Interview mit Ed Horgan und John Lannon von Shannonwatch am 7. Januar 2019 an der Universität von Limerick.
Zu den Hauptorganisatoren der von der irischen Peace and Neutrality Alliance (PANA) und der Coalition against U. S. Foreign Military Bases, USA, im November 2018 in Dublin veranstalteten Konferenz gegen US- und NATO-Stützpunkte in Übersee gehörten Ed Horgan und John Lannon. Horgan, der einst als Kommandant der irischen Armee an UN-Blauhelmmissionen auf Zypern und der Halbinsel Sinai sowie nach der Pensionierung im Auftrag der OSZE, der EU und der UNO an mehr als einem Dutzend Wahlbeobachtermissionen teilgenommen hat, ist heute Internationaler Sekretär der PANA und arbeitet teilzeit als Dozent für internationale Beziehungen an der University of Limerick. Lannon, der dem PANA-Landesvorstand angehört, arbeitete ebenfalls an der UL und zwar in der Abteilung Human Rights and Development Practice an der Kemmy Business School. Am 7. Januar traf sich der Schattenblick mit den beiden auf dem Campus der UL, um sich über die Anti-NATO-Konferenz, aber vor allem über die Nutzung des nahegelegenen Flughafens Shannon durch das US-Militär auszutauschen.
Schattenblick: Könnten Sie uns bitte erzählen, wie die Gruppe Shannonwatch entstanden ist und sich seit ihrer Gründung entwickelt hat? Ging es erst im Herbst 2001 mit dem Afghanistankrieg los oder besteht eine Verbindung zu den Aktivisten, die bereits 1990/1991 gegen die Verwendung des Flughafens Shannon durch das US-Militär im Rahmen der gegen den Irak Saddam Husseins gerichteten Operationen Wüstenschild und Wüstensturm protestierten?
Edward Horgan: Die Proteste gegen die Nutzung von Shannon durch das US-Militär beim Golfkrieg 1991 sind weitgehend in Vergessenheit geraten, obgleich sie nicht klein waren. An den Demonstrationen vor der Flufhafeneinfahrt nahm unter anderem der damalige Labour-Abgeordnete und heutige Staatspräsident Michael D. Higgins teil. Auch als Shannon während des Kosovokriegs der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Frühjahr 1999 für den Luftverkehr amerikanischer Militärflugzeuge verwendet wurde, fanden in Irland öffentliche Proteste dagegen statt. John und ich hatten mit diesen Demonstrationen nichts zu tun. In den neunziger Jahren war ich bei der irischen Abteilung der United Nations Peace Society aktiv. Erst Ende 2001 mit dem Beginn des Afghanistankriegs und des globalen Kriegs der USA gegen den Terror nahm Shannonwatch ihre Tätigkeit auf.
John Lannon: Der jeweilige gesellschaftliche und berufliche Hintergrund der Mitglieder von Shannonwatch ist sehr unterschiedlich. Während Ed aus der Friedensbewegung kommt, liegen meine Wurzeln eher im Bereich der Menschenrechte. Anfang der Nuller Jahre war ich Vorstandsmitglied der irischen Abteilung von Amnesty International. Als es am Flughafen Shannon zu den ersten Demonstrationen und in der Folge den ersten Aktionen zivilen Ungehorsams, wie zum Beispiel seitens Angehöriger der Catholic Worker Movement um Mary Kelly, kam, gehörte ich nicht zur Führung von Shannonwatch, sondern eher zum Unterstützerkreis. Danach hielt ich mich mehrere Jahre im Ausland auf. Wie dem auch sei, seit Herbst 2001 halten diverse Antikriegsaktivisten wie Tim Hourican die Beobachtung und Registrierung jeglicher Benutzung des Flughafens durch ausländische Militärmaschinen aufrecht. Die Beteiligten stammten aus unterschiedichen Gruppen wie Cosainteorí Síochána (Beschützer des Friedens) und Midwest Against Military.
2008 haben alle Aktivisten der Proteste am Flughafen gemeinsam beschlossen, Shannonwatch zu gründen. Die erklärten Ziele der neuen Gruppe waren die Gewährleistung einer lückenlosen Beobachtung nicht-ziviler Aktivitäten in Shannon, die Abhaltung einer regelmäßigen Mahnwache an jedem ersten Sonntag im Monat vor der Flughafeneinfahrt sowie eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit, um Druck auf die Politiker zu machen, die Gefährdung der irischen Neutralität wahrzunehmen und Schritte einzuleiten, die deren Aushöhlung ein Ende setzen.
