Angesichts der bitteren Menschheitserfahrungen aus der neugeschichtlichen Zeit zweier Weltkriege und danach anhaltender Kriegshandlungen, unter Teilnahme aller westlicher Industrieländer und Russlands ist es verwunderlich, dass Kants humanistischer Gedanken vom ewigen Frieden in der medialen Öffentlichkeit kaum Beachtung finden.
Erst ein zweiter Blick könnte Ursachen zu Tage bringen: Die Mächtigen der Politik und ihre Meinungsbildner betrachten Militäreinsätze als eine mögliche Option (Gauck, Trump und weitere). Für sie sind Wirtschaft und Banken das Nonplusultra für die Gesellschaft, ohne die Rüstungsindustrie auszuschließen. Die Waffenproduktion, der ständige Unterhalt des Militärapparats und der Wiederaufbau zerstörter Anlagen sind Teile der Marktwirtschaft. Die Kosten verursachen keine Kopfschmerzen für die Regierung. Alles wird vom Steuerzahler (Lohn/Einkommenssteuer, Mehrwertsteuer etc.) oder über staatliche Schuldkredite getragen.
Immanuel Kant veröffentlichte seine Gedanken zum ewigen Frieden 1795. Zu dieser Zeit kämpften die französischen Revolutionäre des 3. und 4. Standes Frankreichs für ihr historisches Projekt und die aristokratischen Kräfte Ludwigs schickten Soldaten zum Erhalt ihrer Machtpositionen in den Kampf. Der 2. Stand, der Klerus, segnete die Kämpfe royaler Truppen ab. Der französische König erhielt von den Monarchien Österreichs, Preußens und anderer Länder Unterstützung.
Kants Wunschvorstellung eines dauerhaften Friedens hatten weit tiefere Wurzeln. Jahre vor der französischen Revolution, forderte der Siebenjährige Krieg Preußens gegen Österreich für beide Seiten Menschenopfer und führte zu finanziellen Verlusten. Der russische Zar und der türkische Sultan kämpften um Machterweiterung. Das französische Königshaus und die englische Monarchie rangen militärisch über 100 Jahre um Machtverschiebungen. Schließlich war der verlustreichen Dreißigjährige Krieg in Europa noch nicht aus dem Gedächtnis verschwunden. Die menschliche Entwicklung war immer von Kriegen begleitet. In den Anfängen für ausreichenden Lebensraum zur Ernährung und später zur Macht- und Markterweiterung.
Die Friedensphilosophie Kants gehört zu der dauerhaft großen Frage der menschlichen Gesellschaft. Auch gerade für die moderne Welt, mit ihren zerstörerischen Waffensystemen. Die Herausforderung, die die Natur stellt, können nur von allen Staaten gemeinsam gelöst werden. Flüchtlingswellen haben Ursachen. Der Krieg gehört dazu. Sie haben nach Ausbruch keine anderen Lebensalternativen als die Flucht. Armut und fehlenden Arbeitsplätze sind ein Erbe der Kolonialzeit und vielfach Konsequenz der Marktwirtschaft.
Immanuel Kants Werk „Zum ewigen Frieden“ (Philipp Reclam, Jun Verlag GmbH) ist gut strukturiert. Die Reclam-Ausgabe ist mit der Einführung von Prof. Dr. Georg Mende auch für Laien mit Zugewinn lesbar. In dem ersten Abschnitt gibt Kant sieben Anregungen für die Beziehungen zwischen Staaten, wovon 4 für die heutige Zeit Bedeutung haben, um künftige Konflikte zu vermeiden (Keine Verschuldung, keine Einmischung in innere Angelegenheiten, Militärmacht reduzieren, in Friedensabkommen keine neuen Konfliktgründe aufnehmen). Ein zweiter Abschnitt in Kants Buch befasst sich mit der inneren Politikgestaltung eines Staates mit modernen Gedanken zur Friedenssicherung etwa Verfassungstexte, Völkerrechtsnormen. Ein erster und zweiter Zusatz formuliert Garantien für einen ewigen Frieden, den er selbst mit vielen Einschränkungen versieht und ins Philosophieren abgleitet. Die Friedensgarantie sei eine große Künstlerin, schreibt er. Im Anhang seiner Schrift übt Kant Kritik an der Moral der Politiker in Sachen Friedensarbeit. Das Werk sollte Pflichtlektüre für heutige Staatsbeamten und Studenten sein.
Viele Überlegungen Kants bieten Anregungen für Wissenschaftler und Politiker, ihre Gedanken zur Friedensicherung auf neue Bereiche auszuweiten.
Schulkinder und Studenten demonstrieren freitags unterstützt von mehreren Tausend Wissenschaftlern. Ihre Forderung: Die Politik möge endlich wirksamere Maßnahmen zum Erhalt der Natur unternehmen. Neben der Umweltgefahr lebt die Menschheit noch unter einer zweiten hochgefährlichen Bedrohung: Die Kriege.
Eine beachtliche Zahl von Stiftungen zur Friedens- und Konfliktforschung und Universitätsinstitute beschäftigen sich mit dem Friedensthema. Offensichtlich vorwiegend auf akademischer Art, ohne praktisch wirksame Forschungsergebnisse hörbar an die Öffentlichkeit zu bringen!
Der Druck der USA zur Erhöhung des Militäretats, die Kündigung des INF Vertrages, Militärübungen an Russlands Grenzen, Drohungen gegen Venezuela und den Iran, die Beendigung der Kriege im arabischen Raum und Afghanistan ohne friedenssichernde Vereinbarungen zeugen davon, dass die Gefahr für den Frieden real ist.
Kriege sind Menschenwerk und kein Naturgesetz, wie es Hugo Grotius 1625 in einem Buch formuliert hatte („De jure belli ac pacis“) und wie es einige Vertreter egoistischer Gruppen bis heute verkünden. Die Entgleisungen der Natur folgt den Gesetzen der Physik und der Chemie, die von Handlungen des Menschen beeinflusst werden. Wissenschaftler und Landwirte haben den praktischen Nachweis erbracht, dass die Ernährungssicherheit in der Welt gewährleistet werden kann. Warum nicht auch der ewige Frieden?
Die Vernunft, als ein Kernelement der Aufklärung, benötigt zur Friedensicherung eine allseitige Verstärkung. Staatlich konzeptionelle und finanzielle Förderungen gehören dazu.
Die Menschheit muss von der scheinbaren Logik der Kriege wegkommen; bei Strafe ihres Unterganges.