Die sich zur Wehr setzenden französischen Untertanen kämpfen gegen das sich abzeichnende Ende der Demokratie in ihrem Land.
Emmanuel Macron, das ist das Kunstprodukt, das der französischen Wählerschaft durch eine großangelegte Medienkampagne verkauft wurde. Von der Finanzoligarchie an die Macht gehievt, sollte er für sie „Europa retten“ — die EU aus dem Sumpf ziehen. Doch der Glanz der Herrschaft, mit dem er sich so gerne umgibt, verblasst. Dafür sorgen seine Untertanen, mit ihren Westen in unübersehbarem leuchtendem Gelb.
Jedes Fahrzeug in Frankreich muss mit einer gelben Warnweste bestückt sein. Damit ist gewährleistet, dass der Fahrer im Falle eines Unfalles oder einer Panne auf der Autobahn gut sichtbar ist und nicht überfahren wird.
Die Idee, die gelbe Weste zu tragen, um gegen eine unbeliebte Regierung zu demonstrieren, fand also schnell Anklang. Die Kleidung war zur Hand und musste nicht von Soros für eine mehr oder weniger inszenierte „Farbenrevolution“ zur Verfügung gestellt werden. Die Symbolik passte: Zeige, dass Du im Falle eines sozio-ökonomischen Notfalls nicht überrollt werden möchtest.
Wie jeder weiß, wurde die Protestbewegung von einem erneuten Anstieg der Kraftstoffsteuer ausgelöst. Es wurde aber sofort klar, dass es um mehr ging. Die Kraftstoffsteuer war der letzte Tropfen einer langen Reihe von Maßnahmen, die den Reichen auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung Vorteile verschaffen sollten. Deswegen erzielte die Bewegung auch fast augenblicklich Beliebtheit und Zustimmung.
Die Stimmen des Volkes
Die Gelbwesten demonstrierten am Samstag, den 17. November zum ersten Mal auf den Champs-Elysées in Paris. Es war so ganz anders als die üblichen Gewerkschafts-Demonstrationen, wo man gut organisiert und Banner schwenkend den Boulevard vom Place de la République zum Place de la Bastille in die eine oder andere Richtung abschritt und am Ende den Ansprachen der Anführer lauschte. Die Gelbwesten erschienen einfach, unorganisiert und ohne Anführer, die ihnen sagten, wo sie marschieren oder Ansprachen halten sollten. Sie waren einfach da, in ihren gelben Westen, wütend und bereit, dem verständnisvollen Zuhörer ihren Zorn zu erklären. Kurz gesagt war die Botschaft folgende:
Wir kommen nicht über die Runden. Die Lebenshaltungskosten steigen immer weiter und unsere Einkommen werden immer geringer. Wir ertragen es einfach nicht mehr. Die Regierung muss innehalten, nachdenken und den Kurs ändern.
Bis jetzt bestand jedoch die Reaktion der Regierung darin, Polizisten loszuschicken, die Ströme von Tränengas in die Menge sprühten – offenbar, um die Menschen vom nahe gelegenen Elysée-Palast, der Präsidentenresidenz, fernzuhalten. Präsident Macron hielt sich woanders auf – all der Trubel war wohl unter seiner Würde.
Diejenigen, die hinhörten, konnten jedoch eine Menge über die Lage im heutigen Frankreich erfahren – vor allem in den Kleinstädten und ländlichen Gebieten, woher viele der Demonstranten kamen. Die Dinge stehen viel schlechter, als Regierungsbeamte und die Medien zugeben.
Da waren junge Frauen, die sieben Tage die Woche arbeiteten und trotzdem nicht wussten, wie sie ihre Kinder ernähren und kleiden sollten.
Die Menschen waren wütend aber bereit, die wirtschaftlichen Probleme genau darzustellen.
Die 83jährige Colette besitzt zwar kein Auto, erzählte aber jedem, der es hören wollte, dass der steile Anstieg der Benzinpreise auch Menschen ohne Auto beeinträchtigen würde, weil er auch die Preise für Nahrungsmittel und andere Grundbedürfnisse in die Höhe treibt. Sie hatte alles durchgerechnet und war zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Anstieg einen Rentner im Monat 80 Euro kosten würde.