SB: Im Verlauf der letzten mehr als zehn Jahre ist eine stattliche Anzahl von Shannonwatch-Aktivisten wegen verschiedener Aktionen vor Gericht gelandet. Inwieweit haben die Prozesse und die damit einhergehende Aufmerksamkeit der Medien und der allgemeinen Öffentlichkeit der Sache der Verteidiger der Neutralität Irlands genützt?
EH: Ich habe 2003 die irische Regierung wegen der Preisgabe der irischen Neutralität verklagt, jedoch vor dem Obersten Gerichtshof eine juristische Niederlage erlitten. Die Obersten Richter kamen zu dem Schluß, daß die Entscheidung, ob die Neutralität Irlands verletzt werde oder nicht, der Exekutive obliege und für die Judikative nicht einfach aus der Verfassung abzuleiten sei. Verwiesen wurde in diesem Zusammenhang auf den Wortlaut der Verfassungsartikel 28 und 29. Ich bin der Auffassung, daß das Gericht falsch entschieden hat, besonders was den Artikel 29 betrifft. Bei einer anderen Klage vor dem High Court habe ich Recht bekommen. Dort hat sich der Richter meiner Argumentation angeschlossen, daß die Regierung in Dublin gegen die internationalen Verpflichtungen Irlands verstößt, indem sie die Nutzung von Shannon zuläßt. Dennoch weigerte er sich, eine Rüge auszusprechen oder vom irischen Staat entsprechende Gegenmaßnahmen zu fordern, was völlig inkonsequent war. Insgesamt bin ich fünfmal wegen Protesten und Aktionen am Flughafen Shannon vor Gericht gelandet. Bislang konnte mir glücklicherweise kein Gesetzesverstoß nachgewiesen werden.
SB: Die Mitglieder der Catholic Worker Movement, die schwere Schäden an einem US-Militärflugzeug angerichtet haben, sind ebenfalls freigesprochen worden, nicht wahr?
EH: Das stimmt – Mary Kelly auch – sie wurden zwar in erster Instanz schuldig gesprochen, doch in der Revision wurde das Urteil wieder aufgehoben.
SB: Und was ist mit dem Fall der beiden unabhängigen linken Parlamentsabgeordneten Clare Daly und Mick Wallace?
EH: Die beiden sowie Margaretta D’Arcy und Niall Farrell wurden vom Amtsgericht in Ennis wegen illegalen Eindringens auf das Rollfeld und Gefährdung der Flugsicherheit schuldig gesprochen. Ich habe ihnen geraten, Einspruch gegen das Urteil einzulegen, doch sie nahmen es an, weil sie ins Gefängnis gesteckt werden wollten, um mit ihrem Protest gegen die militärische Nutzung von Shannon ein Zeichen zu setzen. Ich hielt das für einen Fehler, weil dadurch die Urteile Bestand erhalten haben, statt angefochten und in Frage gestellt zu werden. Dennoch muß auch ich anerkennen, daß die vier Beteiligten durch ihre mutige Entscheidung, demonstrativ die Haftstrafe anzutreten, die breite irische Öffentlichkeit auf die Bedrohung aufmerksam gemacht haben, die von dem Treiben in Shannon für die Neutralität ausgeht. Man kann die Sache also von zwei Seiten sehen.
JL: Jedesmal, wenn ein Kriegsgegner wegen Gesetzesübertretungen am Flughafen Shannon vor Gericht landet, wird die verlogene Charade der Dubliner Regierung, die militärische Nutzung der Anlage durch das US-Militär trage nicht zur Demontage der Neutralität der Irischen Republik bei, immer offenkundiger. Das Problem mit solchen Prozessen ist jedoch, daß sie sehr viel Zeit und Energie kosten. Billig sind sie auch nicht. Hinzu kommt, daß bei Prozessen vor dem Amtsgericht in der Grafschaft Clare ausschließlich die konkreten Handlungen der Angeklagten wie Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, wenn ein Loch in einen Zaun geschnitten wird, et cetera, behandelt werden. Die Richter lassen eine inhaltliche Auseinandersetzung um die Motive der Angeklagten, nämlich die Gefährdung des Friedens oder etwaige Versäumnisse der irischen Behörden in bezug auf ihre Pflicht zum Schutz der Menschenrechte – indem sie verdächtige Flugzeuge nicht auf den möglichen Transport von Verschleppungsopfern der CIA kontrollieren – gar nicht erst zu. Beim Prozeß gegen Clare Daly und Mick Wallace hat sich das Gericht in Ennis für Fragen des humanitären Kriegsrechts ausdrücklich für nicht zuständig erklärt. Zwar konnte die irische Friedensbewegung Nutzen aus den Prozessen ziehen und die Gelegenheit nutzen, ihre Argumente der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, doch der Richter hat sich davon wenig beeindrucken lassen.
