Doris Achelwilm ist Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag für Gleichstellungs-, Queer- und Medienpolitik. Auf dem 10. Queer-Empfang der Fraktion Die Linke im Bundestag und der Abgeordnetenhausfraktion Die Linke in Berlin am 7. Juni im SchwuZ in Berlin-Neukölln [1] hatte der Schattenblick Gelegenheit, ihr einige Fragen zu stellen.
Schattenblick: Wird in der Linkspartei auch die Forderung erhoben, die Wahl des Geschlechtes gänzlich freizustellen?
Doris Achelwilm: Ja, es ist derzeit so, daß die dritte Option, wenn man diese Kategorien trennscharf halten möchte, auschließlich für intergeschlechtliche Menschen vorgesehen ist. Wir wollten eine dritte Option frei nach Wahl offen und im Prinzip für alle. Das hatten wir vor dem Hintergrund dessen, was debattiert wurde und was rechtssicher gemacht hätte werden können, im Visier. Uns geht es insbesondere darum, daß die Gutachterzwänge komplett wegfallen. Die Pathologisierung, die daraus resultiert, daß ein selbstbestimmtes Geschlecht im Zweifelsfall mit Krankheit oder Therapiebedürftigkeit gleichgesetzt wird, ist ein Riesenproblem. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil besagt eigentlich, daß es dieses Problem nicht mehr geben darf. Indem das Bundesinnenministerium es in Form einer engen, minimalistischen und kleinlichen Auslegung der dritten Option umgesetzt hat, wurde eine historische Chance vertan.
Natürlich lautet die weitergehendere Frage, warum wir Geschlecht überhaupt erfassen müssen. Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit, die jedoch nicht wirklich zur Abstimmung stand. Aber sie wurde durchaus mit in den Diskurs eingebracht, nicht nur von uns. Als es sich über die Ausschußarbeit und die Arbeit in den Fraktionen enger zog, kam am Ende nur noch diese sehr kleine dritte Option heraus.
Warum legt der Staat Ihrer Ansicht nach Wert darauf, Geschlechter zu kategorisieren? Worin liegt der Nutzen, die exekutive Logik?
Ich glaube, er muß es nicht, aber im Sinne der gängigen Ordnungsprinzipien in unserer Gesellschaft will der Staat sich Klarheit über die Geschlechter verschaffen und die gegebene Rollenzuteilung auf diese Weise aufrechterhalten. Das läuft jetzt gar nicht im Sinne eines geschlechtskonservativen Masterplans, sondern das sind einfach Normen und damit verbundene Rollenerwartungen, die vorausgesetzt werden. Aus diesen Mustern kann sich die Regierungspolitik gerade nicht herausdenken und will es auch nicht. Es gibt kein Interesse daran, das aufzulösen. Das ist der Punkt, auch wenn es noch einmal untergegliederte Rechtauslegungen geben mag, warum das so sein soll. Sicherlich gibt es etwa in der Medizin begründetes Interesse, etwas über das Geschlecht von Patient*innen zu erfahren, aber natürlich können die Mediziner*innen auch ohne übergeordnete Erfassung feststellen, mit was für einer Art von Körper sie es gerade zu tun haben.
Rechter Antifeminismus, rechte Homo-, Trans- und Interphobie nehmen zu. Wie erleben Sie die Gegenwart der AfD im Bundestag? Werden Sie auch mit patriarchalen Attitüden konfrontiert?
Ja, zuerst einmal ist es die Zusammensetzung dieser Fraktion. Sie ist zu rund 90 Prozent cis-männlich und zu etwa 10 Prozent mit Frauen besetzt. Das entspricht ungefähr den Verhältnissen innerhalb der Partei. Ich habe im Ausschuß für Familie bei Gesetzesberatungen auch schon die Argumentation aus den Reihen der AfD gehört, daß Frauen sogar überrepräsentiert seien, weil sie sich gesamtgesellschaftlich sehr viel weniger für Politik interessieren und engagieren würden, als es sich im Bundestag abbildet. Das ist so ein patriarchaler Gestus, der sich einfach in den Äußerungen, auch in den Anträgen und Initiativen der AfD ausdrückt. Alles, was mit Gender, Geschlechterpolitik und Queerpolitik zu tun hat, wird entweder ganz offen oder subtil ins etwas Lächerliche gezogen oder zumindest in Frage gestellt. Aber meistens ist der Zugang sogar regelrecht zynisch, indem man sich darüber echauffiert von wegen ‚guck mal, womit sich die Regierung oder die Parteien im linken Spektrum wieder einmal auseinandersetzen‘. Oder man macht Gegenüberstellungen wie ‚eine dritte Option, oh, das betrifft bundesweit nur soundsoviel tausend Men- schen, aber das muß gemacht werden, während Millionen ganz andere Probleme haben‘.
Das sind typische Argumentationsmuster der AfD, die im wesentlichen Politik für mittelständische weiße Männer macht, ohne daß sie es wahrscheinlich so genau selber benennen können. Dann müßten sie ja diese eine Art von Normalstatus, den sie für gefährdet halten, bedienen oder herstellen. Wenn es früher einmal so war, daß man als Mann davon ausgehen konnte, als Alleinverdiener einigermaßen klarzukommen, gilt das für den Neoliberalismus nicht mehr in dem Ausmaß. Männer haben zwar immer noch mehr soziale Sicherheit als Frauen, aber es ist nicht mehr so stabil. Auch daher kommt dieser antifeministische Druck von rechten Männern, und es gibt auch einen Antifeminismus von rechten Frauen, die ihre eigene Agenda haben und natürlich gegen Schwangerschaftsabbruch sind.
Frau Achelwilm, vielen Dank für das Gespräch.
Erstveröffentlichung am 16. Juni 2019 unter dem Titel INTERVIEW/436: Gleichstellung der Geschlechter – drei Optionen … Doris Achelwilm im Gespräch (SB) bei unserem Medienpartner Schattenblick.