Wenn eine Autorin einen feministischen Roman schreiben will, kann sie anklagend oder einfühlsam eine furchtbare Geschichte über Leid und Unterdrückung durch das Patriachat schreiben, oder sie kann einfach auf extrem witzige Weise den Spieß umdrehen und die Groteske der schon komplett von der Gesellschaft verinnerlichten männlichen Privilegien abmontieren, so dass sie erstmals humorvoll entlarvt und in Frage gestellt, aber auch der Wahnwitz ihres Bestehens lächerlich gemacht wird. Es ist Gertraud Klemm ausnehmend gut gelungen, einen total witzigen, wahnwitzigen, subversiven, anarchischen, feministischen Roman zu schreiben.
Dies schlägt auch exakt in die für mich doch sehr neue Strömung des Feminismus, mit Humor den Spieß umzudrehen und mit der alternativen Realität und der Brille einer feministischen Welt zu kokettieren, quasi das Universum des männlichen Seepferdchens zu errichten, das die Babies austragen muss. In den letzten Wochen wurde auf Twitter unter dem Hashtag #dichterdran genau in diese Kerbe geschlagen und männliche Autoren wurden so respektlos auf Äußerlichkeiten reduziert, kritisiert und rezensiert, wie sich das bisher nur Autorinnen gefallen lassen mussten. Die meisten Schriftsteller machten gute Miene zu diesem etwas fiesen Spiel und einige wie Saša Stanišić beteiligten sich sogar humorvoll daran.
„Wenn man kritisiert, dass es so wenige männliche Autoren in den Weltliteratur-Kanon geschafft haben, muss man auch bedenken, dass sich diese Literatur oft auf Männerthemen konzentriert und ihr der universelle Anspruch fehlt, der wahrhaft großartige Werke ausmacht.“ (Elisabeth Klar auf Twitter #dichterdran)
Erst wenn man alles, was in der Literatur über Autorinnen, gesagt wurde, mal umdreht, wird erstmals die Idiotie der Machtsicht und die immanente Marginalisierung des anderen Geschlechts offenbar.
Auch dieser Roman beschäftigt sich intensiv genau mit dieser Art von Unsichtbarmachung weiblicher Leistungen im Literatur- und Kunstbetrieb, in dem sich die narzisstischen männlichen Günstlinge nur so tummeln, die doch tatsächlich glauben, sie wären schon qua Geburt besser als ihre weiblichen Kolleginnen und hätten nicht aus dem Grund mehr Anerkennung durch Ehrungen und monetären Erfolg, weil die Machtpositionen der Geldvergabe und der Rezensionen im Feuilleton von ihren Geschlechtsgenossen besetzt sind. Die Autorin beschreibt mit spitzer Feder sehr böse den österreichischen Betrieb in Kunst und Literatur.
Denen, die es ernst meinen, wird die Haut dieser Heimat bald zu klein. Die, die bleiben, hungert der Betrieb bald aus. Nur die Kammergünstlinge, Kirchenlemminge, die politisch aktiven Nachwüchsler, die Markthuren, die die eigennützige Systemtreue in den Genen haben, die bleiben und lassen sich mästen.
Die alte feministische Schriftstellerin Helene Schulze ist also gestorben. Sie hat sich zu Tode gesoffen. Einerseits weil sie den Ausstieg aus ihrem systemunkonformen Leben im frühen Erwachsenenalter in das typisch patriarchale Muster von bravem Ehefrauchen, Weibchen und Mütterchen in einer spießigen Kleinstadt nicht verkraftet hat und weil ihr zweitens niemals – auch nicht beim Abstreifen ihrer gesellschaftlich angepassten Rolle und Rückkehr in den Literaturbetrieb – jene Ehre zuteil wurde, die ihr eigentlich gebührt hätte. Nun ist sie unter einem männlichen Pseudonym zum siebten Mal für einen wichtigen Literaturpreis – diesmal für den deutschen Buchpreis – nominiert, den sie nie gewonnen hat, weil ihr immer wieder ein Mann vorgezogen wurde. Da sie nun tot ist und das erwiesenermaßen ordentlich Kasse macht, wird ihre eigentliche Identität vom Verlag gelüftet. Was für eine Sensation, eine posthume Vergabe eines Literaturpreises.