EH: Aktuell laufen wegen Vorkommnissen in Shannon zwei Doppelprozesse gegen Mitglieder der irischen Antikriegsbewegung – gegen mich und Dan Dowling sowie gegen Dave Donnellan und Colm Roddy. Bei beiden Vorfällen aus dem Jahr 2017 ging es um den Versuch, die Fracht von US-Militärtransportmaschinen auf ihren Inhalt zu kontrollieren. Dabei wurden wir von der Garda Síochána (irische Polizei – Anm. d. SB-Red.) verhaftet. Daß das passieren würde, war uns von vornherein klar, doch mit der Verhaftung wollten wir die fehlende Kontrolle durch die zuständigen irischen Behörden öffentlich anprangern. Im Verlauf der juristischen Auseinandersetzung ist es uns gelungen, daß die Verfahren von der Ebene des Amtsgerichts auf die des Bezirksgerichts in Dublin verwiesen wurden, wo nicht ein einzelner Richter urteilt, sondern Geschworene über Schuld oder Unschuld entscheiden.
SB: Ihnen ging es darum, die Flugzeuge auf Waffen und Munition hin zu kontrollieren bzw. die Garda Síochána dazu aufzufordern. Warum ist die Frage des Inhalts der Fracht der US-Militärtransportflugzeuge so wichtig?
EH: Nach dem Haager Abkommen von 1907, dem die Republik Irland als Unterzeichnerstaat angehört, darf ein neutraler Staat den Transport von Waffen und Munition eines anderen Landes über oder durch sein Territorium nicht gestatten. Indem sie den USA erlauben, Shannon für Militärtransporte zu benutzen, treten die Verantwortlichen in Dublin ihre Verpflichtungen nach dem Haager Abkommen mit Füßen und geben somit die Neutralität Irlands preis.
SB: Daß Abertausende US-Soldaten auf dem Weg zu Militäreinsätzen in Afrika, dem Nahen Osten oder Zentralasien eine Zwischenlandung in Shannon hingelegt haben, ist längst dokumentiert. Was spielt es für eine Rolle, ob Waffen und Munition ebenfalls über Shannon geschleust werden? Ist nicht die krasse Mißachtung der Vereinbarungen des Haager Abkommens längst hinlänglich bewiesen?
JL: Shannon wird von zwei Arten von US-Militärmaschinen angeflogen. Bei der ersten Sorte handelt es sich um zivile Passagierflugzeuge, die irgendwelchen Privatfirmen wie Omni Air, Atlas Air oder National Air Cargo gehören, die vom US-Verteidigungsministerium den Auftrag zum Transport von Soldaten, Waffen und Munition erhalten haben. Diese Firmen haben wiederum die Erlaubnis des Transportministeriums in Dublin bekommen, den irischen Luftraum zu durchqueren bzw. in Shannon Zwischenlandungen vorzunehmen. Es handelt sich um Ausnahmegenehmigungen – Ausnahmen im Sinne des Haager Abkommens. In der Woche dürften es 10 bis 20 solcher Flüge sein, die entweder den irischen Luftraum passieren oder dabei auch eine Zwischenlandung in Shannon machen.
SB: Alles soweit bekannt. Der Verstoß ist offenkundig. Wozu noch die Flugzeuge durchsuchen oder kontrollieren?
JL: Es gibt eine zweite Variante der Transportnutzung des irischen Territoriums durch das US-Militär. Shannon wird regelmäßig von US-Militärfrachtflugzeugen angeflogen. Solche Maschinen wie die Hercules C-130 sind von der Größe her sowie mit ihren Tarnfarben grau oder grün auf dem Rollfeld unübersehbar. Bizarrerweise werden Ausnahmegenehmigungen für diese Flüge weder beantragt noch genehmigt. Sie finden daher in einer rechtlichen Grauzone statt. Es wird nirgendwo dokumentiert, was die Flugzeuge transportieren oder weswegen sie in Irland landen bzw. den irischen Luftraum durchqueren. Auf Anfrage hat das Transportministerium in Dublin wiederholt erklärt, daß diese Flugzeuge keine Waffen oder Munition transportieren und ihre Crew oder die Passagiere nicht an laufenden Kriegseinsätzen teilnehmen. Auf die Frage, was sie dann überhaupt in Irland zu suchen haben, erhalten wir seit Jahren keine Antwort. Shannonwatch verfügt über zahlreiche Hinweise, daß sich sehr wohl Waffen und Munition in diesen Maschinen befinden. Die Idee, sie flögen ohne irgendwelches Kriegsgerät an Bord einfach in der Welt herum, ist völlig abwegig. Wir haben die irischen Behörden, darunter die Garda Síochána, wiederholt aufgefordert, diese Maschinen zu inspizieren – ohne Erfolg.
Die irischen Behörden treiben dasselbe Spiel wie während der Präsidentschaft von George W. Bush, als mittels sogenannter „Folterflüge“ verschleppte „Terroristen“ zwischen Guantánamo Bay und den sogenannten „black sites“ der CIA im Ausland hin- und her transportiert wurden. Auch damals bestand der dringende Verdacht – der dokumentarische Beweis ist inzwischen längst erbracht worden -, daß sich Opfer der „außergewöhnlichen Verschleppungen“ an Bord von privaten Sondermaschinen befanden, die von der CIA extra gechartert worden waren und die immer wieder in Shannon zwecks Rast der Piloten oder Betankung Zwischenlandungen machten.
Als wir damals die irischen Behörden aufforderten, die verdächtigen Maschinen zu durchsuchen, verlangten diese ihrerseits von uns handfeste Belege, daß sich tatsächlich verschleppte Terrorverdächtige in den Flugzeugen befanden. Es war der reine Hohn. Weder durchsuchten sie die Flugzeuge, noch ließen sie uns das machen. Sie schauten also bei schwersten Menschenrechtsverletzungen weg und ließen sie auf irischem Boden einfach geschehen. Vor diesem Hintergrund sind wir von Shannonwatch nicht gewillt, die Behauptung einfach zu schlucken, die US-Militärmaschinen in Shannon hätten keine Waffen oder Munition an Bord, sondern werden immer wieder versuchen, mittels eigener, notfalls illegaler Kontrollversuche die These auf ihre Faktizität hin zu überprüfen.
SB: Verfügt ihre Organisation über Erkenntnisse, wonach auch nach dem Verbot durch den damals frischgewählten US-Präsidenten Barack Obama im Frühjahr 2009 der Flughafen von Shannon durch die CIA und/oder das Pentagon für den Transport von „illegalen Kombattanten“ im Sinne des „globalen Antiterrorkriegs“ der USA, auch „außergewöhnliche Überstellungen“ genannt, benutzt worden ist?
JL: Es ist unvorstellbar, daß die „Folterflüge“ der CIA mit dem Einzug Obamas ins Weiße Haus von einem Tag auf den anderen aufgehört haben.
SB: „Unvorstellbar“ – wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
JL: Ich leite sie aus der Kontinuität ab, welche die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik von Bush jun., Obama und Trump auszeichnet. Statt die militanten Gegner amerikanischer Militärinterventionen in der islamischen Welt zu verschleppen und zu foltern, wie es die Bush-Regierung getan hat, ist die Obama-Regierung weitgehend dazu übergangen, besagte Verdächtige per Drohnenangriff zu liquidieren. Leute auf Verdacht einfach umzubringen ist eine schwerere Menschenrechtsverletzung als sie zu entführen und zu mißhandeln. Hinzu kommt, daß unter Obama die CIA zwar die verdächtigen Personen selbst nicht mehr foltern durfte, sie dennoch verschleppte und vom Geheimdienstpersonal irgendwelcher befreundeter „Regime“ im Nahen Osten foltern ließ. Die „Folterflüge“ endeten nicht automatisch, denn die Opfer wurden zwar nicht mehr in die „black sites“ der CIA, die geschlossen worden waren, aber in Kerker in Amman, Kairo oder Riad verschleppt.
EH: Uns liegen zudem Hinweise vor, wonach CIA-Agenten und Mitglieder der US-Spezialstreitkräfte, die auf dem Weg zu Verschleppungs- oder Liquidierungsoperationen im Ausland waren oder von dort zurückkehrten, Zwischenstopps in Shannon gemacht haben.
JL: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Eines Tages kam ich mit einem Taxifahrer in Limerick ins Gespräch. Der Mann erklärte mit Stolz, er habe einige Mitglieder solcher Killertrupps persönlich kennengelernt. Er sagte, er könnte mir so manche Geschichte erzählen, worin die Spezialaufträge dieser Leute bestanden, wohin sie unterwegs waren oder woher sie zurückkamen.
