Die Datenschutzverordnung DSGVO behindert investigative Dokumentarfilmer und schützt Mächtige vor Kritik.
Investigative Journalisten sind darauf angewiesen, Informanten — zum Beispiel in Interviews — über Dritte zu befragen, denen ein Fehler zur Last gelegt wird. Das betrifft oft Politiker und Wirtschaftslenker. Wird diese Möglichkeit behördlich behindert, so erstickt das die Pressefreiheit und schützt mögliche Täter vor berechtigter Kritik. Genau dies geschieht aber mit einigen Paragrafen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Das Bedürfnis öffentlicher Personen nach Geheimhaltung wird oft höher bewertet als das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufdeckung von Missständen. Es gibt zwar „Medienprivilegien“, besonders für Aktive des öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehens, jedoch sind die Regelungen für investigative Dokumentarfilmer so unzureichend, dass man sie für verfassungswidrig halten kann.
Obwohl Deutschland durch die DSGVO der EU gehalten war, für die Meinungs- und Informationsfreiheit Ausnahmen zur DSGVO zu verabschieden, bleibt die Rechtslage insbesondere für investigative Dokumentarfilmer ungenügend. Wir müssen befürchten, künftig weniger Filme dieser Art zu sehen zu bekommen.
Die DSGVO gilt für alle Herstellungs- und auch Verwertungsprozesse eines Dokumentarfilmes
Die DSGVO gilt seit dem 25. Mai 2018 in der gesamten EU unmittelbar. Eine Datenerhebung im Sinne der DSGVO liegt bei Dokumentarfilmproduktionen unabhängig davon vor, ob digital oder analog gedreht wird. Schon handschriftliche Notizen, welche zum Beispiel in Besprechungen oder Recherchen vor dem Dreh erstellt werden, können nach Ansicht des Gerichtshofs der Europäischen Union eine Datenerhebung im Sinne der DSGVO darstellen (1). Dokumentarfilmer sind also zunächst selbstverständlich auch von der DSGVO betroffen.
Klare Medienprivilegien nur für das öffentlich-rechtliche und private Fernsehen
Die Mitgliedstaaten der EU dürfen und sollen zur Erhaltung der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit Regelungen erlassen, die die Ausübung dieser Rechte trotz Geltung der DSGVO weiter ermöglichen. Dies gilt natürlich auch zugunsten von Dokumentarfilmen. Hiervon haben in der Bundesrepublik Deutschland die Bundesländer für das öffentlich-rechtliche wie auch das private Fernsehen im Rundfunkstaatsvertrag (2) Gebrauch gemacht: So wurden in dessen Paragrafen 9c und 57 Regelungen einge-fügt, welche bewirken, dass die problematischen Regelungen der DSGVO für die Hilfs- und Beteiligungsunternehmen der Fernsehanstalten nicht gelten sollen. Diese Regelungen werden „Medienprivileg“ genannt und gelten ihrem Zweck folgend sowohl für Auftrags- als auch für Koproduzenten.
Anders verhält es sich aber mit unabhängigen Dokumentarfilmern, also solchen, die ihre Produktionen unabhängig von TV-Sendern finanzieren und produzieren. Diese Dokumentarfilmer werden vom Medienprivileg des Rundfunkstaatsvertrags nicht erfasst. Nur sechs deutsche Bundesländer haben zugunsten dieser Filmemacher in ihren Landesgesetzen Medienpivilegien erlassen. In den zehn anderen Ländern wurde dies dagegen übersehen. Ob ein Medienprivileg Anwendung findet, hängt vom Ort der Datenerhebung ab. Dabei ist noch unklar, ob hier der Ort der Tätigkeiten beziehungsweise Dreharbeiten maßgeblich ist, der Sitz des Filmemachers oder der Aufenthalts- oder Wohnort der betroffenen Personen.
Filmemacher, welche für das öffentlich-rechtliche oder private Fernsehen tätig sind, können aber von den gleichen Problemen betroffen sein: Hier ist es durchaus üblich, dass Verträge über die Zusammenarbeit erst nach Beginn der Dreharbeiten geschlossen werden: Bis dahin arbeitet der Filmemacher also ohne ihn schützendes Medienprivileg des Rundfunkstaatsvertrags.
Was ist, wenn der TV-Sender den Vertrag später doch nicht mehr unterzeichnen will? Genauso kann es passieren, dass sich ein TV-Sender nach erfolgtem Vertragsschluss unter Berufung auf ein etwaig bestehendes Kündigungs- oder Rücktrittsrecht wieder aus dem Vertragsverhältnis zurückzieht: Auch hier kann sich der Filmemacher im Nachhinein nicht mehr auf die Zusammenarbeit mit dem TV-Sender berufen und verliert das genannte Medienprivileg. Er muss sich nun rückwirkend doch an die DGSVO halten, solange nicht auch für ihn das Medienprivileg eines Landesgesetzes greift. Besteht kein solches Medienprivileg in einem Landesgesetz, unterliegt er den hier noch zu beschreibenden Problemen durch die DSGVO.
Es wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als bereits erfolgte, möglicherweise riskante Filmaufnahmen geheim zu halten. Umgekehrt trägt die DSGVO so dazu bei, dass Dokumentarfilmer noch mehr in die Abhängigkeit von den TV-Sendern gedrängt werden, da andere Möglichkeiten der Filmverwertung durch die DSGVO eingeschränkt werden.
Der Schutz „personenbezogener Daten“ wirkt indirekt für Staat und Wirtschaft
Die größten Probleme durch die DSGVO entstehen bei investigativen Projekten. Nun schützt die DSGVO nur „personenbezogene Daten“ (3), worunter gerade nicht unternehmensbezogene oder staatliche Daten fallen. Als „personenbezogene Daten“ gelten aber alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen (4).
Wird nun aber über ein Unternehmen oder über eine staatliche Behörde berichtet, so können darin enthaltene Informationen sehr wahrscheinlich auch natürlichen Personen zugeordnet werden. So gibt es in Unternehmen Geschäftsführer, Vorstände oder andere Verantwortliche für sämtliche Geschäftsbereiche, welchen die Informationen über das Unternehmen zugeordnet werden können. Somit sind diese natürlichen Personen wahrscheinlich identifizierbar. Das Gleiche gilt für staatliche Einrichtungen mit ihren Verantwortlichen wie beispielsweise Ministern, Staatssekretären oder Bürgermeistern. Die DSGVO wirkt somit indirekt auch zum Schutz von Unternehmen und Staat.
Macht die DSGVO unabhängige investigative Dokumentarfilme unmöglich?
Wenn für den Dokumentarfilmer kein Medienprivileg in einem der Landesgesetze greift, so ist die DSGVO auf seine Produktion anwendbar. Den gravierendsten Eingriff in seine Position stellt Artikel 14 DSGVO (5) dar: In dieser Vorschrift geht es darum, dass ein „Verantwortlicher“ personenbezogene Daten nicht bei der betroffenen Person selbst erhebt. Die Regelung erfasst somit genau den Fall, dass ein Filmemacher — als der „Verantwortliche“ — einen Interviewpartner befragt und dieser über einen Dritten berichtet.
Bei investigativen Dokumentarfilmen ist das aber gerade die Ausgangssituation: Der Filmemacher befragt jemanden, der ihm etwas über einen Dritten erzählt. Dieser Dritte steht in Verdacht, irgendetwas „Böses“ getan zu haben, was der Filmemacher aufzudecken versucht.
Nun muss der Filmemacher aber diesen Dritten nach Artikel 14 DSGVO über dieses Interview informieren. Hierfür wird ihm nicht mehr Zeit gegeben als einen Monat nach Beginn der Dreharbeiten. Der Filmemacher muss dem Dritten mitteilen, wen er befragt hat, was schon dem im Presserecht geltenden Quellen- beziehungsweise Informantenschutz widerspricht.
Hat er seine Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen, so entbindet ihn das trotzdem nicht von seiner Mitteilungspflicht: Auch hier muss dem Dritten mitgeteilt werden, woher die so gesammelten personenbezogenen Daten stammen. Der Filmemacher muss weiter erklären, was für einen Film er herstellen will, wie der Film verwertet werden soll und welche Rechte der Dritte jetzt geltend machen kann. Auch das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde ist dem Dritten mitzuteilen.
Noch lange bevor der Film in die Kinos kommen soll, kann der Dritte also schon eine Kopie (6) des gesamten Interviews verlangen. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Stellen daraus später tatsächlich Eingang in den Dokumentarfilm erhalten sollen. Der Dritte kann verlangen, dass erst einmal nicht weiter an diesem Material gearbeitet wird (7), wenn er nur behauptet, die darin enthaltenen Informationen über ihn wären zumindest zum Teil unrichtig. Er kann dann die Berichtigung oder Vervollständigung von allen Stellen verlangen, in denen über ihn Unzutreffendes erzählt wurde — ganz unabhängig davon, ob der Filmemacher diese Stellen des Interviews überhaupt in seinen Film einbauen wollte.
Schließlich kann der Dritte die Löschung (8) der Daten verlangen, welche der Filmemacher nicht für seinen Film nutzen will oder auch nicht nutzen darf.
Der Dritte kann also alles Mögliche unternehmen, um dem Filmemacher die Fortsetzung seiner Dreharbeiten und des Filmschnitts so schwer wie möglich zu machen.
Braucht der Filmemacher auch von dem Dritten eine Einwilligung?
Wir bleiben bei dem Fall, dass ein Interviewpartner dabei gefilmt wird, wie er über einen Dritten berichtet, der gerade Gegenstand eines investigativen Dokumentarfilmes ist. Vielleicht gelingt es dem Filmemacher, diesen Dritten auch noch vor die Kamera zu holen und sich dafür auch eine Einwilligung einzuholen, die vielleicht sogar die Interviews anderer Personen mit umfasst. Die Datenerhebung gilt dann zwar möglicherweise als gerechtfertigt (9), doch kann der Dritte diese Einwilligung jederzeit widerrufen (10).
Mit erklärtem Widerruf ist der Filmemacher dann nicht mehr befugt, die in den Filmaufnahmen erhoben Daten weiter zu bearbeiten und zu nutzen: Allein das Risiko eines solchen Widerrufs macht die Produktion so riskant, dass sie wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist.
Trotz erfolgter Einwilligung bleiben die beschriebenen Informationspflichten gegenüber dem Dritten bei späteren Interviews, in welchen andere über ihn berichten, grundsätzlich bestehen.
Im Regelfall eines solchen investigativen Projekts wird der Filmemacher aber allein schon aus dem Interesse heraus, möglichst lange ungestört daran arbeiten zu können, gar nicht erst versuchen, sich eine Einwilligung des Dritten zu holen. Der Filmemacher kann sich dann zur Rechtfertigung seiner durch die Recherchen und Dreharbeiten erfolgenden Datenerhebungen nur noch auf Artikel 6 Absatz 1 f DSGVO berufen:
Bedingung für die Zulässigkeit der Datenerhebung ist dann, dass das Grundrecht der Filmfreiheit (11) das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (12) des Betroffenen überwiegt. Mit anderen Worten stehen sich das Recht des Filmemachers und das Interesse des Betroffenen an Geheimhaltung oder Berichtigung gegenüber. Welches der beiden Rechte überwiegt, kann abschließend nur im Einzelfall und durch ein Gericht geklärt werden.
Besonders problematisch ist dabei, dass gerade bei investigativen Projekten besonders empfindliche Daten über den Dritten im Film preisgegeben werden sollen, weshalb dieser möglicherweise als besonders schützenswert behandelt werden könnte. Die rechtliche Unsicherheit bis dahin ist dementsprechend für den Filmemacher wirtschaftlich ebenfalls nicht zumutbar. Genau deshalb werden TV und Presse auch durch Medienprivilegien geschützt, die praktisch den Vorrang der Rundfunk- beziehungsweise Pressefreiheit vorgeben. Der Betroffene kann der weiteren Verarbeitung seiner Daten durch die Filmproduktion jedenfalls genau aus diesen Gründen widersprechen (13) und auch so die Fortsetzung der Produktion verhindern.
Was droht dem Filmemacher, wenn er diese Regelungen missachtet?
Betroffene können zunächst die Unterlassung der Rechtsverletzungen durch den Filmemacher verlangen. Dabei können dem Filmemacher die anwaltlichen Abmahnkosten auferlegt werden. Jeder Verstoß gegen eine der beschriebenen Pflichten des Filmemachers begründet dann auch einen Schadensersatzanspruch (14), wenn dem Betroffenen ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist. Ein solcher Schadensersatzanspruch kann auch gegen Teammitglieder des Filmemachers bestehen, sofern diese als „Auftragsdatenverarbeiter“ (15) gelten.