„Macron hat nicht damit geworben, dass er die Renten einfriert“, erinnerte sich eine Gelbweste. Aber genau das hat er getan, so wie er auch die Solidaritätssteuer für Rentner erhöht hat.
Abgespeckte Gesundheitsversorgung
Eine wichtige und immer wieder zu hörende Klage betraf das Gesundheitswesen. Frankreich hatte über lange Zeit die beste öffentliche Gesundheitsversorgung der Welt. Nun jedoch wird sie stetig abgebaut, um das vorrangige Ziel des Kapitalismus zu verfolgen: Profit zu machen.
In den letzten Jahren lancierte die Regierung eine Kampagne, die die Bürger zuerst ermutigen und schließlich dazu zwingen sollte, eine „mutuelle“ abzuschließen – eine private Krankenversicherung, die angeblich die „Lücken“ in Frankreichs allgemeiner Krankenversicherung füllen sollte. Die „Lücken“ können unter anderem die 15 Prozent sein, die bei leichten Erkrankungen nicht abgedeckt sind – für schwere Krankheiten kommt die Versicherung zu 100 Prozent auf –, oder für Medizin, die nicht mehr erstattet wird, oder für zahnmedizinische Leistungen.
Die „Lücken“ werden immer größer, so wie die Kosten, die für die mutuelle aufzubringen sind. In Wirklichkeit sind diese Maßnahmen – der Öffentlichkeit als Verbesserung durch Modernisierung verkauft – die schrittweise Privatisierung des Gesundheitswesens. Es ist eine hinterhältige Art, die gesamte Gesundheitsversorgung der internationalen Finanz-Kapital-Anlage auf dem Serviertablett zu reichen. Auf diesen Schachzug ist aber niemand hereingefallen und er steht ganz oben auf der Liste der Beschwerden der Gelbwesten.
Auch die Verschlechterung der Pflege in öffentlichen Krankenhäusern wird beklagt. In ländlichen Gegenden gibt es immer weniger Krankenhäuser, und in der Notaufnahme „muss man so lange warten bis man stirbt“. All jene, die es sich leisten können, lassen sich in privaten Krankenhäusern behandeln. Die meisten sind dazu aber nicht in der Lage. Das Pflegepersonal ist überarbeitet und unterbezahlt. Wenn man hört, was Krankenschwestern und Pfleger zu ertragen haben, wird klar, dass dies tatsächlich ein ehrenhafter Beruf ist.
Dies alles erinnert mich an eine junge Frau, die wir letzten Sommer im Südwesten Frankreichs bei einem öffentlichen Picknick getroffen haben. Sie ist im ambulanten Altenpflegedienst in ländlichen Gebieten tätig und füttert die alten Menschen, badet sie, bietet ihnen einen Augenblick fröhlicher Gesellschaft und Verständnisses und fährt dazu von einem zum anderen. Sie liebt ihren Beruf, liebt es, alten Menschen zu helfen, kann jedoch kaum davon leben. Sie wird zu all jenen gehören, die für die Fahrten von Patient zu Patient mehr bezahlen müssen.
Die Menschen zahlen bereitwillig Steuern, wenn sie dafür etwas bekommen – nicht aber, wenn man ihnen das Gewohnte wegnimmt.
Die Super-Reichen und die großen Konzerne mit ihren Truppen von Rechtsanwälten und ihren Steueroasen oder Eindringlinge wie Amazon und Google sind die Steuerhinterzieher. Die normalen französischen Bürger sind jedoch relativ disziplinierte Steuerzahler, weil sie ausgezeichnete öffentliche Leistungen dafür bekamen: eine optimale Gesundheitsversorgung, erstklassige öffentliche Verkehrsmittel, ein schnelles und effizientes Postwesen, kostenlose Universitätsausbildung.