SB: Woher will er das gewußt haben?
EH: Die großen Hercules-Militärtransportmaschinen, mit denen solche Spezialstreitkräfte normalerweise unterwegs sind, landen bei ihren Zwischenstopps in Shannon am Nachmittag oder Abend und fliegen üblicherweise erst am nächsten Tag weiter. Das wird so gehandhabt, damit die maximale Flugzeit der Piloten nicht überschritten wird und sie sich zwischendurch ausruhen können. Bei solchen Anlässen werden Crew und Passagiere in Shannon im Hotel untergebracht und es kommt immer wieder vor, daß einige von ihnen mit dem Taxi nach Limerick hineinfahren, essen gehen und Kneipen oder Nachtclubs besuchen. Dabei brüstet sich offenbar der eine oder andere Teilnehmer solcher Operationen mit seinen Kriegserfahrungen und spielt sich als Tom Cruise 2.0 auf. Shannonwatch ist von der Beweislage her noch nicht soweit, aufgrund solcher Geschichten Anzeige gegen den irischen Staat wegen Verstoßes gegen das Haager Abkommen erstatten zu können, aber dazu wird es über kurz oder lang kommen. Da sind wir ziemlich zuversichtlich. Von daher wiederhole ich, daß es unvorstellbar ist, daß diese US-Militärmaschinen keine Waffen und Munition transportieren und keine Spezialstreitkräfte an Bord haben, die auf dem Weg zum Kriegseinsatz unterwegs sind. Ich gehe zudem davon aus, daß mit vielen amerikanischen Privatmaschinen, die Zwischenlandung in Shannon machen, private Militärdienstleister unterwegs sind, die im Auftrag des Pentagons „Sonderaufgaben“ in Afghanistan oder anderswo erfüllen. Von all diesem illegalen Treiben wollen die irischen Behörden nichts wissen, sondern kehren dem einfach den Rücken.
SB: Was ist die wichtigste Erkenntnis, die Sie im Verlauf der mehrjährigen Beobachtung der Nutzung des Flughafens Shannon durch Geheimdienst und Militär der USA gewonnen haben? Wurden lediglich Dinge bestätigt, von denen Sie ohnehin wußten, oder kam etwas Neues hinzu?
JL: Mir war vorher das Ausmaß der Mittäterschaft eines nominell neutralen Staates, in diesem Fall Irlands, bei den Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan, im Irak und anderen Teilen der islamischen Welt nicht klar. Es ist wirklich erschreckend. Die meisten Iren wissen nichts oder recht wenig davon, was seitens Washingtons und Dublins auch so gewollt ist. Uns werfen die Verteidiger des Status quo in Irland vor, wir würden die Sachlage verzerrt darstellen oder Geschichten erfinden, doch das ist nicht der Fall. Wir machen lediglich die Fakten, wie sie uns vorliegen, der Öffentlichkeit zugänglich. Das Ausmaß an Massenmord und Folter, an denen sich die offiziellen Vertreter des irischen Staates durch die Bereitstellung Shannons mitschuldig machen, ist unvorstellbar und grauenhaft. Irlands Politiker, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen, sind für schwerste Kriegsverbrechen mitverantwortlich.
Für mich ist es immer wieder ermutigend zu sehen, wie empört die Menschen in Irland reagieren, wenn sie von der Verwicklung des eigenen Staates in die Kriegsverbrechen der USA erfahren. Immer mehr Leute in Irland sind darüber entsetzt und verlangen, daß irgend etwas dagegen unternommen wird, wobei sie selbst nicht selten politisch aktiv werden. Als wir 2008 mit der monatlichen Mahnwache am Kreisel vor der Einfahrt auf das Shannon-Flughafengelände begannen, haben uns viele Fahrer beschimpft und den Mittelfinger gezeigt. Uns wurde häufig vorgeworfen, wir würden mit unseren Protesten Investoren aus den USA verschrecken. Inzwischen passiert das nicht mehr. Die Stimmung und die Ansichten der Leute hier in der Region haben sich verändert. Wir erfahren viel mehr Unterstützung als vor zehn Jahren.
EH: Für mich hat das Engagement bei Shannonwatch verdeutlicht, wie wichtig die Neutralität Irlands ist und warum wir sie unbedingt aufrechterhalten sollten. Hinzu kommt, daß ich im Verlauf der letzten Jahre auch viele Länder besucht habe, die durch die Militärinterventionen der USA und ihrer Verbündeten destabilisiert worden sind. Ich war in der südlichen Türkei, zweimal in Syrien, im Westjordanland und im Norden Pakistans an der Grenze zu Afghanistan und habe mir die mißliche Situation der Ortsansässigen sowie der Kriegsflüchtlinge genauestens angeschaut. Für mich steht es ebenfalls außer Frage, daß sich führende Politiker der Irischen Republik an schwersten Kriegsverbrechen der USA mitschuldig gemacht haben.
Ich halte die These, Antikriegsproteste oder gar eine Distanzierung Dublins von der Außen- und Sicherheitspolitik der USA könnten amerikanische Geschäftsleute vergraulen, für abwegig. Die meisten US-Konzerne, die in Irland investieren, tun das, um sich vor allem Steuervorteile zu verschaffen. Ihr Profitstreben stellt also jede „patriotische“ Regung in den Schatten.
Darüber hinaus bin ich der Meinung, daß die jahrelangen Proteste der irischen Friedensbewegungen und die verschiedenen Enthüllungen von Shannonwatch über die Aktivitäten des US-Militärs an der Westküste Irlands Neutralität in der öffentlichen Wahrnehmung thematisiert und somit dazu beitragen haben, diese Neutralität zu erhalten. Ich räume ein, daß die irische Neutralität inzwischen praktisch nur noch zum Schein existiert. Trotzdem fühlt sich die politische Elite in Dublin genötigt, diesen Schein zu wahren, und zwar aufgrund der großen Bedeutung, die das irische Volk der traditionellen Neutralität der Republik beimißt. Die Aktionen, welche wir in Shannon durchgeführt haben, und die öffentliche Resonanz darauf haben die meisten Iren in ihrem Bekenntnis zur Neutralität ihres Staates in militärischen Belangen verstärkt. Hinzu kommt, daß sich inzwischen in ganz Europa bei den meisten Menschen die Einsicht durchgesetzt hat, daß die Kriege, welche die USA und ihre NATO-Partner in den letzten Jahrzehnten in Nordafrika, im Nahen Osten und in Zentralasien vom Zaun gebrochen haben, nicht zu rechtfertigen sind. Daraus speist sich auch in Irland die zunehmende Unterstützung unserer Friedensbemühungen.
JL: Unabhängig von den ethischen oder rechtlichen Aspekten der Neutralität wird immer mehr Iren bewußt, daß Dublin sie durch seine passive Verwicklung in den „Antiterrorkrieg“ der USA in Gefahr bringt. Irische Bürger werden im Ausland zu potentiellen Opfern von Islamisten. „Terroristische“ Vergeltungsschläge in Irland können nicht mehr ausgeschlossen werden. Die Nutzung von Shannon durch das US-Militär macht den dortigen Flughafen zum Angriffsziel. Einige „radikale“ irische Moslems stehen bereits unter Beobachtung der Garda Síochána, während andere nach Syrien gereist sind, um dort für das Kalifat der „Terrormiliz“ Islamischer Staat (IS) zu kämpfen.
Hinzu kommt, daß der Flughafen Shannon eine zivile Einrichtung ist, welche die USA quasi in einen Militärstützpunkt verwandelt haben. Das birgt große Gefahren. Der Katastrophenschutz in Shannon ist auf Unglücksfälle ziviler Natur eingestellt. Was passiert, wenn es in Shannon zu einem Unfall von Militärmaschinen kommt, deren Fracht völlig unbekannt und vielleicht hochgiftig ist, weiß niemand. Zu sagen, die Feuerwehr in Shannon sei auf ein solches Szenario unzureichend vorbereitet, wäre noch maßlos untertrieben.
SB: In den letzten Jahren scheinen sich die Besuche ausländischer Kriegsschiffe in den Häfen der Irischen Republik zu häufen. Deckt sich dieser Eindruck mit Ihren Erfahrungen und wenn ja, worauf würden Sie diese Zunahme zurückführen?
EH: Zu solchen Schiffsbesuchen ist es in letzter Zeit vor allem in Cork und Cobh gekommen, die beide am großen natürlichen Hafen Corks im irischen Südwesten liegen. Für mich sieht es so aus, als würde die Regierung in Dublin befreundete Staaten wie Großbritannien, die USA und die anderen EU-Länder dazu ermuntern, ihre Kriegsschiffe zu Hafenbesuchen nach Irland zu schicken, damit sich die Bevölkerung an den Anblick von Militärangehörigen in Uniform gewöhnt und ihn für etwas völlig Normales hält. Ein solcher Prozeß der „Normalisierung“ soll vermutlich die von Dublin gewollte zunehmende Beteiligung Irlands an der militärischen Zusammenarbeit innerhalb der EU beflügeln.
