Wie vor allen christlichen Festen läuft auch dieses Jahr zu Ostern der Betrieb in den Schlachthäusern wieder auf Hochtouren, um den Festtagsbraten pünktlich auf den Tisch zu bringen. Das dahinterstehende millionenfache unsägliche Leid der Tiere wird von der Gesellschaft immer noch ignoriert. Vor kurzem ergab eine Untersuchung des Regierungsbezirkes Darmstadt in 32 Schlachthöfen, dass es bei fast der Hälfte aller Schlachtungen zu Fehlbetäubungen und anderen groben Verstößen gegen das Tierschutzgesetz kommt.
Wir publizieren aus aktuellem Anlass den Redebeitrag von Daniela Böhm, Tochter von Karlheinz Böhm, die auch in diesem Jahr wieder die Aktion „Die Kirche hat die Tiere vergessen“ am Ostersamstag in der Münchner Innenstadt organisiert. Am Ostersonntag findet eine ähnliche Veranstaltung in Berlin statt, um auf das Leiden der Tiere aufmerksam zu machen, zu dem Kirche nach wie vor schweigt.
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Die Kirche hat die Tiere vergessen
Von Daniela Böhm
Die Kirche hat die Tiere vergessen. Dies ist keine Demonstration gegen die Kirche an sich. Es ist aber eine Protestveranstaltung gegen das Schweigen der Kirche was das Leid der Tiere betrifft. Es ist ein Protest gegen das Vergessen. All die Menschen und Bilder hier sind ein stummer Aufschrei für jene, die nicht gehört werden.
Die Kirche hat die Tiere verraten. Sie hat ihnen bereits lange vor René Descartes die unsterbliche Seele abgesprochen und diesen Irrglauben bis heute nicht vollständig rehabilitiert. Nach dem Kirchenlehrer Thomas von Aquin, besitzen Tiere eine sterbliche Seele, sie stirbt mit dem Tod ihres Körpers und so bleibt das Himmelreich nur den Menschen vorbehalten. Tiere sind somit aus dem fünften Gebot, dem „Du sollst nicht töten“ ausgeschlossen, weil dieses Gebot eigentlich „Du sollst nicht morden“ heißt, und einen Mord kann man nur an einem Menschen begehen.
Ich frage Sie: Wie kann die Seele eines beseelten Wesens sterben, wenn es doch eine Seele besitzt und diese etwas Immaterielles ist?
Die Kirche verschließt ihre Augen immer noch vor dem Leiden der Tiere: Zwar schreibt Papst Franziskus in seiner außergewöhnlichen Laudatio Si 2015 viel darüber, dass der Mensch sich auf ein Miteinander mit der Erde und allen Wesen besinnen muss und unter anderem heißt es dort: „Das Herz ist nur eines, und die gleiche Erbärmlichkeit, die dazu führt, ein Tier zu misshandeln, zeigt sich unverzüglich auch in der Beziehung zu anderen Menschen. Jegliche Grausamkeit gegenüber irgendeinem Geschöpf widerspricht der Würde des Menschen“. Jegliche Grausamkeit! Jeder, der noch Fleisch und andere tierische Produkte konsumiert, muss sich dieser Grausamkeit bewusst werden, denn er ist mitverantwortlich für das Grauen, welches tagtäglich, in jeder Sekunde in den Schlachthäusern geschieht.
Des Weiteren schreibt Papst Franziskus: „Wir können uns nicht als große Liebende betrachten, wenn wir irgendeinen Teil der Wirklichkeit aus unseren Interessen ausschließen. Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind drei absolut miteinander verbundene Themen, die nicht getrennt und einzeln behandelt werden können.“
Das sind wunderbare Worte, denen aber die tatsächliche Umsetzung fehlt: Keinem Geschöpf auf dieser Erde jegliche Art von Gewalt anzutun. Es gibt leider immer noch kein ausdrückliches Bekenntnis der katholischen Kirche auf Tierleid in der Ernährung zu verzichten – ein Verzicht, der eigentlich keiner ist. Aber es gibt bereits viele Katholiken und Protestanten, die sich ihrer Verantwortung als Mensch und als Christ bewusst werden und vegan oder zumindest vegetarisch leben.
