Deutsche Waffenschmieden weiten ihre Produktion im Ausland aus und umgehen damit in zunehmendem Maß die Vorschriften für den Rüstungsexport. Der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern etwa erweitert eine Bombenfabrik auf Sardinien, von der aus er Saudi-Arabien beliefert – unabhängig von dem offiziellen Exportstopp, den die Bundesregierung im Herbst verkündet hat.

Zudem wird die Kooperation zwischen Rheinmetall Denel Munition (RDM) in Südafrika und dem saudischen Rüstungskonzern SAMI intensiviert; SAMI will sogar Anteile an der Rheinmetall-Tochterfirma übernehmen. Auch Hersteller von Kleinwaffen weichen auf die Auslandsproduktion aus. So stellt SIG Sauer aus Eckernförde bei Kiel Schusswaffen für die Streitkräfte Mexikos her, die an die mexikanische Polizei in Unruheregionen des Landes weitergereicht werden. Bei Lieferungen aus Deutschland wäre das verboten. Allein die Ausfuhren der Rheinmetall-Tochterfirmen auf Sardinien und in Südafrika nach Saudi-Arabien belaufen sich auf mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr.

„Auf dem Rücken der Rüstungsindustrie“

Kurz vor Jahresbeginn hatten Vertreter der deutschen Rüstungsindustrie scharfe Kritik an der Bundesregierung geübt. Hintergrund war die Tatsache, dass der Wert neu genehmigter Rüstungsexporte von rund 6,24 Milliarden Euro im Jahr 2017 auf – vorläufigen Angaben zufolge – 4,2 Milliarden Euro im Jahr 2018 zurückgegangen ist. Als Ursache dafür gelten nicht eine prinzipielle Kehrtwende Berlins in der Genehmigungspraxis, sondern Besonderheiten des Jahres 2018: zum einen die langwierige Regierungsbildung, die dazu führte, dass Berlin zu Jahresbeginn fast drei Monate lang nur eingeschränkt handlungsfähig war; zum anderen das Auslaufen mehrerer großer Rüstungsprojekte; und schließlich die Verwerfungen im Verhältnis zu Saudi-Arabien, einem der traditionell wichtigsten Käufer deutschen Kriegsgeräts. Zunächst hatte Berlin aufgrund der verbrecherischen saudischen Kriegführung im Jemen die Lieferungen in gewissem Maße eingeschränkt; dann hatte es – nach dem Mord an dem Regimekritiker Jamal Khashoggi – offiziell sämtliche Genehmigungen suspendiert. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans Christoph Atzpodien, kritisierte Ende Dezember, die Berliner Genehmigungspraxis sei „unvorhersehbar“ und zudem „oft nicht nachvollziehbar“.[1] Es gehe nicht an, dass auf dem „Rücken“ der Rüstungsindustrie „rein politische Themen … ausgetragen“ würden.

Über Südafrika nach Saudi-Arabien

Tatsächlich ist der offizielle Rückgang der deutschen Rüstungsexporte nicht nur auf diesjährige Besonderheiten zurückzuführen, sondern auch darauf, dass deutsche Waffenschmieden begonnen haben, ihre Produktionsstandorte zu diversifizieren und heikle Exporte über Werke im Ausland zu organisieren. So hat ein Vorstandsmitglied des Düsseldorfer Rüstungsproduzenten Rheinmetall Mitte November bestätigt, dass sein Unternehmen über Tochterfirmen im Ausland Kriegsgerät im Wert von über 100 Millionen Euro jährlich nach Saudi-Arabien liefert.[2] Dieser Betrag ist im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung nicht enthalten. Abgewickelt werden die Lieferungen über Werke auf Sardinien (Rheinmetall Waffe Munition Italia, RWM Italia) und in Südafrika (Rheinmetall Denel Munition, RDM).[3] Die Bombenfabrik auf Sardinien wird ausgebaut; die Kooperation zwischen RDM und Saudi-Arabien wird intensiviert: Der noch recht junge saudische Rüstungskonzern SAMI (Saudi Arabian Military Industries), der vom ehemaligen Rheinmetall-Manager Andreas Schwer geführt wird, will den südafrikanischen Denel-Konzern übernehmen. In diesem Zusammenhang strebt er auch die Übernahme der Denel-Anteile (49 Prozent) an RDM an (german-foreign-policy.com berichtete [4]). SAMI selbst hat rund ein Dutzend deutsche Bürger, darunter mindestens drei ehemalige Rheinmetall-Mitarbeiter, angestellt, die den Konzern beim Aufbau einer eigenen Waffenproduktion unterstützen.[5] Anders als beispielsweise in den USA ist in Deutschland die mündliche Weitergabe von Rüstungs-Know how erlaubt; diese Gesetzeslücke ermöglicht den informellen Export deutscher Waffentechnologie.

