Der Journalismus vernachlässigt mehr und mehr die Kritik an den Mächtigen und macht sich mit ihnen gemein. Das Kabarett muss es richten. Die Anstalt ist eine der letzten Bastionen vor der Einseitigkeit des Mainstreams.
Seit der ersten Folge im Jahr 2014 begleite ich als Zuschauer und Fan die Sendung „Die Anstalt“. Ich habe jede Sendung gesehen, im Laufe der Zeit auch die Kabarettisten Claus von Wagner und Max Uthoff persönlich kennengelernt und die beiden Köpfe, die eher im Hintergrund tätig sind: Dr. Dietrich Krauß und Ekkehard Sieker
Ich muss sagen, es sind wirklich sehr tolle Menschen: Freundlich, natürlich und nicht abgehoben. Und dies trotz ihres seit Jahren anhaltenden Erfolgs im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und der daraus entstandenen Popularität.
Wir sind immer die Guten, echt jetzt!
Eine der ersten Folgen, sie wurde am 29. April 2014 ausgestrahlt, widmete sich der Europäischen Union, der Flüchtlinge aus Afrika, der Pleite Griechenlands, der Nato, der Krim, dem bösen Russen und dem Journalismus des Mainstreams, der dem guten Westen dient. Es ging um die Frage, wie unabhängig dieser Journalismus beim Thema Sicherheitspolitik sei.
Für die Sendung hatte sich „Die Anstalt“ Verstärkung geholt: die Kabarettisten Emmanuel „Alfons“ Peterfalvi und Abdelkarim und den Liedermacher Konstantin Wecker.
Nach der Sendung stellte ich für mich fest, dass „Die Anstalt“ mit althergebrachten Kabarett nichts mehr zu tun hat. Für mich war es Investigativer Journalismus, der sich dem Stilmittel Kabarett bedient. Vielleicht ähnlich wie das Politikmagazin Monitor, nur eben geschmückt mit etwas Humor an den passenden stellen. Ich war beeindruckt und viele andere waren es auch.
Auf Facebook, wo ich Administrator der Fan-Club-Gruppe „Die Anstalt“ war, erreichten mich Kommentare und E-Mails, die den journalistischen Wert der Sendung hervorhoben:
„Das sind die echten Nachrichten.“
„So was muss ich mir in einer Satire-Sendung ansehen, damit ich auf dem Laufenden bin.“
„Das ist die Sendung mit der Maus – für Erwachsene.“
Das sind nur wenige Beispiele. Fast täglich erhielt ich solche Nachrichten. Die Qualität der Sendung wurde von den Zuschauern also von Anfang an als sehr hoch eingeschätzt und besagte Sendung aus dem April war das, was man ein Highlight nennt.
Die Anstalt ist mehr als Satire
Das, was in der Sendung auf einer Schautafel gezeigt wurde, Lobbyorganisationen mit einem Faible für Militär, Nato und Rüstung und die Mitgliedschaften von Verlegern und Chefredakteuren, konnte nur nach sehr eingehender journalistischer Recherche in dieser Form präsentiert werden. Das war den Zuschauern sicher sofort klar.
Die Sicht auf den sogenannten Qualitätsjournalismus des Mainstreams, seiner Protagonisten und vor allem deren Verbindungen zu diesen Lobbyorganisationen wie zum Beispiel der Münchner Sicherheitskonferenz, der Atlantikbrücke oder dem Aspen Institute, in der Sendung pauschal unter dem Begriff Nato-Versteher subsumiert, gefiel nicht jedem. Einige Herrschaften bei der Wochenzeitung Die Zeit fühlten sich derartig auf den Schlips getreten, dass sie mit einer Unterlassungsklage gegen die Sendung vorgingen. Dabei war doch alles nur Satire oder …?!
Die Macher der Anstalt hatten in ein Wespennest gestochen. Es ging vor Gericht, und sogar bis hoch zum Bundesgerichtshof, der die Klage gegen „Die Anstalt“ schließlich verwarf.
Die in die Tiefe gehenden Recherchen, die zu dieser Sendung angestellt wurden, blieben keine Ausnahme, sondern wurden zur Regel. Zu jeder Folge wird ein umfangreicher Faktencheck mitgeliefert und in der ZDF-Mediathek präsentiert. Das Kabarett und „Die Anstalt“ haben den Journalismus auf ein neues altes Level gehoben: kritisch gegenüber Macht, Staat und seinen Institutionen.
Kennen Sie Distomo?
Die Sendung vom April 2014 ist nur als Beispiel für diese neue Form. Auch danach wurden bei der Anstalt kritische Themen und Fakten vorgestellt, sodass dem geneigten Zuschauer der Mund offen stehen blieb.
Kabarett, unterlegt mit knallharten Fakten, keine ausgedachten kleinen Lachnummern, sondern mitunter sehr traurige Begebenheiten, die der „Normalo“ ohne die Anstalt gar nicht so und schon gar nicht aus diesem kritischen Blickwinkel wahrgenommen hätte.
Eine Sendung über Griechenland, in der an die Besetzung durch deutsche Truppen während des Zweiten Weltkriegs und die Gräueltaten erinnert wurde, war für viele junge Zuschauer offenbar fast nicht zu glauben. Ich erhielt zahlreiche Nachrichten mit der Frage: „Ist das denn wahr, was dort gezeigt wurde?“
Das Massaker in dem Örtchen Distomo im Juni 1944, bei dem Angehörige der 4. SS-Polizei-Panzergrenadier-Division (ursprünglich aus Freiwilligen der Ordnungspolizei zusammengestellt) über 200 Zivilisten umbrachten, darunter Frauen, Kinder und sogar Säuglinge, war im historischen Wissen der jungen Menschen nicht präsent.