Doch all dies ist nun unter Beschuss durch die Herrschaft des Finanzkapitals – auch „Neoliberalismus“ genannt. In ländlichen Gegenden werden immer mehr Postämter, Schulen und Krankenhäuser geschlossen und nicht profitable Zugverbindungen eingestellt, weil den EU-Direktiven entsprechend der „freie Wettbewerb“ eingeführt wird. Dadurch sind die Menschen gezwungen, noch öfter mit ihrem Auto zu fahren, vor allem, weil große Einkaufszentren die traditionellen Läden in Kleinstädten verdrängen.
Inkohärente Energiepolitik
Und die von der Regierung angekündigte Steuer – zusätzliche 6,6 Cent pro Liter Diesel und zusätzliche 2,9 Cent pro Liter Benzin – ist nur ein erster Schritt in einer Reihe geplanter Erhöhungen in den nächsten Jahren. Die Maßnahmen sollen die Menschen dazu animieren, weniger zu fahren oder, besser noch, ihre alten Fahrzeuge zu verschrotten und schöne neue Elektro-Autos zu kaufen.
Mehr und mehr wird politische Steuerung zur Übung in sozialer Manipulation durch Technokraten, die alles besser wissen. Diese spezielle Übung steht in völligem Widerspruch zu einer früheren Regierungsmaßnahme der sozialen Manipulation, in der wirtschaftliche Anreize die Menschen dazu bewegen sollten, mehr Dieselfahrzeuge zu kaufen.
Nun hat es sich die Regierung anders überlegt. Mehr als die Hälfte der Privatfahrzeuge fährt mit Diesel, wenngleich der Anteil abnimmt. Nun sagt man den Besitzern, sie sollten stattdessen ein Elektro-Auto kaufen. Aber Menschen, die gerade so über die Runden kommen, können sich diese Umstellung nicht leisten.
Außerdem ist die Energiepolitik inkohärent. Theoretisch gehört zur „grünen“ Ökonomie die Schließung der vielen französischen Atomkraftwerke. Wo würde dann jedoch der Strom für die Elektro-Autos herkommen? Und Atomkraft ist „sauber“, sie verursacht keinen CO2-Ausstoß. Die Leute fragen sich also, was hier abläuft.
Keine Investition in die Zukunft
Die vielversprechendsten alternativen Energiequellen in Frankreich sind die ausgeprägten Gezeiten entlang der nördlichen Küste. Letzten Juli wurde jedoch das Gezeitenenergie-Projekt an der Küste der Normandie fallen gelassen, weil es wegen fehlender Kunden nicht profitabel war. Dies ist symptomatisch dafür, was bei dieser jetzigen Regierung schiefläuft. Große neue Industrie-Projekte sind anfangs fast nie profitabel. Deswegen bedürfen sie ja der staatlichen Unterstützung und der Subventionen, um mit Blick auf die Zukunft anzulaufen.
Unter de Gaulle wurden solche Projekte unterstützt, die Frankreich zum Status einer wichtigen Industriemacht verhalfen sowie der ganzen Bevölkerung zuvor nie erreichten Wohlstand beschert haben. Die Macron-Regierung aber investiert weder in die Zukunft noch wird sie aktiv, um noch vorhandene Wirtschaftszweige zu bewahren. Macron ist verantwortlich dafür, dass der wichtigste französische Energiekonzern, Alstom, an General Electric verkauft wurde.
Es ist in der Tat reinste Heuchelei, die französische Kraftstoffsteuer eine „Ökosteuer“ zu nennen, weil die Einnahmen aus einer echten Öko-Steuer in die Entwicklung sauberer Energie wie zum Beispiel in Gezeitenkraftwerke investiert werden würden. Die Einnahmen sind jedoch dafür vorgesehen, den Haushalt zu sanieren, also die Staatsschulden zu bezahlen.
Macrons Kraftstoffsteuer ist neben den Kürzungen im öffentlichen Sektor und dem Ausverkauf des „Tafelsilbers“ – also dem Verkauf potentieller Profitmacher wie Alstom, Hafenanlagen und den Pariser Flughäfen – nichts als eine weitere Austeritätsmaßnahme.
