In vielen Städten überall auf der Welt erleben wir gerade eine Zeit weitreichender gesellschaftlicher Mobilisierung, die mit wachsender Beteiligung und deutlicheren Forderungen offenbar noch weiter an Umfang zunimmt. Auch wenn diese zunächst eine Reaktion auf eine ganz spezifische Regierungsmaßnahme sind (Erhöhung von Benzin- oder Fahrtkosten, Korruption, Autoritarismus), beziehen sie doch sehr bald das gesamte System von Unterdrückung und Entmenschlichung, Jahre der Entbehrungen für die Armen und Anhäufung von Reichtum für die Wohlhabenden, Kriege, Gewalt in all ihren Formen mit ein, und all dies kulminiert in einem Aufschrei: Diese Gesellschaft muss sich ändern.
Sei es, dass speziell unter jungen Menschen der globale Austausch und das Bewusstsein für gemeinsame Anliegen durch die Aktionen von Umweltbewegungen wie Gretas Fridays for Future oder Extinction Rebellion befördert wird und, in den Medien weniger präsent aber hinsichtlich der Risiken für die gesamte Menschheit nicht minder wichtig, durch die koordinierte Arbeit der weltweit agierenden Anti-Atom Aktivisten mit dem Ziel, ein Verbot nuklearer Waffen durch die Ratifizierung des Vertrages über das Verbot von Atomwaffen zu erreichen.
Sei es, dass die Gleichzeitigkeit der Proteste einfach ein Zeichen dafür ist, dass die Menschen die Schmerzgrenze erreicht haben und nicht mehr bereit sind, die Gewalt, Diskriminierung, Unterdrückung, das Konkurrenzdenken und mangelnde Solidarität zu tolerieren und wir es als eine Antwort auf die Grausamkeiten des neoliberalen Kapitalismus verstehen können.
Sei es, dass der Aufstieg gestörter Autokraten und Faschisten, die Regierungen übernehmen, ihre Verbündeten betrügen, einen Völkermord an Migranten verantworten, an die Zustände vor dem 2. Weltkrieg erinnern.
Oder sei es, dass ein neues Bewusstsein, ein neuer Geist, eine neue Inspiration und ein neuer Humanismus in den Herzen der Menschen wächst und sie beginnen, weiter zu schauen als bis zur Rebellion, weiter als bis zu den Protesten, über ihr jeweiliges Leben hinaus. Menschen die träumen, eine Ahnung bekommen und gerade erkennen, wie anders die Welt doch sein könnte – mitfühlend, fair, sicher für alle, gewaltfrei, sinnvoll und voller Freude und Solidarität.
Wahrscheinlich spielt all das und viele andere subtile Faktoren in diesem Prozess eine Rolle.
Einige Streiflichter der weltweiten Ereignisse
Chile
Vier Millionen Menschen forderten am 25. Oktober in den Straßen Santiagos und anderer Städte Änderungen des drakonischen neoliberalen Regimes von Präsident Piñera. Auslöser war eine Anhebung der Fahrpreise für die U-Bahn, auf die zunächst Studierende energisch reagierten und denen sich dann aber der Rest der Bevölkerung anschloss und Forderungen zum Gesundheitswesen, Bildung, Renten etc. zu den größten Demonstrationen führte, die das Land jemals erlebt hatte.
Haiti
Regierungsgegner fordern seit Monaten Veränderungen, sie prangern Korruption und die bittere Armut der Bevölkerung an.
Katalonien
Es finden Massenproteste gegen, die von spanischen Gerichten verhängten langjährigen Haftstrafen für Mitglieder der katalanischen Regierung statt, die das Referendum zur katalanischen Unabhängigkeit durchgeführt haben.
Frankreich
Seit Monaten protestieren die Gelbwesten auf den Straßen vieler französischer Städte. Was mit einem Protest gegen die Erhöhung der Benzinpreise begann, erstreckte sich auf andere gesellschaftliche Probleme und die Forderung nach Änderungen im System.
Großbritannien
Mehr als eine Million Menschen gingen auf die Straße, um gegen das Vorgehen der Regierung im Brexit-Verfahren zu protestieren und ein Referendum zu fordern, in dem endgültig entschieden werden soll, ob Großbritannien die EU tatsächlich verlassen soll und wenn ja unter welchen Bedingungen.
Honkong
Ausgelöst durch eine Regelung, die es ermöglicht hätte, Straftäter an Gerichte auf dem chinesischen Festland zu überstellen (von den Behörden Hong Kongs mittlerweile wieder zurückgenommen), bleibt doch die Protestbewegung konstant seit einigen Monaten in den Straßen präsent und artikuliert weitere Forderungen, insbesondere die nach einer vollständigen Demokratisierung.
Algerien
Seit einigen Monaten bringt die „Revolution des Lächelns“ die Menschen auf die Straßen. Sie hat damit das frühere korrupte Regime zu Fall gebracht und verhandelt mit einem wenig kooperativen Militär um eine neue Regierung, die den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht wird.
Libanon
Landesweit finden nicht-sektiererische Proteste als Reaktion auf die von der Regierung geplanten Steuern auf Benzin, Tabak und Online-Telefonate, wie zum Beispiel durch WhatsApp, statt.
Ecuador
Die durch den IWF angewiesene Erhöhung der Preise für den öffentlichen Verkehr und die neoliberale Austeritätspolitik von Präsident Lenin Moreno führten zu massiven Protesten unter Beteiligung der indigenen Bevölkerung. Trotz des anscheinenden Einlenkens der Regierung bleiben schwerwiegende Probleme bestehen und die Bevölkerung in hoher Alarmbereitschaft.
Marokko
Soziale Proteste begannen 2017 mit dem Anprangern wirtschaftlicher Maßnahmen, Wasserknappheit und Repressalien durch das Regime. Doch die Lage bleibt auch weiter kritisch, nachdem die durch den König beschlossenen Schritte die bestehenden Probleme noch verschlimmert haben.
Ägypten
Proteste gegen die Regierung von Präsident El- Sisi finden in mehreren großen ägyptischen Städten statt, sehen sich jedoch mit einer heftigen Reaktion der Polizei sowie laut Amnesty International und anderer Organisationen mit Verletzungen der Menschenrechte konfrontiert.
Russland
Hier finden pro-demokratische, hauptsächlich studentische Proteste statt, denen Verhaftungen und massenhafte Gerichtsverfahren gegen junge Menschen folgen.
Die Aufzählung geht weiter – iranische Pensionäre, LehrerInnen in den USA, der Sturz der korrupten Al Bashir Regierung im Sudan, die massiven Proteste gegen Korruption in Tschechien, die Proteste gegen die Regierung im Irak und so weiter.
Diese Bilder sprechen für sich…
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Silvia Sander aus dem ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!