Frauen standen 2018 weltweit an vorderster Front im Kampf um die Menschenrechte. Amnesty International warnt am 70. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gleichzeitig vor weit verbreitetem Rassismus und zunehmendem Hass gegenüber Frauen und Lesben, Schwulen und Transgender. Lang erkämpfte Rechte und Freiheiten werden in Frage gestellt. Auch in Europa stellt Amnesty wachsende Intoleranz und Diskriminierung fest, während der Handlungsspielraum für die Zivilgesellschaft immer kleiner wird. Die EU-Staaten und die Schweiz müssen sich aussenpolitisch stärker für die Menschenrechte einsetzen, fordert Amnesty.
«2018 erleben wir, dass viele der ‚harten Kerle‘ in der Politik versuchen, den Gleichheitsgrundsatz – das ureigene Fundament der Menschenrechte – zu untergraben. Es waren Aktivistinnen, die diesen repressiven Führungsfiguren 2018 den visionärsten Widerstand entgegengesetzt haben», sagte der Generalsekretär von Amnesty International, Kumi Naidoo.
Wie sie das getan haben, fasst Amnesty International in der Publikation «Menschenrechte 2018» (engl. Titel: RightsToday) zusammen, einer umfassenden Begutachtung der Lage der Menschenrechte in sieben Weltregionen: Afrika, Nord-, Mittel- und Südamerika, Europa und Zentralasien, Naher Osten und Nordafrika sowie Ostasien, Südasien und Südostasien. Die Veröffentlichung fällt auf den 70. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Die erste Grundrechtecharta, die für alle Menschen gilt, wurde 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen.
2018: Frauen wehren sich
Die Bedeutung von starken Frauenstimmen darf nicht unterschätzt werden, heisst es im Amnesty-Jahresbericht «Menschenrechte 2018». Von Frauen getragene Aktionen wie Ni una menos in Lateinamerika sind zu Massenbewegungen in einer bis dahin unbekannten Grössenordnung angewachsen.
In Indien und Südafrika gingen Tausende auf die Strasse, um gegen die weit verbreitete sexualisierte Gewalt zu demonstrieren. In Saudi-Arabien und im Iran drohte Aktivistinnen eine Festnahme, als sie sich dem Fahrverbot und dem Kopftuchzwang widersetzten. In Argentinien, Irland und Polen gab es grosse Demonstrationen, die sich gegen repressive Abtreibungsgesetze richteten. In den USA, in Europa und in Japan nahmen erneut Millionen Frauen an Demonstrationen teil, die #MeToo-Aktivistinnen initiiert hatten, um gegen Frauenhass und sexualisierte Gewalt zu protestieren.
Im Jahresbericht wird auch der Frage nachgegangen, warum Frauen sich immer stärker zu Wehr setzen und hart für ihre Rechte kämpfen müssen. Amnesty weist auf eine wachsende Zahl von politischen Massnahmen und Gesetzen hin, die darauf abzielen, Frauen zu unterdrücken und zu kontrollieren. Diverse Aktivistinnen haben 2018 ihr Leben und ihre Freiheit riskiert, um Menschenrechtsverletzungen ans Licht zu bringen.
Europa: Politik der Schuldzuweisung und Angst
Auch in zahlreichen Ländern Europas und Zentralasiens nehmen Intoleranz, Hass und Diskriminierung zu, während der Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft immer enger wird. Das führt dazu, dass das Sozialgefüge immer grössere Risse aufweist. «Politische Führungskräfte bedienen sich einer giftigen Rhetorik, die bestimmten Bevölkerungsgruppen die Schuld an sozialen und wirtschaftlichen Problemen zuweist. Mit ihrer Politik der Angst treiben sie einen Keil zwischen die Menschen», heisst es in «Menschenrechte 2018».
In ganz Europa verbreiten Gruppen Hass und Diskriminierung und nehmen auf politischer Ebene Einfluss. Gleichzeitig greifen etablierte Parteien deren Ideen auf und bedienen sich derselben hasserfüllten Rhetorik. Unterstützt durch einige Politikerinnen und Politiker und Teile der Medien wird es immer normaler, Hass und Intoleranz zu verbreiten.
Kritik an Aussenpolitik Europas (auch der Schweiz)
Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen darauf reagieren, dass internationale Akteure sich aus Abkommen zum Schutz der Menschenrechte zurückziehen oder sie sogar untergraben. Sie müssen sich aussenpolitisch stärker für die Menschenrechte einsetzen, fordert Amnesty International.
Auch in der Schweizer Politik bestimmen weiterhin wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen die Agenda und drohen den internationalen Menschenrechtsschutz zurückzudrängen.
«Damit die offizielle Schweiz mit Genf als ‚Welthauptstadt der Menschenrechte‘ als überzeugende Fürsprecherin der Menschenrechte auftreten kann, muss sie ihre Politik wieder verstärkt an diesen Rechten orientieren. Die einseitige Bevorzugung wirtschaftlicher oder sicherheitspolitischer Interessen namentlich bei den Rüstungsexportkontrollen durch den Bundesrat widerspricht dem Bild der humanitären Tradition, mit dem sich die Schweiz gerne schmückt»,
sagt Manon Schick, Geschäftsleiterin der Schweizer Sektion von Amnesty International.
Dazu kommt, dass die Schweiz den internationalen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen nicht unterzeichnet hat und sich die Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution weiterhin verzögert. «Beides ist wenig kohärent mit den aussenpolitischen Zielen zur Förderung von Frieden und Menschenrechten und den Verlautbarungen der Schweizer Diplomatie in diesen Bereichen», so Manon Schick.