Am 13. Oktober überraschte die ungarische Opposition mit spektakulären Erfolgen gegen die regierende Fidesz-Partei. Durch eine bislang beispiellose Kooperation der aller Oppositionsparteien konnten sie sich das Amt des Oberbürgermeisters in Budapest sichern und landesweit wichtige Erfolge erzielen.
Welche Methoden haben sie benutzt und welche Veränderungen wollen die in Deutschland lebende Ungarn?
Von mehr als 8 Millionen wahlberechtigten Ungarn hatten sich am Sonntag bei den Kommunalwahlen knapp 50% zur Urne begeben und eine Entscheidung getroffen zwischen den 50.000 kandidierenden. Die für ungarische Verhältnisse große Beteiligung ist das Ergebnis eines vielfältigen, interessanten und mit Skandalen gespickten Wahlkampfs.
Die Wucht des Erfolgs des Oppositionsbündnisses konnte man am Wahlabend an den langen Gesichtern der Fidesz-Führung ablesen: Die Regierungspartei verlor nicht nur das Amt des Oberbürgermeisters und die Mehrheit im Stadtrat von Budapest. Von 23 Budapestern Bezirken kann sie nur noch in 5 statt bislang 19 den Bezirksbürgermeister stellen und nur zwei von denen haben eine eigene Mehrheit in der Bezirksversammlung. Darüber hinaus siegten die von der Opposition unterstützten Kandidaten auch in den größeren Städten des Landes wie Szeged, Szombathely, Miskolc oder Pécs, sowie auch in etwa der Hälfte der mittelgroßen Städte, die bislang fast alle von Fidesz-Mehrheiten geführt waren.
Trotz allen Unmuts über das selbstherrliche und korrupte Orbán-Regime ist das alles andere als ein selbstverständliches Resultat. Seitdem die mit Zweidrittelmehrheit regierende Fidesz-Partei in 2011 das Wahlsystem zu ihren Gunsten umgeschrieben hatte, kann sie ihre Stellung mit Leichtigkeit bewahren, solange die Stimmen gegen sie sich auf viele Oppositionsparteien verteilen. Außerdem beherrscht das System Orbán die nationale und lokale Medienlandschaft, welches es mit regelmäßigen nationalistischen Hasskampagnen füllt.
Trotz oder gerade wegen dieser Situation entschieden sich diesmal viele parteilose Aktivisten aus der Zivilgesellschaft für ein Amt zu kandidieren. So etwa der Journalist András Pikó, der sich seit Jahren für die Armen im 8. Bezirk von Budapest engagiert: Dank der Unterstützung eines breiten Bündnisses aus Bürgerinitiativen und Oppositionsparteien konnte er den Fidesz-Bürgermeister seines Bezirks erfolgreich herausfordern und – wenn auch nur mit wenigen hundert Stimmen Vorsprung – besiegen. Dies ist eine bemerkenswerte Veränderung in der ungarischen Zivilgesellschaft, deren Akteure sich bislang aus der Politik überwiegend rausgehalten haben. Diese Entwicklung eröffnet die Chance, dass Kommunalpolitik statt die verlängerte Hand der Regierung zu sein nun wieder verstärkt vor Ort und im Austausch mit lokalen Initiativen stattfindet.
Eine positive Neuerung im Wahlkampf war, dass in einigen Orten die Oppositionsparteien Vorwahlen durchgeführt haben, um den gemeinsamen Kandidaten gegen Fidesz zu bestimmen. Das hat insbesondere beim Kampf um den Posten des Oberbürgermeisters von Budapest gut funktioniert: Der bisherige Bezirksbürgermeister von dem 14. Bezirk, der grün-liberale Gergely Karácsony von der kleinen Párbeszéd-Partei (“Dialog”) setzte sich in zwei Vorwahlrunden gegen den Kandidaten der sozialistischen MSZP, der sozialliberalen DK und der neuen liberal-progressiven Partei Momentum durch. Letztendlich konnte er die Wahl mit knapp 51 Prozent der Stimmen und 7 Prozentpunkten Vorsprung für sich entscheiden.
Ausgeschlossen von der Teilnahme an der Wahl blieben alle Ungarn, die sich am Wahltag nicht in ihrem Wahlbezirk aufgehalten haben. Eine Möglichkeit der Briefwahl oder der Stimmabgabe in den Konsulaten gab es für sie nicht. Bereits bei der Parlamentswahl und bei der Europawahl war es für Ungarn im Ausland sehr schwierig, von ihrem Wahlrecht gebrauch zu machen. Während hunderttausende Personen in den Nachbarländern Ungarns, die in den letzten Jahren von Fidesz die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten haben ihr Wahlrecht auch per Briefwahl ausüben können, müssen Staatsbürger mit Wohnsitz in Ungarn sich am Wahltag zu den Auslandsvertretungen begeben.
Das ist, wie die berliner Aktivistengruppe Freie Ungarische Botschaft bei ihren Mobilisierungskampagnen in den letzten zwei Jahren feststellen musste, für viele eine unüberwindbare logistische Herausforderung. Bálint Vojtonovszki, Mitbegründer und Sprecher der Initiative fordert daher gleiche Rechte für alle Staatsbürger:
“Die erschwerten Wahlbedingungen gelten derzeit vor allem für Personen, die aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen während der Herrschaft Viktor Orbáns das Land vorübergehend oder dauerhaft verlassen mussten. Es ist einfach nicht akzeptabel, dass im 21. Jahrhundert in einem Mitgliedsland der Europäischen Union das Wahlrecht aus politischen Überlegungen heraus diskriminiert. Die Möglichkeit der Briefwahl soll für alle gelten.”