Ein dramatisches Ende für eine Geschichte, die innerhalb von zwei Wochen das Maß an Unmenschlichkeit auf ein bisher unvorstellbares Niveau gehievt hat: Gestern Abend fuhr die Sea-Watch zum Handelspier des Hafens von Lampedusa, reagierte nicht auf das „Halt“ der italienischen Finanzpolizei, streifte ein Patrouillenboot, das versuchte, sie zu stoppen, und legte am Dock an.
„Die Kapitänin hat entschieden“, erklärte die Sprecherin der NGO Giorgia Linardi. „Trotz der auf europäischer Ebene angekündigten Vereinbarung und der Gerüchte über eine bevorstehende Landung hatten wir keinerlei Versicherungen erhalten, keine Sicherheit, obwohl wir 36 Stunden lang den Notstand erklärt hatten. Es lag daher in ihrer Verantwortung, diese Menschen in Sicherheit zu bringen. Der Verstoß wurde nicht von der Kapitänin, sondern von den Behörden begangen, die dem Schiff sechzehn Tage lang nicht geholfen haben.“
Carola Rackete wurde wegen Widerstand oder Gewalt gegen ein Kriegsschiff verhaftet, angeblich unter Verstoß gegen Artikel 1100 des Schifffahrtsgesetzes, eine Straftat, die mit Freiheitsentzug von drei bis zehn Jahren geahndet wird. Möglicherweise soll ihr zudem versuchter Schiffbruch angelastet werden. Wie Francesco Vignarca von Rete Disarmo auf Facebook schreibt, musste, um sie verhaften zu können, ein Artikel des 1942 vom damaligen „König von Italien und Albanien und Kaiser von Äthiopien“ erlassenen Schifffahrtsgesetzes entstaubt werden.
Im Morgengrauen gingen die 40 verbliebenen Schiffbrüchigen schließlich an Land und das Schiff wurde beschlagnahmt.
Heute mehr denn je muss jeder selbst entscheiden, auf welcher Seite er steht: der der zynischen und anmaßenden Regierung, die auf dem Rücken von schutzbedürftigen Menschen, die Hilfe benötigen, Wahlkampfpolitik aus puren Eigennutz betreibt, oder auf der von Kapitänin Carola, die das Wohlergehen anderer Menschen über alle die eigene Person betreffenden Risiken stellt und ungerechte Regeln und Gesetze bricht.
Die „sbruffoncella“, wie Carola von Salvini genannt wurde („sbruffone“ heißt auf Italienisch Angeber, also etwa: „kleine Angeberin“; Anm.d.Ü.) kann auf berühmte Präzedenzfälle blicken: von Antigone über jene, die den Sklaven bei der Flucht in den Norden vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg geholfen haben, jene, die während des Zweiten Weltkriegs Juden und Partisanen versteckt haben, bis hin zu den schwarzen Amerikanern, die gegen die Rassentrennung mit zivilem Ungehorsam rebellierten. Verfolgt und oftmals zu ihrer Zeit getötet, werden sie heute als Helden und Rechtschaffene anerkannt, während ihre Henker als Beispiele für die schlimmsten Momente der Menschheit gelten. Die Hoffnung ist, dass wir nicht auf das Urteil der Geschichte warten müssen, bis diese Klassifizierung auch auf die Geschichte der Sea-Watch und ihrer tapfere Kapitän angewandt wird.
Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter