Im Frühjahr 2020 wird der NATO-Machtblock mit einer Testmobilmachung gen Osten den Ernstfall proben. Dies geht aus einem Schreiben des Bundesverteidigungsministeriums hervor. Demnach werden die USA und ihre Verbündeten in Europa mit dem Manöver „Defender 2020“ die militärische Infrastruktur, Kommandostrukturen und Nachschubrouten prüfen, die sie im Laufe der vergangenen Jahre in Osteuropa aufgebaut haben.
Wie in einem etwaigen heißen Krieg mit Russland werden in der Übung US-Truppen über den Atlantik nach Europa transportiert, um weiter in Richtung auf die russische Grenze vorzudringen. Die Bundesregierung leistet zu der Maßnahme, die Europa weiter militarisiert und die Spannungen noch stärker anheizt, tatkräftige Beihilfe, indem sie Deutschland gezielt als Dreh- und Angelpunkt der Kriegslogistik positioniert. Auf die strategische Rolle als Logistik- und Kommandozentrale im Hinterland sucht die Bundesrepublik einen weiteren internationalen Machtzuwachs zu stützen. Für die USA wird „Defender 2020“ die größte Militärübung in Europa seit 25 Jahren.
„Defender 2020“
Bis zu 20.000 US-Soldaten plus Panzer und weiteres Gerät werden ab Anfang 2020 zunächst über den Atlantik und dann durch Deutschland nach Polen und in die Baltischen Staaten verlegt werden. Neben den USA werden sich 16 weitere NATO-Mitglieder an dem Manöver beteiligen, darunter auch die Bundesrepublik. In einem Krieg des NATO-Machtblocks gegen Russland würde Deutschland laut Konzeption der Bundeswehr als „Basis für Operationen, rückwärtiges Einsatzgebiet und Drehscheibe der Unterstützung“ dienen.[1] „Defender 2020“ bietet Berlin die Gelegenheit, diesem Anspruch Nachdruck zu verleihen.
Mit deutscher Beteiligung
Für die USA beginnt die Übung schon im Januar. Für die Bundesrepublik startet sie voraussichtlich erst ab April in vollem Umfang. Einschränkungen im zivilen Bahnverkehr sind zu erwarten. Für zwei Monate wird die Bundeswehr die US-amerikanischen Truppen bei ihrem Marsch durch Deutschland unterstützen. Genutzt werden dabei drei sogenannte Convoy-Support-Zentren in Garlstedt (Niedersachsen), Burg (Sachsen-Anhalt) und auf dem Truppenübungsplatz Oberlausitz (Sachsen). Zusätzlich soll der Truppenübungsplatz Bergen in der Lüneburger Heide eigens für die Übung zu einer Großtankstelle umfunktioniert werden. Auch das im Aufbau befindliche neue militärische Hauptquartier zur Organisation schneller Truppenverlegungen (Joint Support and Enabling Command, JSEC) in Ulm wird seine Rolle als zentrale Schaltstelle der Mobilmachung gegen Russland proben.[2] Zudem ist davon auszugehen, dass das Europa-Kommando der US-Streitkräfte (EUCOM) in Stuttgart-Vaihingen beteiligt sein wird. In Grafenwöhr (Bayern) sollen im Rahmen des Manövers Gefechtsstandsübungen stattfinden. Dabei macht die Aufgabenbeschreibung der Bundeswehr für „Defender 2020“ deutlich, dass sich die deutsche Beteiligung keineswegs auf logistische Unterstützung und Koordination beschränkt: „Kampf, Kampfunterstützung und Führung – in Deutschland, Polen und Litauen“ zählen demnach zu den Aufgabenschwerpunkten.[3]
Nachschubwege konsolidieren
„Defender 2020“ ist das seit geraumer Zeit größte, aber keinesfalls das erste Manöver, in dem die Bundeswehr die US-Streitkräfte bei ihrem Aufmarsch an die russische Grenze unterstützt. Tatsächlich sind derartige Truppenverlegungen längst zur Routine geworden. Im Rahmen ihrer Operation Atlantic Resolve (OAR) halten die US-Streitkräfte kontinuierlich Übungen aller Art in den Ländern Ost- und Südosteuropas vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer ab. Die dabei eingesetzten US-Truppen rotieren alle neun Monate. Das regelmäßige, lückenlose Auswechseln der Einheiten bei OAR wird im NATO-Block als Maßnahme zur Vermeidung einer dauerhaften militärischen Präsenz westlicher Truppen an der russischen Grenze dargestellt; das Kriegsbündnis gibt an, damit der NATO-Russland-Grundakte Rechnung zu tragen. In der Realität haben zahlreiche NATO-Staaten, unter ihnen die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik, mit OAR, aber auch darüber hinaus – im Rahmen der enhanced Forward Presence (eFP) der NATO – längst eine kontinuierliche Präsenz kampfbereiter Truppen in Polen, den baltischen Ländern und Teilen Südosteuropas aufgebaut.[4] Jede Rotation bietet den USA und ihren europäischen Verbündeten Gelegenheit, die Nachschubwege aus Nordamerika und Europa in Richtung Russland weiter zu konsolidieren. Nicht alle dieser Nachschubrouten führen durch Deutschland, aber einige. Die nächste Rotation von US-Truppen durch Deutschland findet diesen Monat statt. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.
