Auf ein Wort vorab: Das Buch, das ich hier vorstellen möchte – und das sicherlich nicht im Geringsten so umfassend, wie dessen Inhalt und die daraus resultierenden Erkenntnisse für mich sind – hat mich über einige Monate aktiv begleitet und beschäftigt und meine Sichtweise auf viele alltägliche Situationen, Erlebnisse und Erfahrungen, nicht nur in Bezug auf Hautfarbe, nachhaltig verändert.
Lange habe ich darüber nachgedacht, wie ich das, was mir immer wieder, verschiedene Bereiche vergleichend, durch den Kopf ging, verschriftlichen könnte. Zu viel an Verbindungen, zu viel an Kleinteiligkeit hilft nicht. Das habe ich gemerkt, als ich mir mein Exemplar, übersät von mit Bleistift markierten Passagen, durchblätterte, um mir so etwas wie eine Struktur für meinen Beitrag hier zurecht zu legen. Denn im Wesentlichen geht es ganz einfach darum, dass niemand, der nicht einer bestimmten Gruppe von Menschen angehört, deren Bedürfnisse erfassen oder die ihnen entgegengebrachten (leider meist bereits strukturell verankerten) Vorurteile und Benachteiligungen beurteilen kann. Ich bin weiß. Das ist die Norm. Und wenn ich mich in meinem Leben umsehe, dann dachte ich zwar immer, dass ich nichts mit Rassismus zu tun habe, doch da ich genauso wie alle anderen Menschen in unserer Gesellschaft von Strukturen profitiere oder auf der anderen Seite abhängig bin, betrifft es auch mich auf jeden Fall, wenn es uns nicht gelingt, strukturelle Ungleichheiten so weit wie möglich zu reduzieren. Ob sie jemals gänzlich ausgelöscht werden können, wage ich zu bezweifeln. Doch wie singt die beste Band der Welt so schön? „Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär nur Deine Schuld, wenn sie so bleibt.“* Und aus diesem Grund veröffentlichte Reni Eddo-Lodge am 22. Januar 2014 einen Post mit dem Titel „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“, der beim Tropen Verlag zum vorliegenden Buch mit dem gleichnamigen Titel führte.
Reni Eddo-Lodge nähert sich ihrem Hauptthema strukturellem Rassismus bezogen auf Großbritannien. Ihre Beobachtungen und Erfahrungen lässt sie ebenso einfließen, wie ihre Forschungen zur Historie des britischen Empires, das zum Beispiel erst im jahr 1833 ein Gesetz gegen die Sklaverei verabschiedete und heute noch einige Kronkolonien aufweist. Was jedoch die Lehre einer schwarzen Geschichte und den damit verbundenen Versuchen, eine Gleichstellung zu erreichen angeht, war der Fokus auch in Eddo-Lodges Heimat immer auf die Vereinigten Staaten von Amerika gerichtet. Hier ging es um die bekannten Geschichten zu Rosa Parks, die aufkommende Bürgerrechtsbewegung, Martin Luther King oder Harriet Tubmans Underground Railroad. Eine Betrachtung der Black History aus britischer Sicht gab es faktisch nicht. Und hier setzt Eddo-Lodge an, indem sie ihre eigene Verblüffung darüber und ihren Wunsch, mehr über die britische Black History zu erfahren, zum Einstieg in ein überaus kluges, gut strukturiertes, empathisches und dennoch Grenzen setzendes Buch machte.
Ausgehend von Geschichte(n), die im übrigen in ihren strukturellen Auswirkungen ebenso gut übertragbar auf unsere Gesellschaft und das Erstarken rechter Bewegungen als auch auf feministische Themen sind, analysiert Eddo-Lodge im folgenden, was sie unter „das System“ versteht, erklärt, weshalb die Hautfarbe Weiß ein unverbrüchliches Privileg darstellt, wie es zu einer absolut absurden Angst kommt, die den rechten Parteien in die Hände spielt, nähert sich der Feminismusfrage fundiert, deckt die Verbindungen zwischen Klasse und Hautfarbe auf und richtet schlussendlich einen leidenschaftlichen aufrüttelnden Appel an uns alle, uns jeden Tag im Alltag erneut dort zu engagieren, wo es nötig ist.
So persönlich ihr Einstieg in das komplexe Thema des (Alltags-)Rassismus ist, ebenso persönlich endet das Buch mit den Auswirkungen, die es im Allgemeinen und für Eddo-Lodge selbst hatte, den anfänglich erwähnten Blogpost und im Nachklang dieses wichtige Buch verfasst zu haben. Wer das Buch bereits kennt, wird mir zustimmen: Immer wieder gibt es Momente während der Lektüre, die eine Pause nötig machen. Eine Pause, um über das Gelesene nachzudenken, sich selbst genau zu untersuchen, auf die eigenen Verhaltensweisen. Die Frage, die sich mir immer wieder stellte war: Was, verdammt noch mal, kann ich tun? Denn, dass ich etwas tun muss, das war nicht mehr die Frage. Die Antwort hat sich mir tatsächlich aufgedrängt: zuhören, annehmen, einfach anerkennen, was anderen passiert, ohne es wegzuwischen, da ich diese Erfahrungen nie in meinem Leben machen werde, mit denen sich People of Colour tagtäglich konfrontiert sehen. Das ist zumindest ein Anfang, neben aktiver Unterstützung und ebensolcher Einmischung.
Was die vielen inhaltlichen Punkte, die Eddo-Lodge anspricht, angeht, die muss man/frau sich tatsächlich selbst erlesen, was aber aufgrund der intelligenten Struktur des Buches nicht schwer fällt. Eddo-Lodge hat ihr Handwerk, den Journalismus, gelernt und weiß ihr Können optimal zu präsentieren. Großartig, wie sie mit ihrem Post und diesem Buch etwas angetriggert hat, das nun bereits – so schreibt sie es selbst – einen Wendepunkt zu positiver Veränderung erreicht hat. Sie wollte mit diesem Buch die Diskussion über Hautfarbe verändern. Und das hat sie spielend geschafft. An ihre Leserschaft hat sie eine kluge Bitte, die wir alle doch recht einfach erfüllen könnten, wenn wir einfach wieder in Verbindung treten. Mit uns selbst und mit anderen.
Mein Traum ist es, dass die Menschen bei meinen Lesungen die Gelegenheit nutzen, um sich kennenzulernen, Adressen auszutauschen und den lokalen Widerstand auszubauen.
Denn wie Terry Pratchett einmal schrieb: Es gibt keine Gerechtigkeit, es gibt nur uns Absolute Leseempfehlung. LEST DIESES BUCH und dann MÜSSEN WIR REDEN!
„Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“ von Reni Eddo-Lodge liegt beim Tropen Verlag bereits in dritter Auflage (und das völlig zu Recht) vor. Für mehr Informationen Doppelklick auf das im Beitrag abgebildete Cover oder direkt auf der Verlagsseite.
*“Deine Schuld“ – Die Ärzte