Jetzt ist das Wissen wieder da, weil „Die Anstalt“ das Verbrechen zum Thema gemacht hat. Es flossen Tränen, auch bei mir. Aber sollte Kabarett nicht doch zum Lachen sein?
Die Anstalt als Rache
Es sprach sich rum, immer mehr, dass da ein TV-Format am Start war, das einmal im Monat monothematisch etwas auf die Bühne brachte, was mit Aufklärung zu tun hat. Und das dann auch noch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Die Anstalt erreicht sehr viele Jugendliche, das kann ich aus der Korrespondenz klar ableiten. Die Reaktionen kommen von Studenten, die schreiben, dass sie das Material der Anstalt als Lehrmaterial nutzen oder sie fragen, wo der Faktencheck zu finden ist. Selbst christliche Gruppen treffen sich nach den Sendungen oder schauen sie gemeinsam, um die Inhalte dann zu diskutieren. Und auch im Ausland hat „Die Anstalt“ sehr viele Fans – sie bezeichnen die Anstalt als eine der besten Informationssendungen.
Dieser Umstand veranlasste Max Uthoff zu dem Satz:
Es stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft noch mehr Formate wie die Anstalt braucht? Gibt es nicht genug Sendungen im TV, die der Anstalt sehr nahekommen? Ich würde sagen, ja, die gibt es. Monitor ist wie die Anstalt, eben ohne das Lachen. Aber wer lacht eigentlich noch bei der Anstalt? Ist es nicht mittlerweile nur noch ein bitterer Anfall von erzwungener Fröhlichkeit, weil das Lachen über die Zustände im Halse stecken bleibt?
Es ist beides, würde ich sagen. Das Lachen in Verbindung mit der Pointe ist bei mir die Zustimmung zum oft bösen Sachverhalt. Bei Georg Restle von Monitor gibt es von vornherein nichts zu lachen. Bei Frontal21 gibt es am Schluss immer noch den satirischen Beitrag „Toll!“. Doch auch dabei kann ich oft gar nicht mehr lachen. Warum ist das so? Ich versuche mich an einer Antwort.
Die Realität aus dem Bergwerk holen
Die von Dieter Hildebrandt begründete Kabarettsendung Scheibenwischer war immer sehr politisch, auch kritisch, aber die tieferliegenden Fakten wurden nicht so klar aus der Dunkelheit des Humorbergwerks hochgeholt. Die Anstalt stellt die Fakten in den Vordergrund und motiviert dazu, sich mit den Hintergründen auch nach einer Sendung zu beschäftigen. Und wenn es mal sehr „böse“ wird, wie beim Auftritt des letzten Überlebenden von Distomo, gibt es ohnehin keine Pointe, sondern nur noch Aufklärung pur.
Ein extrem gutes Beispiel, welche Dynamik sich entwickeln kann, liefert eine Folge der Anstalt aus dem November 2017 über den Neoliberalismus. Nach der Ausstrahlung fanden sich einige politisch interessierte Menschen zusammen, die heute in der digitalen Sphäre von Facebook in der Gruppe Mont Pelerin Gesellschaft – Nein Danke! Rechercheergebnisse und Informationen über neoliberale Netzwerke, deren Verästelungen in Wirtschaft und Politik und ihre Strippenzieher zusammentragen und im World Wide Web veröffentlichen.
Das machen sie in ihrer Freizeit natürlich und der Sache wegen. Denn darum geht es: Fakten ausgraben, der Öffentlichkeit vorlegen und sich so nah wie möglich an die Realitäten heranarbeiten. Das ist kein Kabarett, aber eine Prise „Die Anstalt“: Es ist die Rettung des Journalismus vor dem Mainstream.
Quellen und Anmerkungen
Spiegel Online: „Zeit“-Journalisten scheitern mit Klage gegen ZDF-Satire. Auf https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/die-anstalt-klage-zeit-journalisten-scheitern-vor-dem-bgh-a-1129417.html (abgerufen am 05.07.2019).
Weltnetz TV: Schuldner oder Gläubiger: Ausplünderung Griechenlands hat Geschichte. Auf https://weltnetz.tv/video/1234-schuldner-oder-glaeubiger-auspluenderung-griechenlands-hat-geschichte (abgerufen am 05.07.2019).
Das Buch zur Sendung „Die Anstalt“: Dietrich Krauß – Die Rache des Mainstreams an sich selbst. Erschienen im Westend Verlag. Informationen auf https://www.westendverlag.de/buch/die-rache-des-mainstreams-an-sich-selbst (abgerufen am 05.07.2019).
Horst Berndt ist Jahrgang 1955 und lebt in Berlin. Als Bürgerjournalist fühlt sich Horst Berndt dem Gemeinwohl und den Menschen verpflichtet und versucht in seinen Beiträgen dennoch eine möglichst neutrale Position einzunehmen. Ein Schwerpunkt seiner Berichterstattung liegt auf den EU-Richtlinien zur Terrorismusbekämpfung. Ehrenamtlich engagiert er sich in Berlin-Lichtenberg in der Flüchtlingshilfe. Er setzt sich für eine gerechtere Gesellschaft ein und wurde unter anderem inspiriert durch den Systemkritiker und Soziologen Jean Ziegler.