Europa unternimmt zu wenig gegen den einseitigen Lobbyeinfluss von Konzernen. Zu diesem Befund kommt der heute von LobbyControl veröffentlichte „EU-Lobbyreport“. In Sachen Lobbytransparenz ist Brüssel Berlin und anderen Hauptstädten Europas demnach teilweise weit voraus. Allerdings fehlen wirksame Regeln, um Konzerneinflüsse über einseitig besetzte Expertengruppen, unausgewogene Lobbytreffen oder informelle Kanäle zu begrenzen.
Der EU-Lobbyreport dokumentiert, wie Unternehmen, Anwälte oder Lobbyagenturen Einfluss auf die Politik nehmen und wie sich die Regeln zum Umgang mit Lobbyismus in den vergangenen fünf Jahren verändert haben. Fazit: „Brüssel hat bei der Lobbytransparenz und der Begrenzung von Interessenkonflikten Fortschritte gemacht. Dennoch: Die Macht der Konzerne in Europa ist eindeutig zu groß. Teilweise können sie Gesetze und politische Prozesse regelrecht kapern“, sagt Imke Dierßen, politische Geschäftsführerin von LobbyControl.
Nationale Regierungen als Lobbyvehikel
Eine zentrale Rolle für einseitige Lobbyeinflüsse spielen die EU-Mitgliedstaaten. Über den intransparenten Rat der EU boxen nationale Regierungen immer wieder die Interessen ihrer heimischen Industrien durch. Die Bundesregierung verwässerte oder verzögerte zum Beispiel wirksame Abgastests oder bessere Regeln beim Kampf gegen Steuervermeidung und -hinterziehung.
„Europa lässt es zu, dass Konzerne und Reiche ihr Vermögen in Schattenfinanzplätze verschieben und sich dadurch ihrer Steuerverantwortung entziehen. Durch Steuervermeidung und -optimierung entgehen den EU-Ländern jedes Jahr 50 – 70 Milliarden Euro an Steuereinnahmen. Das ist fünf bis sechs mal so viel, wie die EU pro Jahr für Forschung und Bildung ausgibt“, sagt Dierßen.
Acht Faktoren für die Macht der Konzerne
Der Lobbyreport benennt acht zentrale Faktoren für die Macht der Konzerne in Brüssel. Dazu gehören das Anwerben von Politikern als Lobbyisten, die Abhängigkeit der EU-Bürokratie von Unternehmensexpertise oder privilegierte Zugänge durch Exklusiv-Veranstaltungen wie das von Günther Oettinger veranstaltete „Europa-Forum-Lech“.
„Konzerne können zur Durchsetzung ihrer Interessen auf eine unglaubliche Lobbypower zurückgreifen“, sagt die Autorin des Berichts, Nina Katzemich. „Zwei Drittel der 25.000 Lobbyisten, die mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro Gesetze, Politik und öffentliche Meinung in Europa beeinflussen, vertreten Unternehmensinteressen.“
Diese Unausgewogenheit sieht man auch bei der EU-Kommission, die rund 70 Prozent ihrer Lobbytreffen mit Unternehmensvertretern hat, wie eine aktuelle Auswertung von LobbyControl belegt. „Diese Einseitigkeit ist problematisch und widerspricht dem Versprechen von Kommissionspräsident Juncker zu Beginn seiner Amtszeit, für mehr Ausgewogenheit sorgen zu wollen“, so Katzemich.
Auch in anderen Bereichen sieht man das Missverhältnis. So besteht die Expertengruppe „Emissionen im praktischen Fahrbetrieb – leichte Nutzfahrzeuge“ zu 70 Prozent aus Vertretern der Autoindustrie. Laut Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments zum Dieselskandal hat diese Gruppe unter anderem dazu beigetragen, ein effektiveres Testverfahren für den Schadstoffausstoß von Fahrzeugen um Jahre zu verzögern.
Europa könnte ein Schutzschild sein
Imke Dierßen: „Europa könnte ein Schutzschild gegen Konzernmacht sein. Das haben die Datenschutzgrundverordnung und viele EU-Gesetze wie die Katalysatorpflicht oder Regeln zur Begrenzung von Schadstoffemissionen gezeigt, mit denen die Luftqualität langfristig zum Teil erheblich verbessert werden konnte. Wir brauchen mehr solcher positiven Impulse von Europa. Mehr Lobbytransparenz und strenge Regeln für Lobbyisten sind dafür essentiell.“