Die Regierung hat nicht verstanden
Die anfänglichen Reaktionen der Regierung haben gezeigt, dass diese nicht wirklich zuhörte. Sie wollte sich nicht die Mühe machen, zu verstehen, worum es ging – also verunglimpfte sie die Protestbewegung und griff dafür in die Klischee-Kiste.
Macrons erste Reaktion bestand darin, bei den Protestierenden Schuldgefühle hervorzurufen, indem er das stärkste Argument der Globalisierer für die Einführung unpopulärer Maßnahmen anführte: die globale Erwärmung. Was auch immer die Protestierenden für kleine Beschwerden hätten – so wies er sie zurecht –, diese seien nichts gegen die Zukunft des Planeten.
Dies beeindruckte die Menschen nicht, die alles über den Klimawandel gehört hatten und sich wie jeder andere um die Umwelt sorgen, die aber erwidern mussten: „Ich mache mir mehr Sorgen um das Ende des Monats als um das Ende der Welt.“
Nach dem 25. November, dem zweiten Sonntag der Gelbwesten, an dem mehr Demonstrierende zusammenkamen und mehr Tränengas eingesetzt wurde, erklärte der für den Haushalt zuständige Minister Gérard Darmanin, dass das, was da an den Champs-Elysées demonstriert hatte, „la peste brune“ gewesen sei, die braune Pest, also Faschisten. Für all jene, die die Franzosen gerne als Rassisten verurteilen, sei angemerkt, dass Darmanin aus der algerischen Arbeiterklasse stammt.
Diese Bemerkung provozierte einen Aufschrei der Entrüstung, der zeigte, wie groß die öffentliche Unterstützung für die Bewegung ist – neuesten Umfragen zufolge gibt es Zustimmungswerte von 70 Prozent, selbst nach unkontrolliertem Vandalismus. Macrons Innenminister Christophe Castaner musste daraufhin erklären, die Kommunikation von Seiten der Regierung sei schlecht organisiert worden.
Dies ist natürlich die bekannte Technokraten-Ausrede: Wir hatten immer recht, es lag nur an der „Kommunikation“ und nicht an den Tatsachen an sich.
Vielleicht habe ich ja etwas übersehen, aber in den vielen Interviews, die ich mir angehört habe, vernahm ich kein einziges Wort, das in die Kategorie „rechts außen“, weniger noch „Faschismus“ fallen würde, oder das auch nur eine Vorliebe für eine bestimmte Partei offenbart hätte. Diesen Menschen geht es ausschließlich um konkrete, praktische Probleme. Kein Hauch von Ideologie, was für Paris ja eine große Leistung ist!
So manche, die keine Kenntnis der französischen Geschichte haben und eifrig darum bemüht sind, ihren linken Purismus zur Schau zu stellen, deuteten an, die Gelbwesten seien gefährlich nationalistisch, weil sie ab und zu französische Fahnen schwenkten und die Marseillaise sängen. Dies bedeutet aber einfach nur, dass sie Franzosen sind. Historisch gesehen ist die französische Linke patriotisch, vor allem, wenn sie sich gegen die Aristokraten und die Reichen auflehnt – oder während der Nazi-Okkupation [1].
Es ist nur eine Art zu sagen, „Wir sind das Volk, wir machen die Arbeit und Ihr müsst Euch unsere Beschwerden anhören“. Nationalismus ist nur dann schlecht, wenn er sich aggressiv gegenüber andern Ländern verhält. Diese Bewegung greift niemanden an, sie wirkt ausschließlich im Innern.