Partnernationen

Nach Saudi-Arabien gelangen Produkte deutscher Rüstungskonzerne auch über andere Staaten in Europa, wenn sie in gemeinsam betriebenen Unternehmen hergestellt worden sind. Dies gilt insbesondere für Kampfjets. So haben sich Großbritannien und Saudi-Arabien im März vergangenen Jahres auf die Lieferung von 48 Flugzeugen des Typs Eurofighter geeinigt. An deren Herstellung sind deutsche Waffenschmieden beteiligt. Wie die Bundesregierung in einem Bericht an den Wirtschaftsausschuss des Bundestags bestätigt, „unterbindet keine Partnernation den Verkauf oder die Genehmigung des Verkaufs von Produkten oder Systemen des Programms an Dritte“.[6] Die Verantwortung für den Export von Kampfjets lässt sich damit leicht auf Großbritannien abschieben, das schon die bisher von Saudi-Arabien genutzten Eurofighter geliefert hat. Eurofighter und Tornados – ebenfalls aus deutscher Koproduktion – sind im Jemen-Krieg zum Einsatz gekommen; die dortigen Luftschläge saudischer Piloten haben zahlreiche Zivilisten umgebracht und werden von Menschenrechtlern scharf kritisiert.[7] Saudi-Arabien wird auch mit den notwendigen Ersatzteilen für die europäischen Kampfjets beliefert, ohne die der Jemen-Krieg nicht geführt werden könnte.

Kleinwaffenexporte

Umweglieferungen werden schließlich auch bei deutschen Kleinwaffenherstellern immer beliebter. Über den einstigen Bundeswirtschafts- und Außenminister Sigmar Gabriel heißt es regelmäßig, es sei ihm gelungen, „eine deutliche Reduzierung des Exports von Kleinwaffen“ zu erreichen.[8] Dieser Eindruck verdankt sich der Tatsache, dass Firmen wie Heckler & Koch oder SIG Sauer, die Schusswaffen verkaufen, zuletzt Produktionsstandorte in den Vereinigten Staaten errichtet haben, um ihre Waffen von dort aus exportieren zu können. Im deutschen Rüstungsexportbericht tauchen sie seitdem nicht mehr auf. Dies betrifft beispielsweise die scharf kritisierte Ausfuhr von Schusswaffen nach Mexiko. In Deutschland wurden ehemalige Mitarbeiter von Heckler & Koch vor Gericht gestellt, weil Schusswaffen, deren Export sie verantworteten, in Unruheregionen gefunden wurden, für die wegen der zahlreichen blutigen Menschenrechtsverletzungen dort keine Ausfuhrgenehmigung erteilt worden war (german-foreign-policy.com berichtete [9]).

Schusswaffen für Mexiko

In den USA ist von ähnlichen Hindernissen nichts bekannt. So hat SIG Sauer, eine Firma, deren deutscher Sitz in Eckernförde bei Kiel liegt, eine Außenstelle in Newport (New Hampshire) errichtet, über die 2016 rund 90 Prozent des gesamten Firmenumsatzes getätigt wurden.[10] Von dort aus hat SIG Sauer allein von April 2015 bis April 2018 Schusswaffen im Wert von 29,3 Millionen US-Dollar nach Mexiko verkauft. Das Unternehmen darf seine Lieferungen in Zukunft noch stark ausweiten: Im April 2015 hat es die Genehmigung zum Export von Schusswaffen im Wert von insgesamt 265 Millionen Dollar bis zum Jahr 2024 nach Mexiko erhalten.[11] Die Gewaltverbrechen, die auch Angehörige von Militär und Polizei im mexikanischen Drogenkrieg immer wieder begehen, stehen dem nicht im Weg.


[1] Rüstungsindustrie kritisiert Bundesregierung. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.12.2018.
[2] Karl Hoffmann, Philipp Grüll: Exporte dank Lücken im Gesetz. tagesschau.de 04.12.2018.
[3] S. dazu Man schießt deutsch.
[4] S. dazu Business as usual.
[5] Hans-Martin Tillack: So helfen Deutsche, Saudi-Arabien aufzurüsten – allen Sanktionen zum Trotz. stern.de 18.12.2018.
[6] Matthias Gebauer, Gerald Traufetter: Deutschland liefert über Umwege weiter nach Saudi-Arabien. spiegel.de 12.12.2018.
[7] S. dazu Die Schlacht um Al Hudaydah.
[8] Johannes Leithäuser: Schwieriges Verhältnis. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.12.2018.
[9] S. dazu Von Sturmgewehren und Menschenrechten.
[10] S. dazu Der transatlantische Schusswaffenmarkt.
[11] John Lindsay-Poland: How U.S. Guns Sold to Mexico End Up With Security Forces Accused of Crime and Human Rights Abuses. theintercept.com 26.04.2018.

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