Ihre Freundin Elvira, Aktionskünstlerin aus alten WG-Zeiten, ist stinksauer über diese anbiedernde speichelleckende Heuchelei bei Helenes Beerdigung. Sogar der fette Literaturkritiker, der dafür gesorgt hat, dass Helene der schon verliehene Bachmann-Preis wieder aberkannt wurde, weil ein Satz ihres eingereichten Beitrags – man staune, es handelte sich tatsächlich nur um einen Satz – bereits vorab veröffentlicht wurde, entblödet sich nicht, zu diesem Ereignis aufzutauchen und sich in devotem Gebuckel zu ergehen.
An diesem Punkt läuft das Fass der Künstlerin Elvira über, die Hutschnur geht ihr hoch und sie beschließt, im Namen der toten Schriftstellerein Helene alle Frauen durch Kunstaktionen endlich vor den Vorhang zu heben. Unter dem Streetart-Tag des Seepferdchens werden zwölf krawallfeministische Aktionen in einem Roadtrip quer durch Österreich subversiv inszeniert und dokumentiert. Die Kulturschickariabashing-Oma Elvira engagiert den jungen, hübschen Assistenten Adrian, und gemeinsam machen sie sich mit Helenes altem Campingbus auf den Weg, dem patriarchalen Establishment, der bigotten Kirche und dem Staat das Fürchten zu lehren. Die Leserin (Männer selbstverständlich mitgemeint ?) freut es außerordentlich, denn die Autorin punktet in einem wilden Ritt mit wundervoller anarchischer, witziger, pöhser Vorstellungskraft. Drei von den zwölf Aktionen, die mir besonders gefallen haben, möchte ich kurz skizzieren, damit Ihr Euch vorstellen könnt, welcher Spaß das ist, die Planung der Aktionen zu begleiten und auch die Reaktionen der Betroffenen. Da kriegt Jesus am Kreuz a rotes Strickjackerl, eine Reiterstatue schnackselt plötzlich eine riesige Vulva und die winzige, fast nicht sichtbare Ingeborg-Bachmann-Statue in Klagenfurt in irgendeinem Park wird als Salat drapiert, denn der Bachmann-Salat im Café gegenüber ist einfach in der Stadt gegenwärtiger als die berühmte Autorin, wobei man im Gegenzug natürlich Lindwürmern und Nazis riesengroße Denkmäler gesetzt hat.
So fahren Elvira und Adrian als todesverachtendes Duo im Auftrag des Feminismus durchs Land und nähern sich einander an. Auch menschlich passiert viel, denn Elvira erläutert dem relativ unbedarften jungen Mann ihre und Helenes Wut über die patriarchalischen Verhältnisse durch die Erklärung der sehr witzigen Kunstwerke. Das Ende hat mich sehr überrascht, ist aber erstens gar nicht so abwegig, zweitens sehr konsequent und drittens auch noch sehr positiv gestaltet.
Die Sprache des Romans ist wundervoll, und die Figuren sind sowohl einfühlsam wo es angebracht, aber auch mit sehr spitzer Feder gezeichnet, wenn es notwendig ist.
Fazit: Ein wilder, augenzwinkernder, feministischer Roadtrip. Eine absolute Leseempfehlung von mir vor allem auch für Männer, denn das Buch ist so bitterböse witzig – zwar auf eine sehr brutale unkonventionelle Art, aber sehr witzig.
So bleibt mir nun nur noch zu fragen, warum gibt es solche von der Autorin beschriebene Aktionen von feministischen Künstlerinnen eigentlich nicht in der Realität? Jene österreichischen Aktionistinnen, die ich kenne, befassen sich nur narzisstisch mit ihrem eigenen Körper (z.B. Elke Krystufek und Jakob Lena Knebel), aber tun wenig für andere Frauen und feministische Anliegen. Warum muss eine Schriftstellerin so etwas fiktiv konzipieren. Oder anders gefragt. Liebe Gertraud Klemm: Könnten sie nicht Mal kurzfristig ihre Profession wechseln und die Inhalte des Buchs in die Realität der Kunst umsetzen? Danke! Das hätten wir nämlich alle gebraucht! Ich mache Ihnen auch den Adrian ? und dokumentiere alles.
Hippocampus von Gertraud Klemm ist 2019 im Kremayr und Scheriau Verlag als Hardcover erschienen. Nähere Infos zum Buch über einen Klick auf das Cover im Beitrag oder auf der Verlagsseite.
Rezension von Awogfli