Die Schwäche Macrons
Die Gelbwesten haben der ganzen Welt klargemacht, dass Emmanuel Macron ein Kunstprodukt war, das der Wählerschaft durch eine außergewöhnliche Medienkampagne verkauft wurde. Macron war das Kaninchen, das man aus dem Hut gezaubert hat und das von jenen gesponsert wurde, die man die französische Oligarchie nennen muss. Nachdem er die Aufmerksamkeit des etablierten Königsmachers Jacques Attali auf sich gezogen hatte, durfte Macron einige Zeit bei der Rothschild-Bank verbringen, wo er schnell ein kleines Vermögen anhäufte. Dies stellte seine Klassenloyalität seinen Unterstützern gegenüber sicher.
Die flächendeckende Unterstützung durch die Medien und die Angstkampagne gegen die „Faschistin“ Marine LePen – die zudem ihre wichtigste Debatte vermasselte – hievten Macron ins Amt. Er hatte seine Frau kennengelernt, als sie ihm Theaterunterricht gab, und nun darf er den Präsidenten spielen.
Abbau des Sozialstaats
Die ihm von seinen Sponsoren zugeteilte Aufgabe war klar. Er sollte die „Reformen“ – sprich Austeritätsmaßnahmen – energischer durchsetzen, die die vorangegangenen Regierungen zwar begonnen, bei der Beschleunigung des Untergangs des Sozialstaates jedoch herumgetrödelt hatten.
Und zudem sollte Macron „Europa retten“. Europa zu retten bedeutet, die EU vor dem Sumpf zu retten, in dem sie sich gerade befindet.
Deswegen ist er von Ausgaben-Kürzungen und einem ausgeglichenen Haushalt so besessen. Weil er dazu von den Oligarchen, die seine Kandidatur unterstützt hatten, auserwählt worden war.
Er wurde von der Finanzoligarchie vor allem dazu auserkoren, die EU vor der drohenden Auflösung durch den Euro zu bewahren. Die Gründungsverträge der EU und vor allem die gemeinsame Währung, der Euro, haben ein unhaltbares Ungleichgewicht zwischen den Mitgliedstaaten geschaffen. Die Ironie besteht darin, dass frühere französische Regierungen, angefangen von Mitterand, größtenteils für diese Sachlage verantwortlich sind. Das wiedervereinigte Deutschland sollte daran gehindert werden, die vorherrschende Macht in Europa zu werden. In einem verzweifelten und fachlich schlecht untermauerten Versuch bestand Frankreich darauf, Deutschland durch eine gemeinsame Währung an Frankreich zu binden.
Die Deutschen stimmten dem Euro widerstrebend zu – aber nur zu ihren eigenen Bedingungen. In der Folge wurde Deutschland zum widerwilligen Kreditgeber gleichermaßen widerwilliger EU-Mitgliedsstaaten – Italiens, Spaniens, Portugals und natürlich des ruinierten Griechenlands. Die finanzielle Kluft zwischen Deutschland und seinen südlichen Nachbarn wird immer tiefer, was auf beiden Seiten zu Missgunst führt.
Deutschland möchte seine wirtschaftliche Macht nicht mit Ländern teilen, die es als unverantwortliche Verschwender betrachtet. So besteht nun Macrons Mission darin, Deutschland zu beweisen, dass Frankreich trotz seiner erlahmenden Wirtschaft „Verantwortung“ zeigt – indem es das Volk ausquetscht, um die Zinsen auf seine Schulden zu bedienen. Macron meint, die Politiker in Berlin und die Banker in Frankfurt so beeindrucken zu können, dass sie ihre Meinung ändern und sagen: „Gut gemacht, Emmanuel, jetzt sind wir bereit, unseren Reichtum zum Wohle aller 27 Mitgliedsstaaten in einen Gemeinschaftstopf zu werfen.“ Und deswegen wird Macron alles tun, um den Haushalt auszugleichen – damit die Deutschen ihn lieben.
Bis jetzt wirkt der Macron-Zauber bei den Deutschen aber nicht, er treibt jedoch sein eigenes Volk auf die Straßen.
Aber ist es überhaupt sein Volk? Liegen Macron seine gewöhnlichen Landsleute, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten, wirklich am Herzen? Die Antwort lautet übereinstimmend, dass sie das nicht tun.
