Andreas Blechschmidt, Aktivist der Roten Flora in Hamburg, plädiert in seinem Buch „Gewalt, Macht, Widerstand“ dafür, dass Militanz auch mit einer Vermittlung einhergehen müsse. Diese Gewaltbejahung ignoriert den enormen Schaden, der durch pseudoemanzipatorisches Gehabe für die legitimen Anliegen von Protestbewegungen entsteht.
Zur Demokratie gehören auch Protestbewegungen, stehen sie doch für Grundrechte und Pluralismus. Dass dabei Gewalt abgelehnt wird, zählt zu den grundlegenden Selbstverständlichkeiten. Dies wird aber in bestimmten Bereichen des Protestmilieus anders gesehen. Für Autonome ist die sogenannte Militanz konstitutiv, was auch bei den Ausschreitungen anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg 2017 beobachtbar war. Davon konnte man nicht überrascht sein. Allein die im Internet problemlos zugänglichen Mobilisierungsvideos machten deutlich, dass manche Anreisende nicht mit friedlichen Einstellungen kommen würden. Das Ausmaß der Gewalttaten verschreckte dann selbst das Umfeld und führte zu absonderlichen Reaktionen. Diese schwankten zwischen Bejubelung und Ignoranz, es gab weniger Reflexionen und Selbstkritik. Andreas Blechschmidt, der in Hamburg in der „Roten Flora“ aktiv ist, äußert sich jetzt dazu in einem eigenen Kommentar, der als „Gewalt, Macht, Widerstand. G20 – Streitschrift um Mittel und Zweck“ erschien.
Wer eine Distanzierung von Gewalt erwartet, der kann gleich schon auf der ersten Seite lesen: „Es wird ausdrücklich nicht darum gehen, militante Interventionen im Konkreten oder militante Politik im Allgemeinen zu diskreditieren, sondern Militanz in Beziehung zu den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen zu bringen“ (S. 6). Als kleine Lesehilfe sei hier schon erläutert: Die Begriffe „Gewalt“ und „Militanz“ werden meist synonym genutzt, wobei mit der letztgenannten Bezeichnung etwas Grundsätzlicheres gemeint ist. Die zitierte Bekundung meint indessen nur, dass Blechschmidt sich nicht von Gewalt distanzieren will, sondern nach den Kontexten fragt. Dass Gewalt ein legitimes Mittel sei, um den Kapitalismus zu überwinden, wird dabei nicht näher begründet, sondern letztendlich vorausgesetzt. Es geht mehr um das Problem der Vermittlung.
Denn Blechschmidt war schon aufgefallen, dass bestimmte Ereignisse in Hamburg nicht unbedingt Sympathien auslösten. Diese hält er denn auch um gesellschaftlicher Akzeptanzen willen für problematisch: „Wenn binnen 24 Stunden zunächst in Altona u. a. 19 Kleinwagen abgefackelt werden, parallel dazu ein Bengalo in ein Geschäft, über dem sich Wohnungen befanden, geworfen wird und dann später im Schanzenviertel versucht wird, zwei Geschäfte, über denen sich wiederum Wohnungen befinden, in Brand zu setzen ebenso wie eine Tankstelle mitten im Viertel, dann muss die Frage nach den Mitteln zum Zweck gestellt werden“ (S. 51).
Dann könnten aber auch folgende Fragen gestellt werden: Was sind das für Akteure? Welche Einstellungen haben sie? Und welche Menschenfeindlichkeit ist ihnen eigen? Blechschmidt sorgt sich aber mehr um die Vermittlung, er thematisiert weniger die Gewalt als Handlungsstil an sich. Demgemäß gelingt es ihm auch nicht, zwischen angeblich legitimen und nicht-legitimen Formen begründet und trennscharf zu unterscheiden. Stattdessen beginnt er einen Ausflug in die Ideen- und Realgeschichte, da kommen mal Hannah Arendt und Johann Galtung, mal die Pariser Kommune von 1871 und mal der Pariser Mai von 1968 vor.
Dabei verstolpert sich der Autor gleich mehrfach. Wenn dann auf Gemeinsamkeiten linker und rechter Gewalt verwiesen wird, reagiert Blechschmidt allergisch: „Diese totalitäre Gleichsetzung menschenverachtender rechter Gewalt mit linker Militanz ist Ausdruck des Establishments, die bestehende kapitalistische Ordnung zu verteidigen“ (S. 70). Er selbst muss aber versteckt in einer Fußnote einräumen, dass bestimmte linke Protestformen „mittlerweile rechte Gruppen“ (S. 80, Fußnote 97) nutzen. Doch darüber reflektiert er nicht.
Bei den philosophischen Deutern der Gewalt kommt übrigens Georges Sorel nicht vor, der doch für Anarchisten wie Faschisten ein Klassiker wurde. Diese Gemeinsamkeiten könnten zum Nachdenken anregen. Aber dann müsste man die Gewaltfixierung ablegen, so soll sie als pseudoemanzipatorischer „Riot“ legitimiert werden. Derartige Denkungsarten und Handlungen haben den Protestbewegungen erheblichen Schaden zugefügt. Man redet über Gewalt, nicht über Globalisierungskritik. Wer freut sich wohl am meisten darüber?