Das Nachrichtenportal Amerika21 bemüht sich um Aufklärung des obigen Widerspruchs mit einer Rezension von Holger Buttkereit zum Buch „Sozialismus des 21. Jahrhunderts in Venezuela“ (Stefan Peters,Verlag Schmetterling, 2019).
Amerika 21 titelt die Rezension mit – Öl, Öl, und nochmals Öl -. Die Diktion des Buches verfolgt als Grundaussage, dass die Regierung des rohstoffreichen Landes überwiegend selbst schuld (?) am gegenwärtigen Zustand sei und die Ölkonzerne des Nordens hätten ein natürliches Recht (?) auf Zugriff der Ressourcen in Venezuela. Dem muss widersprochen werden! Auch die ständigen Reichtumsbehauptungen brauchen Präzision!
Rohstoffreichtum bedeutet per se nicht verfügbaren Kapitalreichtum. Entwicklung braucht stets neue Kredite. Insgesamt informiert das Buch über viele Zusammenhänge, die zum beklagenswerten Zustand Venezuelas geführt haben.
Die Hauptursachen der Misere des Landes werden aber unzureichend behandelt. Korruption ist eine Plage des egoistischen Kapitalismus. Seine Ausrottung eher eine Frage der Moral als der Gesetzgebung, sowie des richterlichen Verhaltens. Der Buchautor Stefan Peters verharrt in seiner Gesamtbetrachtung im Teufelskreis der neoliberalen Gedankenwelt.
Seit der Kolonialisierung Venezuelas wurde das Land in die Rolle des Rohstofflieferanten gedrängt. In feudalen Zeiten entschieden Gesetze aus Madrid über 300 Jahre, was in Venezuela aus den Arbeitsleistungen der Bevölkerung verbleiben darf. Danach, seit 200 Jahren, bestimmen die US-amerikanische Monroe-Doktrin und die Monopolstellungen der Banken über die Kreditvergaben, über Zinshöhen mittels Ratingagenturen. Weltweit anerkannter Fakt ist, dass ohne Kreditierung eine wirtschaftliche Entwicklung nicht möglich wird! Es sind Finanzpolitiker der kapitalistischen Industrieländer, die schließlich auf Antrag Kredite gewähren, und z.B. welche Finanzmittel im Staatshaushalt für das soziale Netz, für interne Investitionen, für die Grundsatzforschung, für die Kostendeckung der staatlichen Verwaltung bereitgestellt werden darf. Mehrfach wurden nur Kredite bereitgestellt, wenn eine entsprechende Privatisierung des gesellschaftlichen Vermögens in Venezuela erfolgt. Das vom Internationalen Währungsfonds betriebene Prozedere zur Kreditgewährung stand seit Jahren unter heftiger internationaler Kritik, auch der UNO.
Der ständige Kreditmangel führt zum Hauptproblem Venezuelas. Die Wertschöpfungsketten zur Verarbeitung der Rohstoffe liegen, beginnend beim Transport der Rohstoffexporte, in den Händen ausländischer Konzerne. Das erdölreiche Venezuela hat keine eigene Tankerflotte für den internationalen Markt. Verarbeitete Erdölprodukte müssen für den Bedarf des Landes bis zur Gegenwart importiert werden, auch Benzin. Zur Realität gehört, dass erst der Prozess der Wertschöpfung in jeder neuen Verarbeitungsstufe die Voraussetzungen für Wohlstand und Fortschritt eines Landes bringt. So über Steuereinnahmen aus jeder Stufe, über Vermögensanteile zur Bildung von Renten- und Versicherungsfonds als Quellen neuer Kredite und vor allem Arbeitsplätze und Lohngeldeinahmen der Bevölkerung zur Gestaltung ihres Lebens. Für den Aufbau einzelner Wertschöpfungsstufen, die jeweils eigenständige Investitionsobjekte sind, werden Kredite benötigt und im Falle der Entwicklungsländer die zusätzliche Bezahlung für Technologiepatente, Lizenzen, Markennamen etc.
Chávez wollte soziale Verbesserungen für die Bevölkerung einführen, aber auch den über Jahre bestehenden Abhängigkeitsprozess vom Ausland ändern. Sicher sollte auch das „Versickern“ von Teilen der Exporteinnahmen im System der sogenannte „Rentenökonomie“ alter Zeiten beendet werden. Er begann ein kostenfreies Schul- und Gesundheitssystem mit kubanischer Hilfe aufzubauen, vertrieb die extreme Armut aus dem Land, finanzierte Wohnungsbauprogramme für die unteren Schichten der Bevölkerung und Genossenschaften. Seine Versuche enthielten Elemente einer echten gesellschaftlichen Alternative, die er Sozialismus des 21. Jahrhunderts nannte und knüpfte an frühere Versuche Mexikos, Guatemalas, Nikaraguas, Kubas, Chiles u.a. an. Seine Vorhaben deckten sich mit Empfehlungen der UNO zu den Millenniumszielen. Seine historisch zu nennende Absicht besteht darin, dass er die Profitlogik einer alten Ordnung in eine soziale Logik, verbunden mit dem Schutz der Natur, ablösen wollte.
Eine solche Systementwicklung stufte die US-Administrationen willkürlich als Gefahr für ihre Sicherheit ein. Aktionen zum „Regime Change“ gemeinsam mit der venezolanischen Opposition verschärften die innere Lage. Alle möglichen Mittel der Politik, der Wirtschaft und im militärischen Bereich unterhalb einer Truppeninvasion wurden unternommen, um das Chaves-Konzept zu beenden.
Der Chavismus schaffte es in den kurzen 20 Jahren seiner Herrschaft nicht, vor allem mittelständische industrielle und landwirtschaftliche Strukturen aufzubauen, um die innere Versorgung vom Ausland unabhängiger zu gestalten und über ein internes Besteuerungssystem eigene Kreditquellen zu schaffen. Volkswirtschaftliche Zielstellungen zu formulieren und abzustimmen, um zum Beispiel eigene Wertschöpfungsketten zu schaffen (Entwicklungsvorschläge für den Zeitraum 2013-2019 vom 11.6.2012) sind nur ein erster Schritt. Die Umsetzung in die Realität braucht viele Jahre, umso länger, wenn bewusste Störungen die Prozesse behindern. Die internationale Zusammenarbeit zum gegenseitigen Wohle der Partner ist Bedingung.
Wie zu oft in der Geschichte Lateinamerikas drohen Niederlagen durch international organisierte Gegenkräfte. Ob subjektive Fehler der Vorwärtsstrebenden zum Stopp der Entwicklung beitragen, kann von außen kaum richtig beurteilt werden. Ausschlag gibt, auch das lehrt die Geschichte, der Wille der Mehrheiten und ihr Wissen über die großen Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Politik und ein Buen Vivir.
Das Buch von Stefan Perers kann nicht für linke Solidaritätsbewegungen empfohlen werden und die Rezension von Holgert Buttkereit hätte mehr Sympathie mit dem Fortschrittskräften Venezuelas vertragen.