Der YouTuber Rezo schafft den Spagat zwischen trockener Quellenlektüre und spaßigem Jugendjargon — und politisiert eine Generation.
Am vergangenen Samstag veröffentlichte der YouTuber Rezo auf seinem Zweitkanal ein 55-minütiges Video, das bei Jugendlichen einschlägt wie eine Bombe: Über 8 Millionen Aufrufe verzeichnet diese Abrechnung mit der Politik der Union bereits. Rezo schafft den Spagat zwischen trockener Quellenlektüre und spaßigem Jugendjargon — und politisiert eine Generation. Eine Aufgabe, an der sich die alteingesessenen Parteien seit Jahren die Zähne ausbeißen, wie die Reaktion der CDU auch dieses Mal beweist.
Was ist der Unterschied zwischen dem YouTuber Rezo und deutschen Spitzenpolitikern? Für den einen ist ein Kapuzenpullover Alltagskleidung, für die anderen Wahlwerbung.
Dieses Gleichnis steht sinnbildlich für den gähnenden Schlund, der die heutige Jugend Deutschlands von der amtierenden Regierung trennt. Eine Jugend, die digital aufwächst und trotzdem für unseren Planeten einsteht, eine Jugend, die sich ihre Freiheit im Internet nicht durch fehleranfällige und missbrauchbare Uploadfilter nehmen lässt – und eine Jugend, die sich seit Jahren aus Politik und Medien hat vorwerfen lassen müssen, sie sei politisch desinteressiert. Das ändert sich jetzt:
Über die Fridays for Future, über die Debatte um die Urheberrechtsreform – Artikel 13 respektive 17 – und auch über dieses Video von Rezo politisiert sich die deutsche Jugend gerade!
Besonders angesichts dessen, wie plötzlich diese politische Welle unsere Klassenzimmer flutet, ist es kaum verwunderlich, dass die digital untalentierten Politiker unseres Landes eine Jugend nicht abzuholen imstande sind, die ihnen erklären muss, weshalb ein Kohleausstieg bis 2030 zwar Konzerninteressen bedient, aber unseren Planeten dahinrafft. Gegen solche unbequemen Wahrheiten wehren sich diejenigen, die politisch in der Verantwortung stehen – allemal angenehmer ist es da, mit althergebrachten Phrasen à la „alternativlos“ oder auch mit politischen Reflexen zu reagieren, für die das Hirn nicht angeschaltet werden muss: „Fake News“, hallt es immer wieder aus den Hälsen der Unions-Marktschreier.
Wie soll man aber unseren steuergeldschluckenden Volksrepräsentanten, die für uns gerne immer neue Diäten testen, begreiflich machen, dass wir alle die Gürtel enger schnallen müssen, wenn es keine Kursänderung gibt?
Auf indirekte Art hat das der YouTuber Rezo geschafft. Mit seinem aktiven Zweitkanal erreicht der Informatiker und Musiker Menschen von jung bis alt, und er hat gerade einen viralen Video-Hit gelandet: „Die Zerstörung der CDU“ lautet der Titel, der aktuell Millionen anlockt und Deutschlands Jugend politisiert. Ich spreche übrigens von Millionen Klicks, nicht von dem Geld, das in Rezos Kassen klingelt. Denn das gesamte Video ist werbefrei – und damit in der heutigen YouTube-Landschaft eine Koryphäe.
Dabei richtet sich Rezos Video nicht an die amtierende Regierung. Es ist kein verzweifelter, machtloser Appell an „die da oben“, doch bitte mal etwas zu ändern. Rezo hat verstanden, dass das so nicht funktioniert. Stattdessen spricht er seine Zuschauerschaft direkt an. Und das findet Anklang in einer jungen Generation, die in der Debatte um Artikel 13 erleben musste, dass ihre wochenlange Präsenz auf Deutschlands Straßen, dass ihre Mails an die Abgeordneten, dass ihr Protest letztlich nicht ernstgenommen wurde. Als „Bots“ wurden sie bezeichnet, wiederum aus den Reihen der CDU/CSU, oder auch als „gekauft“. Rezo richtet sich an eine Jugend, die seit Monaten freitags die Schule schwänzt, weil ihnen der Staat, in dem sie leben wollen, wichtiger ist als verpasster Unterrichtsstoff oder Schulverweise.
Von einer solchen Demo komme ich gerade. Im stilistisch sehr beschaulichen und politischer eher verschlafenen Aschaffenburg gingen heute über 1200 Schülerinnen und Schüler, Lehrer und Eltern auf die Straße – ich mittendrin. Dieser Protest ist anders als das kurze europäische Aufflackern, das sich Pulse of Europe nennt.
Dieser Protest vereint eine Generation.
