Die Verhaftung des Journalisten und Publizisten Julian Assange am 11. April 2019 in der ecuadorianischen Botschaft in London durch die britische Polizei war Teil eines umfassenden schmutzigen Deals zwischen Ecuador und den USA. Letztere haben zugestimmt, dem lateinamerikanischen Land einen Kredit des IWF in Höhe von 4,2 Milliarden Dollar zu geben [1], und Ecuador hat nicht nur den Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks ans Messer geliefert, sondern offenbar auch eine Milliardenklage gegen den US-Ölkonzern Chevron fallengelassen. Dieser hatte in der Vergangenheit bei der Erdölförderung im Tropischen Regenwald des lateinamerikanischen Landes weitflächige Ölverschmutzungen hinterlassen und weigert sich seit vielen Jahren, seiner Zusage, diese zu beseitigen, nachzukommen.
Ecuador hat unter dem seit zwei Jahren regierenden Präsidenten Lenín Moreno einen drastischen Kurswechsel vollzogen. Dabei hatte der ehemalige Vizepräsident des Landes im Wahlkampf 2017 noch erklärt, er werde die Politik seines Vorgängers Raphael Correa fortsetzen. Die war wirtschaftsfreundlich und mit einer Neigung nach links ausgerichtet. Moreno dagegen, der bereits in einen umfangreichen Korruptionsskandal verwickelt ist, verfolgt einen neoliberalen Wirtschaftskurs und baut das Land zu einem Vasallenstaat der Vereinigten Staaten von Amerika um. Deren früherer Präsident James Monroe hatte schon 1823 Lateinamerika faktisch zum eigenen Hinterhof erklärt – damals noch in Gegnerschaft zu europäischen Rekolonialisierungsbestrebungen. Von diesen um keinen Deut weniger kolonialistischen Ambitionen seitens der USA der Gegenwart hatten sich Correa und andere Regierungschefs des Kontinents zu befreien versucht. Moreno hingegen verhilft der sogenannten Monroe-Doktrin erneut zur Durchsetzung.
Auf viele politisch immens wichtige Aspekte, die mit dem Entzug der ecuadorianischen Staatsbürgerschaft Assanges und dessen anschließender Inhaftierung noch in der Botschaft zu tun haben, wie beispielsweise die Möglichkeit, daß ein Journalist, der brisante Informationen zugespielt bekommt und diese veröffentlicht, auf Basis der US-Terrorgesetzgebung angeklagt werden könnte, soll an dieser Stelle ebensowenig näher eingegangen werden wie auf die Schmutzkampagne gegen den Wikileaks-Gründer unter anderem durch die britische Zeitung „Guardian“, die reichlich von den Wikileaks-Veröffentlichungen profitiert hat, oder auf persönliche Rachegefühle Morenos, dessen Mauscheleien von Assange bzw. Wikileaks enthüllt worden waren. Allein am Beispiel eines Nebenaspekts des Deals mit den USA, das Fallenlassen der Klage gegen Chevron, läßt sich die neue geopolitische Orientierung Ecuadors, der verächtliche Umgang mit den Indigenen und die lasche Handhabung von Umweltverschmutzungen aus der Erdölförderung aufzeigen.
Im März dieses Jahres meldete die Nachrichtenagentur UPI [2] unter Berufung auf „El Telegrafo“, daß Ecuador nach 26 Jahren mehr oder weniger erfolgloser Klagen angefangen habe, die Ölverseuchungen, die von dem US-Unternehmen Texaco, das 2001 von Chevron übernommen worden war, und dem ecuadorianischen Unternehmen Petroecuador im Laufe von Jahrzehnten der Erdölförderung im Amazonas-Regenwald hinterlassen worden waren, zu beseitigen. Für den Anfang sollten dafür zehn Millionen Dollar bereitgestellt werden. Die Behebung der Umweltschäden sei die Forderung des Präsidenten Moreno gewesen, habe der ecuadorianische Energieminister Carlos Perez erklärt.
Wären die Umweltschäden im ecuadorianischen Teil des Amazonas-Regenwalds nicht so immens, könnte man behaupten, daß hier Spuren beseitigt werden sollen, so daß eine Klage vor Gericht mangels Beweisen keine Chance auf Erfolg hätte. Doch haben mehrere Gerichte Ecuadors die Summe der Schadensbehebung auf zwölf Milliarden Dollar beziffert. Das ist das 1200fache jenes ominösen „Anfangs“, den Moreno eingeleitet hat. An Beweisen wird es auch in vielen Jahren noch nicht mangeln.
„Dieser neue Fonds ist angesichts der Größenordnung des Schadens erbärmlich und stellt offensichtlich nur Chevrons jüngsten Versuch dar, seinen gerichtlich festgelegten Verpflichtungen gegenüber den indigenen Völkern Ecuadors zu entkommen“, sagte im März dieses Jahres der ecuadorianische Anwalt Agustin Salazar laut der Website Make Chevron Clean Up. Er vertritt die Interessen der indigenen Gemeinschaften und wußte im vergangenen Monat noch nichts davon, daß Moreno die Chevron-Klage fallenlassen könnte. [3]
„Während wir jede Hilfe begrüßen, die wir bekommen können, scheint dieser sogenannte Clean-up-Fonds ein weiteres Beispiel für Chevrons lange Geschichte von Korruption, Täuschung und Gier sowie die Schwäche unserer eigenen Regierung angesichts des Drucks des Unternehmens zu sein“, erklärte Rafael Pandam, Präsident des ecuadorianischen Amazonas-Parlaments und Mitglied der Amazon Defense Coalition (FDA), einer Gruppe von Gemeinden, die 2011 jenes Umweltgutachten über zwölf Milliarden Dollar gewonnen hatte.