Wem gegenüber ein solcher Schadensersatzanspruch geltend gemacht wird, wird von der Haftung nur befreit, wenn er nachweist, „dass er in keinerlei Hinsicht für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, verantwortlich ist“. Es findet also zu Lasten des Filmemachers sowie des verpflichteten Datenverarbeiters hinsichtlich des Schadensersatzanspruches auch noch eine Beweislastumkehr statt. Dass dieser Entlasungsbeweis praktisch nicht zu führen ist, kommt erschwerend hinzu.
Darüber hinaus können Datenschutzbehörden auch Bußgelder verhängen (16).
Es können Beträge „von bis zu 20.000.000 Euro oder im Fall eines Unternehmens von bis zu 4 Prozent seines gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs verhängt werden, je nachdem, welcher der Beträge höher ist“. Diese vorgesehenen Maximalbeträge sind auf global agierende Konzerne wie Google oder Facebook zugeschnitten, können sich aber natürlich für Dokumentarfilmer auch bei erheblich kleineren Beträgen als empflindlich einschränkend darstellen.
Fazit: Fehlende Medienprivilegien sind verfassungswidrig
Die beschriebenen Regelungen der DSGVO sind für Dokumentarfilmer bei investigativen Projekten nicht zumutbar. Dokumentarfilmer müssen schon in der Produktion das Risiko eingehen, ausgebremst zu werden und müssen dann auch noch befürchten, dass sie einen trotz aller Widrigkeiten fertiggestellten Film nicht auswerten können. Die fehlenden Medienprivilegien sind deshalb verfassungswidrig. Dieser Ansicht folgt auch der Deutsche Journalisten Verband (DJV) (17), auch wenn für seine Mitglieder offenbar weitestgehend Medienprivilegien bestehen.
Prozessuale Fristen für Verfassungsbeschwerden
Bis zum 25. Mai 2019, also bis zum Ablauf eines Jahres seit Geltung der DSGVO, kann die Verfassungswidrigkeit noch direkt vor dem Bundesverfassungsgericht wegen Untätigkeit der Landesgesetzgeber beanstandet werden. Danach ist eine Prüfung der Medienprivilegien durch das Bundesverfassungsgericht nur noch möglich, wenn der Filmemacher gegenüber der betroffenen Person oder der Aufsichtsbehörde durch alle Instanzen hindurch unterliegt und sich dann ans Verfassungsgericht wendet.
Michael Augustin, Jahrgang 1977, ist als Rechtsanwalt im Film- und Medienbereich tätig. Er ist Mitglied und Rechtsberater von acTVism Munich, Mitgründer des N.I.F.F. – New Independent Film Funding e.V. sowie des solidarischen Netzwerks von Dokumentarfilmern „Dokfans“. Weitere Informationen unter www.ra.michaelaugustin.de.
Dieser Beitrag wurde unter dem Titel ‚Todesursache: Überreglementierung‘ bei Rubikon erstveröffentlicht und unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) übenommen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2018-07/cp180103de.pdf
(2) https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/Rundfunkstaatsvertrag_RStV.pdf
(3) Art.2 Abs.1 DSGVO https://dejure.org/gesetze/DSGVO/2.html
(4) Art. 4 Nr.1 DSGVO https://dejure.org/gesetze/DSGVO/4.html
(5) https://dejure.org/gesetze/DSGVO/14.html
(6) Art. 15 Abs. 3 DSGVO https://dejure.org/gesetze/DSGVO/15.html
(7) https://dejure.org/gesetze/DSGVO/18.html
(8) https://dejure.org/gesetze/DSGVO/17.html
(9) Nach Art. 6 Abs.1 a) DSGVO https://dejure.org/gesetze/DSGVO/6.html
(10) nach Art. 7 Abs.3 DSGVO https://dejure.org/gesetze/DSGVO/7.html
(11) https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html
(12) https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_2.html
(13) https://dejure.org/gesetze/DSGVO/21.html
(14) https://dejure.org/gesetze/DSGVO/82.html
(15) im Sinne des Art. 28 DSGVO https://dejure.org/gesetze/DSGVO/28.html
(16) Nach Art. 83 Abs.5 DSGVO https://dejure.org/gesetze/DSGVO/83.html
(17) https://www.djv.de/startseite/service/news-kalender/freien-news/detail/article/kein-foto-journalismus-mehr-moeglich.html?cHash=861ed80e2d433da74ba7514c5cc3526a&type=500