Es ist ein Gemeinschaftsgefühl in dieser kritischen Masse aus Gleichaltrigen und Gleichgesinnten zu spüren, wie es kaum sonst in dieser Größenordnung vorkommt – gerade in Deutschland. Deshalb lässt auch Rezo die Klimapolitik der Union in seinem Video nicht aus und trifft damit – wortwörtlich – ins Schwarze.
Knapp eine Stunde lang rechnet der 26-Jährige mit der Politik der Union ab. Auch die SPD muss einige Seitenhiebe verkraften; schließlich besteht die deutsche Regierung seit 2005 – bis auf das schwarz-gelbe Intermezzo von 2009 bis 2013 – aus einer schwerfälligen GroKo, für die der Koalitionsvertrag in einigen Kernfragen kaum mehr Gewicht hat als das Klopapier, das man auf den Toiletten billiger Fast-Food-Restaurants vorfindet. Beispielsweise bewilligte die aktuelle Bundesregierung in ihrem ersten Amtsjahr Rüstungslieferungen im Wert von 400 Millionen Euro an Saudi-Arabien, obwohl der Koalitionsvertrag festlegt, dass keine Rüstungsexporte mehr an Länder zu genehmigen sind, die sich – wie Saudi-Arabien – unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligen. Auch die Durchsetzung von Artikel 13 respektive Artikel 17 stellte einen Bruch des Koalitionsvertrags dar.
Natürlich sind diese Sachverhalte weit komplexer, als sie oftmals dargestellt werden. Das macht die Sache aber nicht besser: Dass die Bundesregierung diese Waffenexporte entgegen des Koalitionsvertrags genehmigt, begründet beispielsweise Martin Schulz in einem Interview mit dem YouTube-Journalisten Tilo Jung damit, dass bereits vor dem Koalitionsvertrag bestehende, andere Verträge diese Exporte legitimieren. Oder man macht es sich noch einfacher: In der Bundespressekonferenz – das ist jener Verein, in dem die Pressesprecher der Regierung in der selbstauferlegten Pflicht stehen, „auf alle Fragen zum politischen Geschehen zu antworten“ – wird konsequent vermieden, klar zu benennen, welche Staaten die Bundesregierung als „unmittelbar beteiligt“ am Jemenkrieg ansieht. Solange das nicht festgelegt ist, können natürlich munter weiter Waffen und andere Rüstungsgüter an Diktaturen und Kriegstreiber geliefert werden. Ja, Politik ist eben meist komplexer, als sie scheint.
Daraus leitet sich auch der Vorwurf ab, der Rezo nun aus Presse und Politik entgegenschlägt: Der YouTuber würde komplexe Sachverhalte zu stark vereinfachen und auf eine Ebene herunterbrechen, die zwar für oberflächliche Empörung, nicht aber für einen sachlichen Diskurs geeignet sei.
Diese Kritik ist in Teilen berechtigt. Es stimmt, dass einige der Statistiken, die Rezo zitiert, unterschiedliche Auslegungen erlauben, es stimmt, dass er einige Hintergründe unerwähnt lässt. Trotz des 13 Seiten starken Dokuments, in welchem Rezo all die Quellen auflistet, die seine im Video getätigten Aussagen belegen sollen, ist seine Darstellung der CDU letztlich subjektiv. Aber die Frage, die sich hier doch eigentlich stellt, lautet:
Na und?
Politik lebt vom Diskurs – Meinungsvielfalt ist das Lebenselixier der Demokratie. Dass politische Fragen eben nicht „alternativlos“ sind, wie es das Kabinett Merkel gerne behauptet, ist eigentlich eine Binsenweisheit!
Einige Journalisten aber scheinen von Rezo erwartet zu haben, dass er ein möglichst trockenes, sachliches Lehrvideo im Tagesschau-Format produziert. Das hat er in der Tat nicht. Stattdessen ist Rezos „Zerstörungs-Video“ ein jugendliches, frisches, bürgernahes Plädoyer für einen Umschwung in der Politik. Er zeigt die geballte Inkompetenz einiger unserer politischen Schlüsselfiguren auf, er entlarvt, dass sie sich ihrerseits nicht intensiv genug mit jenen politischen Fragen auseinandersetzen, über die sie zu entscheiden haben, er deckt auf, wie sie sich – übrigens wieder in der angeblich transparenten Bundespressekonferenz – um Antworten herumwinden oder sogar, wie die Kanzlerin, offen lügen.
Der politische Aktivismus der Zukunft findet nicht nur auf der Straße statt, sondern vor allem auch im Netz, auf YouTube, auf Social-Media-Plattformen, in Klassengruppen und Online-Foren. Rezo nutzt Anglizismen, schämt sich nicht für seinen Jugendjargon und kann – im Gegensatz zu einigen Spitzenpolitikern – einen Kapuzenpullover glaubwürdig tragen. Und während sich die Medienlandschaft von BILD bis tagesspiegel noch an Rezos orangefarbenem Hoodie oder seinen blau gefärbten Haaren abarbeitet, ist die CDU im Wesentlichen sprachlos.