2017 sollte in Cork der 100. Jahrestag der Nutzung des Hafens durch die US-Armee im Ersten Weltkrieg gefeiert werden. Heute weiß fast niemand mehr in Irland, daß die Amerikaner damals eine beachtliche Marinebasis in Cobh unterhielten. Als wir gegen den Besuch zweier US-Kriegsschiffe protestierten und damit deutlich machten, daß wir eine Feier zum 100. Jubiläum des damaligen Stützpunkts später im Jahr stören würden, kam es zum Verzicht auf diese Veranstaltung.
SB: Was sagen Sie zur Entscheidung des Parlaments in Dublin Ende vergangenen Jahres, nach extrem kurzer Debatte einem Gesetzentwurf der Regierung über den Beitritt der Republik Irland zu PESCO zuzustimmen? Infolge des PESCO-Beitritts wird der irische Staat seinen Wehretat von bislang um die 0,6 Prozent des Staatshaushalts auf zwei Prozent erhöhen müssen. Wäre es angesichts einer solch drastischen Aufstockung der irischen Militärausgaben nicht möglich, eine Verteidigungskapazität auf die Beine zu stellen, die, ähnlich Ländern wie die Schweiz oder Finnland, im Notfall die Neutralität gewährleisten und jeden potentiellen Angreifer vor einer möglichen Invasion abschrecken würde?
EH: Irland befindet sich geopolitisch wie auch geographisch in einer ganz anderen Lage als die Schweiz oder Finnland. Erstens ist Irland eine Insel. Das ist unser bester Schutz vor militärischen Aggressionen. Zweitens kann Irland nur mittels asymetrischer Kriegsführung verteidigt werden. Bevor ich in Rente ging, war ich Dozent an der irischen Militärakademie. Aufgrund meiner eigenen Studien kam ich zu dem Schluß, daß die irischen Streitkräfte nicht in der Lage wären, eine größere ausländische Streitmacht am Einmarsch zu hindern. Ihre einzige Möglichkeit, die Souveränität des Staates zu verteidigen, bestünde darin, sich auf einen langwierigen Guerillakrieg einzustellen und den Invasoren solange zuzusetzen, bis sie den Rückzug antreten.
SB: Wenn die Regierung in Dublin die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Staatshaushalts zu erhöhen gedenkt, wäre dann das Geld nicht am sinnvollsten investiert, wenn man damit die notwendigen Vorbereitungen zur effektiven Führung eines solchen Guerillakriegs ergriffe?
EH: Selbstverständlich. Doch die Ausrüstung und die Mittel, die zur Führung eines Guerillakriegs erforderlich sind, unterscheiden sich grundlegend von den Kampfpanzern und Kampfjets, auf die man beim konventionellen Krieg setzt. Im ersten Fall reden wir von Waffensystemen und anderer Ausrüstung, die vom einzelnen Soldaten getragen werden könnten und leicht zu verbergen wären, wie Anti-Panzer- und Boden-Luft-Raketen.
SB: Mit den zusätzlichen Militärausgaben große und teuere Waffensysteme wie Kampfjets und Kriegsschiffe zu beschaffen wäre demnach im Sinne einer ernstzunehmenden Verteidigungsstrategie nutzlos und diente in allererster Linie einer Subventionierung der großen europäischen Rüstungsproduzenten.
EH: Sie sagen es.
JL: Die in PESCO vorgeschriebene Mindestausgabe aller beteiligten Staaten für das Militär deutet auf ein weit größeres Problem hin. Unsere kurzsichtige und phantasielose kapitalistische Führungselite greift zur Bewältigung aller weltweiten Probleme – angefangen vom Klimawandel über den Ressourcenschwund bis hin zu Migrationsströmen – auf militärische Mitteln zurück. Sie setzt voll und ganz auf Rüstungstechnologie und die Entwicklung immer modernerer Waffensysteme – Stichwort Roboter. Sie nimmt billigend in Kauf, daß der Preis dieser Entscheidung in den kommenden Jahren Tod oder Vertreibung zahlloser Menschen vornehmlich in den ärmeren Ländern sein wird. Zudem handelt die Regierung in Dublin genauso kurzsichtig und opportunistisch wie alle anderen und hat keine bessere Idee, als zu versuchen, vom großen Rüstungskuchen ein paar Krümel für Irland abzubekommen. Irland, obwohl nominell neutral, setzt der Militarisierung der EU nichts entgegen, sondern reiht sich in diesen Prozeß ein, um davon zu profitieren. Man denkt über die Konsequenzen nicht einmal ansatzweise nach und schielt einzig auf den Inhalt irgendwelcher Fördertöpfe in Brüssel, aus denen man sich bedienen will.