Aufmarsch gegen Russland
„Defender 2020“ und die OAR belegen, dass die USA sich ungeachtet ihrer zunehmenden Fokussierung auf den Machtkampf gegen China unvermindert gegen Russland in Stellung bringen. Noch die Obama-Administration hatte 2014 die sogenannte European Reassurance Initiative (ERI) ins Leben gerufen. Damit stärken die Vereinigten Staaten zusätzlich zu der erhöhten Präsenz der NATO in Ost- und Südosteuropa auch ihre eigenen dortigen Positionen wieder. Im Rahmen der inzwischen in European Deterrence Initiative (EDI) unbenannten Kampagne werden nicht nur – mit deutscher Hilfe bei der Truppenverlegung – die OAR-Manöver von Estland bis Bulgarien durchgeführt. Es fließen auch Millionensummen in militärische Beratung, Ausbildung und Ausrüstung der ukrainischen Streitkräfte.[5] Darüber hinaus baut die US-Armee mit den Mitteln ihre eigene militärische Infrastruktur in Europa aus, so beispielsweise in Polen. Hinzu kommen Maßnahmen in Island, die der Kontrolle der strategisch wichtigen „GIUK-Lücke“ dienen; bei der „Lücke“ – „GIUK“ steht für „Greenland, Iceland, United Kingdom“ – handelt es sich um den Zugang zum Atlantik von Nordosten her, den die bei Murmansk stationierte russische Nordflotte nutzen könnte.[6] Neben der Infrastruktur werden auch über Europa verstreut Lager von Militärgerät und Munition aufgebaut, auf die die US-Armee im Ernstfall direkt zurückgreifen kann („Army Prepositioned Stock“). Ein guter Teil davon befindet sich in Deutschland (german-foreign-policy.com berichtete [7]).
Milliardensummen
Ihren Einfluss auf die militärischen Kräfteverhältnisse in Europa lassen sich die USA hohe Summen kosten. 2015 startete die EDI mit einem Budget von 985 Millionen US-Dollar. Schon zwei Jahre später, 2017 belief sich ihr Volumen auf 3,4 Milliarden US-Dollar. Der Anstieg hielt ungebrochen bis 2019 an, als Washington 6.5 Milliarden US-Dollar für die EDI bereitstellte. Für 2020 sinkt der Betrag zum ersten Mal leicht – auf 5,9 Milliarden US-Dollar.[8] Damit haben die Vereinigten Staaten das Fundament für den erneuten Ausbau ihrer umfassenden militärischen Präsenz in Europa gelegt, die nach dem Ende des Kalten Kriegs reduziert worden war. Ohne die tatkräftige Beihilfe der „Drehscheibe“ Deutschland wäre das zumindest in diesem Umfang nicht möglich gewesen.
[1] Konzeption der Bundeswehr
[2] S. dazu Der Zwei-Prozent-Konflikt.
[3] Claudia Haydt: Europäisches Mega-Militärmanöver mit starker deutscher Beteiligung. imi-online.de 02.10.2019.
[4] S. dazu Im Aufmarschgebiet und Jubiläum mit Truppenbesuch.
[5] Jen Judson: Funding to deter Russia reaches $6.5B in FY19defense budget request. defensenews.com 12.02.2018.
[6] Aaron Mehta: European defense fund takes a 10 percent cut in new budget. militarytimes.com 12.03.2019.
[7] S. dazu Vom Frontstaat zur Transitzone.
[8] Jen Judson: Funding to deter Russia reaches $6.5B in FY19defense budget request. defensenews.com 12.02.2018. Aaron Mehta: European defense fund takes a 10 percent cut in new budget. militarytimes.com 12.03.2019.