Doch dieses Umdenken muss auch die katholische Obrigkeit erreichen, denn im Kapitel 2417 des Katechismus heißt es immer noch: „Gott hat die Tiere unter die Herrschaft des Menschen gestellt, den er nach seinem Bild geschaffen hat (Vgl. Gen. 2, 19-20; 9,1-14]. Somit darf man sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen. Man darf sie zähmen, um sie dem Menschen bei der Arbeit und in der Freizeit dienstbar zu machen. Medizinische und wissenschaftliche Tierversuche sind in vernünftigen Grenzen sittlich zulässig weil sie dazu beitragen, menschliches Leben zu retten und zu heilen.“
Diese immer noch herrschende Auffassung widerspricht den Worten des hl. Franziskus, dem Vorbild des derzeitigen Papstes: „Alle Geschöpfe der Erde lieben, leiden und sterben wie wir – also sind sie uns gleichgestellte Werke des allmächtigen Schöpfers: unsere Brüder.“
Die Kirche aber ignoriert das Leiden der Tiere und schweigt. Sie schweigt zu den Qualen unserer Brüder und Schwestern, sie ignoriert das immense Leid der Tiere in den Massentierhaltungen, den Schlachthäusern, Tierversuchslaboren und Pelzfarmen, sie schweigt zu den Tötungen der Straßenhunde, den Stierkämpfen und vielem mehr.
Für die Christen ist Ostern das Fest der Auferstehung – für die unschuldigen Lämmer und viele andere Tiere ist es ein Fest des Todes. Doch nicht nur an Ostern, sondern an jedem einzelnen Tag. In jeder Minute, die auf dieser Erde vergeht, findet ein unendliches Blutvergießen und Leid statt: 60 Milliarden getötete Tiere weltweit – pro Jahr: Diese Schätzung berücksichtigt keine Fische und andere Meerestiere, Straßenhunde, Tiere aus Versuchslaboren oder solche, die für die Pelz- oder Lederindustrie sterben.
Indem die Kirche ihre Augen vor diesem Leid verschließt und sich nicht ausdrücklich dagegen ausspricht, ignoriert sie auch die Folgen des massiven Fleischkonsums: den Hunger in den Entwicklungsländern, die Klimaerwärmung und Zerstörung unseres Planeten. Massentierhaltung trägt einen erheblichen Anteil daran, dass immer mehr Menschen in den Entwicklungsländern hungern und unterernährt sind, laut der FAO fast 900 Millionen. Während täglich 20 Milliarden sogenannte „Nutztiere“ für den Fleischkonsum mit Getreide und Soja gefüttert werden, sterben jeden Tag Zehntausende von Menschen an Hunger.
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …“ Diesen Satz kennen nicht nur Katholiken oder Protestanten. Würden Sie ihr Kind in ein Schlachthaus mitnehmen? Die Antwort lautet sicherlich Nein. Aber Sie lassen es das essen, was von diesem Ort kommt: Zerstückelte Tiere. Sie gehen mit Ihrem Kind zu McDonald’s, aber nicht in den Schlachthof. Sie zeigen ihm Apfelbäume oder Weizenfelder, aber mit Sicherheit kein Schlachthaus.
Viele Erwachsenen haben verlernt, wie die Kinder zu sehen und zu fühlen: mit dem Herzen. Erst wenn wir das tun, leben wir echte Nächstenliebe. Eine christliche Nächstenliebe, die nicht nur dem Menschen gilt, sondern auch jenen Mitgeschöpfen, die schon lange vor uns da waren.
Die Kirche aber schweigt nach wie vor zu den Leiden eines Teiles der Schöpfung, die von ihrem Gott erschaffen wurde. Es ist leicht, einfach zu schweigen und die Augen vor diesem Leid zu verschließen. Es ist bequem, sich auf uralten Dogmen und Lehrmeinungen auszuruhen und ein anthropozentrisches Weltbild in der letzten Konsequenz nicht infrage zu stellen. Aber es ist nicht richtig! Und es kann nicht richtig sein, von Liebe und Auferstehung zu predigen und danach ein Stück unschuldigen Lebens zu verspeisen.
Tiere halten das natürliche Gleichgewicht der Erde und folgen nur ihrer Natur. Die Seelen der Tiere haben gewiss Flügel, mit denen sie nach ihrem Tod in den Himmel fliegen – schneller als so mancher Mensch. Es ist an der Zeit, auch für die Kirche, die Tiere als das zu respektieren, zu schätzen und zu lieben, was sie sind: Mitbewohner dieses Planeten – unsere Brüder und Schwestern.
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Daniela Böhm setzt sich seit vielen Jahren aktiv für Tierrechte sowie eine grundlegende Veränderung des Verhältnisses Mensch / Tier und Natur ein und lebt aus ethischen Gründen vegan. Sie ist Autorin mehrerer Bücher und schreibt unter anderem regelmäßig Artikel für „Fellbeißer“ und „Hinter den Schlagzeilen“.
Weitere Infos gibt es auf ihrer Webseite www.danielaböhm.com
Petition von Daniela Böhm auf Change.org: Deutsche Schlachthäuser müssen videoüberwacht werden
Titelbild: Postkartenmotiv von PROVIEH e.V. respekTiere leben, erhältlich hier im PROVIEH-Shop
„Man hat nicht ein Herz für Menschen und eines für Tiere.
Man hat ein einziges Herz oder gar keins.“
Alphonse de Lamartine, französischer Schriftsteller, Lyriker und Politiker (1790 – 1869)