SB: Sind Sie mit dem Verlauf der von Shannonwatch und der irischen Peace & Neutrality Alliance (PANA) im November in Dublin veranstalteten Anti-NATO-Basen-Konferenz zufrieden? Haben Sie vielleicht eine Erklärung für das fehlende Medienecho? Schließlich traten auf der Konferenz viele wichtige Persönlichkeiten der internationalen Antikriegsbewegung, darunter mit Mairéad Maguire eine Friedensnobelpreisträgerin, sowie mehrere irische Parlamentsabgeordneten auf?
EH: Wir sind mit Verlauf und Ergebnis der Konferenz recht zufrieden. Mehr als 200 Delegierte aus aller Welt sind gekommen. Alle sechs bevölkerten Kontinente – Afrika, Asien, Europa, Nordamerika, Ozeanien und Südamerika – waren vertreten. Die mangelnde Berichterstattung ist bedauerlich, darf aber nicht geleugnet werden. Hätten wir mehr machen müssen, um das Interesse der Presse doch noch zu wecken, etwa bestimmte Journalisten persönlich anzusprechen und einzuladen? Ich weiß es nicht. Eher habe ich den Eindruck, daß hinter dem vermeintlichen Desinteresse ein unausgesprochener Boykott bzw. eine Selbstzensur der Mainstream-Medien steckt, die einer Veranstaltung, die den vermeintlichen Staatsinteressen der Republik derart kritisch wie die unsrige gegenübersteht, keine öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen wollten.
JL: Ich kann dem nur zustimmen. Wir müssen daraus lernen und das werden wir auch. Wir planen für den kommenden Oktober eine weitere internationale Friedenskonferenz, diesmal hier an der Universität von Limerick. Aufgrund der Erfahrungen aus Dublin müssen wir darauf gefaßt sein, daß die Mainstream-Medien sich jeglichen Vorwands bedienen werden, unsere Veranstaltung wegen der schwierigen außen- und sicherheitspolitischen Fragen, die dort offen und kritisch diskutiert werden, zu ignorieren. Also werden wir vermutlich auf irgendwelche Aktionen, eventuell des zivilen Ungehorsams, zurückgreifen müssen, um die Aufmerksamkeit der Presse zu erzwingen. Wir müssen es den Medien unmöglich machen, über unsere Veranstaltung nicht zu berichten. Das haben wir in Dublin versäumt.
Gleichwohl bin ich der Meinung, daß die Konferenz in Dublin ein ausgesprochener Erfolg gewesen ist. Führt man sich die Liste der Redner, der Gäste bei den Podiumsdiskussionen und die dort behandelten Themen vor Augen, kommt man um die Feststellung nicht herum, daß an dem Wochenende in Dublin gewichtige Fragen der internationalen Politik von Fachleuten aus aller Welt ausführlich behandelt wurden. Ich denke auch, daß die Konferenz ein Forum war, auf dem viele Aktivisten einander erstmals persönlich kennenlernen und ihre Ideen und Erfahrungen austauschen konnten. Vom Verstärkungseffekt dürfte die internationale Friedensbewegung insgesamt profitieren. Bei dieser Gelegenheit möchte ich klarstellen, daß wir, obwohl sich die Konferenz formal gegen Stützpunkte der USA und der NATO im Ausland richtete, als Veranstalter jede Form von Imperialismus verurteilen. Nur ist es so, daß mehr als 90 Prozent aller ausländischen Militärstützpunkte von den USA und den anderen großen NATO-Mitgliedern Großbritannien und Frankreich betrieben werden. Zwar haben auch andere Staaten wie Rußland, China und Indien Soldaten auf eigenen Stützpunkten im Ausland stationiert, doch sind es – bisher jedenfalls – noch lange nicht so viele wie die der genannten drei NATO-Großmächte.
SB: Vielen Dank, Ed Horgan und John Lannon, für das ausführliche Gespräch.
Das Interview wurde am 27. Januar 2019 unter dem Titel Treff für den Frieden – die kleinen Kriege … Ed Horgan & John Lannon im Gespräch (SB) auf Schattenblick veröffentlicht.