Macron verliert gerade den Rückhalt sowohl bei den Menschen auf der Straße als auch bei den Oligarchen, die ihn unterstützt haben. Er erledigt seinen Job nicht.
Macrons aus dem Hut gezauberter politischer Aufstieg verschafft ihm nur wenig Legitimation, sobald der Glanz auf den Titelseiten der Hochglanzmagazine verblasst. Mithilfe seiner Freunde erfand Macron seine eigene Partei, La Republique en Marche, was nicht viel bedeutet, aber Handeln suggerierte. Er bevölkerte seine Partei mit Individuen aus der „Zivilgesellschaft“, oft Unternehmer aus dem Mittelstand ohne jegliche politische Erfahrung und ein paar Abtrünnige der Sozialistischen oder der Republikanischen Partei, die die wichtigsten Regierungsposten bekamen.
Rücktritt – wegen „Frustration“
Der einzige bekannte Rekrut aus der „Zivilgesellschaft“ war der beliebte Umweltaktivist Nicolas Hulot, der Umweltminister wurde, letzten August jedoch plötzlich in einer Radioansage seinen Rücktritt ankündigte – wegen Frustration.
Macrons stärkster Unterstützer der politischen Klasse war Gérard Collomb, sozialistischer Bürgermeister von Lyon, der den Kabinetts-Spitzenposten des Innenministers erhielt, einschließlich der Kontrolle über die Staatspolizei. Kurz nach dem Abschied Hulots kündigte Collomb auch seinen Abschied an, um nach Lyon zurückzugehen. Macron bat ihn dringend, zu bleiben, aber am 3. Oktober trat Collomb zurück – mit einer verblüffenden Erklärung, in der er darauf aufmerksam machte, dass sein Nachfolger „immense Probleme“ zu erwarten habe. In den „schwierigen Vierteln“ in den Vororten großer Städte, so sagte er, sei die Situation „sehr besorgniserregend: Es herrscht das Gesetz des Urwalds, Drogendealer und Islamisten haben die Republik übernommen.“ Solche Vororte müssten „zurückerobert“ werden.
Nach dieser Stellenbeschreibung tat sich Macron schwer, einen neuen Innenminister zu finden. Er suchte hier und dort und fand schließlich einen alten Spezi, den er an die Spitze seiner Partei gestellt hatte, den Ex-Sozialisten Christophe Castaner. Dieser besitzt einen Abschluss in Kriminologie – was ihn aber für die Führung der Staatspolizei besonders qualifiziert, ist seine enge Verbindung zu einem Mafioso aus Marseilles in den 70er Jahren, offenbar hergestellt durch seine Vorliebe für Poker und den Konsum von Whiskey in illegalen Lasterhöhlen.
Randale
Am 17. November waren die Demonstranten friedlich, nahmen jedoch die heftigen Tränengas-Angriffe übel. Am 25. November ging es ein wenig rauer zu, und am 1. Dezember brach die Hölle los. Ohne Anführer und ohne Ordner, die die Demonstranten vor Angriffen, Provokationen und Infiltration schützen sollen, war es nicht zu vermeiden, dass Randalierer sich einmischten und begannen, Dinge zu zerstören, Läden zu plündern und Mülltonnen, Fahrzeuge und sogar Gebäude anzuzünden – nicht nur in Paris, sondern in ganz Frankreich: von Marseille bis Brest, von Toulouse bis Straßburg. In der entlegenen Stadt Puy en Vely, das für seine Kapelle auf einem Felsen und seine traditionelle Klöppelspitze bekannt ist, wurde die Präfektur in Brand gesetzt. Touristenbesuche werden storniert, feine Restaurants bleiben leer und Kaufhäuser bangen um ihre weihnachtlichen Schaufenster. Der wirtschaftliche Schaden ist enorm.
Und doch bleiben die Zustimmungsraten für die Gelbwesten hoch – wahrscheinlich, weil die Menschen in der Lage sind, zwischen sich sorgenden Bürgern und den Randalierern, die um der Zerstörung willen Chaos anrichten, zu unterscheiden.