Die ersten Reaktionen waren feinste politische Empörungskultur mit arrogantem Anstrich: „Fake News“, wetterten ebenso hilf- wie argumentationslos einige CDU-Abgeordneten, „Pseudofakten“ nannte der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak Rezos Recherche, und als „Meinungsdiktatur“ betitelte ausgerechnet einer der Bundesvorstände der Jungen Union Rezos Video – das kommt aus einer Partei, die politische Alternativlosigkeit propagiert. Den Vogel abgeschossen hat die Vorsitzende der Union, Annegret Kramp-Karrenbauer: „Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab.“ Ein kindisches Argumentationsmuster von einer Christdemokratin, die im Religionsunterricht wohl nicht richtig aufgepasst hat: Zehn Plagen suchten Ägypten (angeblich) heim, und im Ungefähren ist das vergleichbar mit der Stillstands- und Abwarten-Politik der CDU/CSU nebst anderen Parteien.
Der ebenfalls 26-jährige Vorzeige-Jüngling der CDU, Philipp Amthor, sollte – das wurde groß angekündigt – eine Video-Antwort drehen. Gedreht wurde die auch – aber nicht veröffentlicht: „am Morgen danach“ entschied sich die CDU um und veröffentlichte das Video doch nicht. Stattdessen wurde ein elfseitiger Antwortbrief hochgeladen mit dem eingängigen Titel: „Offene Antwort an Rezo: Wie wir die Sache sehen“.
Außerdem, und das ist viel wichtiger: Der pseudofaktische CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bot Rezo ein offenes Gespräch an – der rhetorisch extrem starke Philipp Amthor sollte auch mit dabei sein.
Dieses Gesprächsangebot ist kein Schritt hin zu Rezo und der jungen Generation, sondern die händereibende Vorfreude darauf, den YouTuber im persönlichen Gespräch rhetorisch zu zerlegen.
Dabei würden Fakten kaum eine Rolle spielen: Hier wird zählen, wer besser und vor allem lauter reden kann. Hier soll ein selbstgerechtes Exempel statuiert werden: Die Berufspolitiker Ziemiak und Amthor gemeinsam gegen den YouTuber Rezo. Klingt das fair?
Bei der Union ist man auf diesen Schachzug sicher ordentlich stolz, denn: Wenn Rezo das Angebot ausschlägt, wird man ihn als undemokratisch, als feige, als heuchlerisch beschimpfen. Wenn er doch hingeht, wird man ihn live und in HD auseinandernehmen.
Ein Weg, um dieser Zwickmühle zu entkommen, wäre ein offenes und ehrliches Video, in welchem Rezo seinen Zuschauern eben das erklärt: Man will ihn vorführen, öffentlich blamieren. Und da macht er nicht mit – denn inhaltlich hat er schon alles gesagt.
Ich habe Vertrauen darauf, dass Rezo diese unchristliche Strategie durchschaut und dem Gespräch fernbleibt. Die Union will einen Kampf um die Würde aus dieser Krise machen, weil sie ihre eigene gerade öffentlich verliert – wegen ihres Abstimmungsverhaltens bei Artikel 13, wegen ihrer Ablehnung der Fridays for Future und wegen ihres respektlosen, verknöcherten und planlosen Verhaltens der jungen Generation Deutschlands gegenüber. Dafür werden sie in der kommenden Europawahl die Quittung erhalten. Denn wer sich so verhält, ist keine Volkspartei mehr.
Rezo legte am Freitag vor der Europawahl in einem Gemeinschaftsprojekt mit über 90 anderen bekannten YouTubern nach: Sie alle rufen im Interesse eines freien Internets, eines lebenswerten Planeten und einer respektvollen Mitwelt dazu auf, am Sonntag der EU-Wahl weder bei der SPD, noch bei CDU/CSU, noch bei der AfD ein Kreuzchen zu setzen.
Dieser Beitrag erschien erstmalig bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse unter CC BY 4.0.
Aaron Richter, Jahrgang 1998, ist Student und Freigeist. Weil sich an heutigen Universitäten beides nicht immer verträgt, setzt er sich mit jugendlich-frechem Scharfsinn für politische Verständigung ein. Er ist ein neugieriger Zeitgenosse, der sich ungern einschränken lässt, und außerdem der Untätigkeit unseres Polit-Apparates sowie medialer Halbwahrheiten überdrüssig. Sein Engagement bei Rubikon gilt der Kultivierung eines humanistischen Miteinanders, eines wahrhaftigen Diskurses und einer lebenswerten Umwelt. Er ist Leiter der Rubikon-Jugendredaktion und schreibt für die Kolumne „Junge Federn“.