeleitet. Es handelt sich hier nicht um Wissenschaft, sondern um Meinungsmache. Diese Meinungsmache zeigt leider Wirkung, weil Medien die nicht tragfähigen Empfehlungen der Panel-Mehrheit unkritisch als wissenschaftliches Ergebnis rezipieren.

 

Guido F. Gebauer studierte Psychologie an den Universitäten Trier, Humboldt Universität zu Berlin und Cambridge (Großbritannien). Promotion an der Universität Cambridge zu den Zusammenhängen zwischen unbewusstem Lernen und Intelligenz. Im Anschluss rechtspsychologische Ausbildung, Tätigkeit in der forensischen Psychiatrie und 10-jährige Tätigkeit als Gerichtsgutachter. Gründung der psychologischen Kennenlern-Plattform Gleichklang 2006. Gebauer lebt und arbeitet in Kambodscha. Für vegan.eu schreibt er aus Überzeugung. Kontakt: gebauer@gleichklang.de

 

Wir bedanken uns bei Vegan.eu für die freundliche Genehmigung zur Publikation.

 

Der Originalartikel kann hier besucht werden