Texaco hatte zwischen 1964 und 1992 als Teil eines Ölkonsortiums zig Milliarden Faß (1 Faß = ca. 159 Liter) toxische Ölschlämme in die Umwelt gekippt. Der Tropische Regenwald ist auf einer Fläche von 3100 Quadratkilometern kontaminiert. Das entspricht mehr als der doppelten Größe des schleswig-holsteinischen Landkreises Dithmarschen bzw. mehr als der dreifachen Fläche Berlins. Aus über 1000 ungesicherten Ölschlammbecken dringt die chemikalienbelastete klebrige Masse nach wie vor ins Grundwasser und kontaminiert auch Oberflächenwasser permanent. Knapp 400 Bohrlöcher und Fördereinrichtungen müßten wegen vorhandener Leckagen und akuter Leckagengefahr ebenfalls abgebaut werden. Die Erkrankungsrate der Indigenen, unter anderem mit Krebs, ist aufgrund der giftigen Dämpfe, des kontaminierten Wassers und der verseuchten Speisen signifikant gestiegen.
1995 hatte sich Texaco mit der damaligen Regierung Ecuadors auf ein 40 Millionen Dollar umfassendes Programm zur Behebung der Umweltschäden geeinigt. Drei Jahre darauf erklärte Ecuador die Arbeit für abgeschlossen. Das war sie jedoch nur offiziell, faktisch hingegen hatte die Beseitigung der Umweltschäden teilweise die Lage sogar noch verschlimmert. 2011 verurteilte ein ecuadorianisches Gericht den Rechtsnachfolger Texacos, Chevron, zu einer Entschädigungsleistung in Höhe von 9,5 Mrd. Dollar. Geklagt hatte die Organisation Frente de Defensa de la Amazonía (FDA), ein Zusammenschluß zur Verteidigung des Amazonas. 2014 wies ein Appellationsgericht in den USA die Klage zurück. Begründet
wurde dies damit, daß an der Klageerhebung drei Jahre zuvor Bestechung und Betrug beteiligt gewesen seien.
Weil Chevron nicht mehr in Ecuador tätig ist, wurde auch in anderen Staaten Klage eingereicht. Appellationsgerichte in Argentinien, Kanada, Gibraltar und Brasilien wiesen die Klage von 2011 ebenfalls zurück. Des weiteren wurde Chevrons Standpunkt durch das Urteil eines Schiedsgerichts in Den Haag vom September 2018 gestärkt. Demnach hat Ecuador einen Vertrag mit den Vereinigten Staaten verletzt, indem es seinen Gerichten gestattete, 2011 gegen Chevron vorzugehen. Texaco habe seine Verpflichtungen erfüllt, wie 1998 von der damaligen Regierung Ecuadors bestätigt worden sei.
Laut der Organisation Corporate Social Responsibility (CSR) hat Chevron 60 Anwaltskanzleien mit mindestens 2000 Anwälten und Rechtsexperten eingesetzt (Stand: 2013), um die Klage abzuwenden und statt dessen Ecuador ins Visier zu nehmen. Die Investition hat sich anscheinend bezahlt gemacht. Daß für die Anwalts-
kanzleien Finanzmittel in Höhe von zwei Milliarden Dollar verschlungen wurden, wie Make Chevron Clean Up berichtet, mit denen zumindest ein Teil der Umweltschäden hätte behoben werden können, scheint dem Konzern gleichgültig zu sein.
Mit den Umweltstandards, die Texaco zwischen 1995 und 1998 bei der Beseitigung von Umweltschäden angewandt hat, wäre das Unternehmen in seinem Stammland USA nie und nimmer durchgekommen. Dort sind die Standards 50mal strenger.
Jene 4,2 Milliarden Dollar, die der IWF über einen Zeitraum von drei Jahren für Ecuador freizugeben bereit ist und dessen erste Tranche 652 Mio. Dollar umfaßt, ist Teil eines noch größeren Finanzierungspakets, in das auch die Weltbank und andere Geldgeber involviert sind, in Höhe von zehn Milliarden Dollar. Dafür liefert Lenín Moreno den Kopf Julian Assanges den USA, läßt eine erhebliche Zahl an Indigenen gesundheitlich leiden und aufgrund vermeidbarer Schädigungen vorzeitig sterben. Moreno hat die Verläßlichkeit Ecuadors auch in Umweltfragen verspielt.
Erstveröffentlichung auf Schattenblick am 18. April 2019
Fußnoten:
[1] https://www.imf.org/en/News/Articles/2019/03/11/ecuador-pr1972-imf-executive-board-approves-eff-for-ecuador
[2] https://www.upi.com/Top_News/World-News/2019/03/06/Ecuador-to-clean-up-decades-old-Amazon-oil-pollution/5931551893715/
[3] https://www.makechevroncleanup.com/press-releases/2019/3/1/amazon-leaders-condemn-chevron-and-ecuador-government-for-setting-up-pathetic-clean-up-fund-to-cover-costs-of-12b-environmental-disaster