Am Montag fanden in den geplagten Vororten plötzlich neue Unruhen statt, vor denen Collomb gewarnt hatte, als er sich nach Lyon zurückzog. Für die Staatspolizei stellte dies eine neue Front dar und ihre Vertreter gaben bekannt, dass sie der Lage nicht mehr Herr wurden. Den Ausnahmezustand auszurufen wird wahrscheinlich nicht zu einer Lösung führen.
Geplatzte Blase
Macron ist eine Blase, die geplatzt ist. Die Legitimation seiner Autorität wird sehr in Frage gestellt. Er wurde aber 2017 für eine fünfjährige Amtszeit gewählt und seine Partei besitzt die Mehrheit im Parlament – was seine Absetzung fast unmöglich macht.
Was nun? Obwohl sie durch Macrons Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2017 in den Hintergrund gedrängt wurden, versuchen Politiker aller Couleur die Bewegung für sich zu gewinnen – diskret zwar, weil die Gelbwesten ihrem Misstrauen allen Politikern gegenüber deutlich Ausdruck verliehen haben. Diese Bewegung strebt nicht nach Macht. Sie möchte Abhilfe für ihre Beschwerden. Die Regierung hätte von Anfang an genau zuhören, Diskussionen zulassen und Kompromisse schließen sollen. Je mehr Zeit verstreicht, desto schwieriger wird es werden, aber nichts ist unmöglich.
Etwa zwei- oder dreihundert Jahre lang hatten Menschen, die man als „links“ bezeichnen könnte, gehofft, dass vom Volk ausgehende Bewegungen positive Veränderungen hervorbringen würden. Heute scheinen viele Linke Angst vor solchen Bewegungen zu haben und überzeugt zu sein, „Populismus“ führe unweigerlich zu „Faschismus“. Diese Haltung ist einer von vielen Faktoren, die darauf hindeuten, dass zukünftige Umwälzungen von der Linken, wie sie sich heute darstellt, nicht angeführt werden. Die, die den Wandel fürchten, werden nicht zur Stelle sein, um ihn Wirklichkeit werden zu lassen. Doch Wandel ist unvermeidbar – und er muss nicht zum Schlechteren sein.
Quellen und Anmerkungen
[1] Der Studentenaufstand vom Mai 1968 war eine Ausnahme, da er kein Aufstand der Armen war, sondern eine Revolte in Zeiten des Wohlstandes zugunsten größerer persönlicher Freiheiten: „Es ist verboten, zu verbieten“. Die Generation vom Mai ’68 wurde zur ausgeprägtesten anti-französischen Generation der Geschichte, die Gründe dafür führten hier jedoch zu weit. In gewisser Hinsicht markieren die Gelbwesten eine Rückkehr der Leute nach einem halben Jahrhundert der Verachtung durch die liberale Intelligenzija.
Dieser Beitrag wurde von unserem Medienpartner Neue Debatte übernommen und erschien zuerst unter dem Titel „Les Gilets Jaunes – A Bright Yellow Sign of Distress“. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
Über die Autorin: Diana Johnstone, Jahrgang 1934, studierte russische Regionalwissenschaft/Slawistik und promovierte in französischer Literatur. Sie lebt seit vielen Jahren in Paris und ist als freie Journalistin für verschiedene US- und internationale Medien tätig. Sie ist Autorin mehrerer Bücher, unter anderem „The Politics of Euromissiles: Europe’s Role in America’s World“, „Fools‘ Crusade: Yugoslavia, Nato, and Western Delusions“, „Queen of Chaos: The Misadventures of Hillary Clinton“, in deutscher Übersetzung „Die Chaos-Königin: Hillary Clinton und die Außenpolitik der selbsternannten Weltmacht“. Zuletzt schrieb sie das Vorwort und Kommentare zu den Memoiren ihres Vaters Dr. Paul H. Johnstone, ehemaliger leitender Analytiker der Strategic Weapons Evaluation Group (WSEG) im Pentagon, „From Mad to Madness“.