Seit nunmehr zwanzig Jahren arbeiten die USA und ihre Geheimdienste am Sturz der venezolanischen Regierung.
Nach einigen gescheiterten Versuchen, den Chavismus mittels eines Militärputschs zu beseitigen, setzen die Amerikaner mittlerweile wieder verstärkt auf wirtschaftliche Sanktionen, die den Druck auf das ölreiche Land immer weiter erhöhen.
Am 8. September erschien in der New York Times ein Artikel mit dem provokanten Titel: „Trump Administration Discussed Coup Plans With Rebel Venezuelan Officers“ – „Trump-Administration besprach Putschpläne mit venezolanischen Rebellenoffizieren“. Die Journalisten Ernesto Londoño und Nicholas Casey hatten mit insgesamt elf ehemaligen und aktiven US-amerikanischen Beamten und venezolanischen Befehlshabern gesprochen. Diese erzählten ihnen, sie hätten an Gesprächen mit der Trump-Regierung teilgenommen, in denen es um einen Regimewechsel in Venezuela gegangen sei. Schon im August 2017 hatte Trump geprahlt, die USA hätten eine „militärischen Option“ für Venezuela. Diese Aussage, so die Informanten gegenüber den Journalisten, „ermutigte rebellische Offiziere des venezolanischen Militärs, sich an Washington zu wenden“.
Einladung zum Putsch
Im Februar dieses Jahres verkündete der damalige US-Außenminister Rex Tillerson: „In der Geschichte Venezuelas und anderer südamerikanischer Staaten war oft das Militär die Triebfeder für Veränderungen, wenn die Lage ernst und die Führung nicht mehr fähig war, den Menschen zu dienen.“ Diese Aussage lässt sich durchaus als eine Einladung zum Militärputsch in Venezuela verstehen.
Die Sprache, die Tillerson hier verwendet, hat im US-Außenministerium eine lange Tradition und wurde zum ersten Mal im Jahre 1954 in die Tat umgesetzt, als die Amerikaner die demokratisch gewählte Regierung von Jacobo Árbenz in Guatemala stürzten. Aktionen wie diesen liegt die Theorie der „militärischen Modernisierung“ zugrunde, derzufolge in früheren Kolonien das Militär die einzige moderne und effiziente Institution war.
Die Amerikaner wandten diese Theorie an zur Absicherung ihrer Unterstützung für Länder mit militärischen Führern – Ayub Khan in Pakistan (1958), Castelo Branco in Brasilien (1964) und René Barrientos in Bolivien (1964).
Die Vorstellungen, die nach den Gesprächen zwischen den Amerikanern und den Venezolanern aufkeimten, gingen in die Richtung eines Sturzes der Regierung von Nicolas Maduro durch eine kleine Gruppe venezolanischer Offiziere. Allerdings hatten die Venezolaner keinen richtigen Plan. Sie fragten lediglich nach verschlüsselten Radios und hofften, „dass die Amerikaner Anleitung oder Ideen anbieten würden.“
Maduro im Visier
Am 4. August dieses Jahres, während der Feierlichkeiten zum 81. Jahrestag der bolivianischen Nationalstreitkräfte, kam es zu einem Angriff auf Maduro. Zwei mit C4-Sprengstoff ausgestattete Drohnen kreisten über der Parade und waren auf Maduro gerichtet, bereit zum Angriff. Der so plumpe wie gefährliche Plan scheiterte.
Die venezolanische Regierung verhaftete vierzig Menschen, darunter einen pensionierten Oberst, Oswaldo Garcia, sowie einen Parlamentarier, Julio Borges. Am 8. September stellte Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza fest, dass sich die Putschisten mit US-Beamten getroffen hatten. Dass der Angriff auf Maduro misslang, ist nur ein schwacher Trost. Beunruhigend ist vielmehr, dass mit neuen Anschlägen zu rechnen ist.
Chávez – Dorn im Auge
Nahezu alles an Hugo Chávez hatte die US-Regierung gestört. Dass ein Sozialist die Wahlen in einem Land mit einer der größten Ölreserven gewonnen hatte, ärgerte Washington. Außerdem war den Regierungen von George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump ein Dorn im Auge, dass Chávez‘ Politik ganz konkret aufzeigte, dass regionale Kooperation sehr viel wichtiger ist als die Unterwerfung unter die Regeln multinationaler, zumeist von den USA dominierter Konzerne. Also musste Chávez gehen. Eine andere Lösung gab es nicht.
Versuche, die Chávez-Regierung zu unterminieren, hatte es seit deren Amtsantritt im Jahre 1999 gegeben; nicht ein Tag verging, ohne dass neue Anschlagspläne gegen ihn ausgeheckt und in die Tat umgesetzt wurden. Der spektakulärste Versuch, Chávez zu stürzen, fand 2002 statt, als venezolanische Militärs die Macht übernahmen. Chávez ergab sich in einem Akt politischer Courage, befand sich jedoch nicht lange in ihren Händen. Massenproteste überfluteten das Land derartig, dass sich die Militärs zum Rückzug gezwungen sahen. Ihre US-Verbündeten hatten also vorerst das Nachsehen.
Nicht lange nach diesem Putschversuch gründete das US-Außenministerium das Office of Transition Initiatives (OTI – Behörde für Wandlungsinitiativen), das eng mit USAID, der US-Behörde für internationale Entwicklung, zusammenarbeitete. Vier Jahre später, die Agenda des OTI hatte sich mittlerweile gefestigt, wandte sich der US-Botschafter William Brownfield wegen seines Fünf-Punkte-Plans des OTI an Washington:
- Stärkung demokratischer Institutionen
- Durchdringung von Chávez‘ politischer Basis
- Spaltung des Chavismus
- Schutz vitaler US-amerikanischer Geschäftsinteressen
- Internationale Isolierung von Chávez
In den zehn Jahren, seit Brownfield diesen Plan verfasst hatte, wurde jeder einzelne Punkt von der US-Regierung und ihren venezolanischen Verbündeten systematisch entwickelt. Der Schutz von US-Geschäftsinteressen spielt hierbei die Hauptrolle. John Caulfield, 2009 der oberste US-Diplomat in Venezuela, schrieb: Chávez habe Petrodollar dazu genutzt, um Venezuela „zu einem aktiven und unbeugsamen Konkurrenten der USA in der Region zu machen“.
Dieses Ansinnen war natürlich unverzeihlich, da man Venezuela weder erlauben durfte, einen unabhängigen Block erdölproduzierender Staaten anzuführen – wozu auch eine Wiederbelebung der Organisation erdölexportierender Länder, der OPEC, gehört –, noch einen Block lateinamerikanischer Staaten zu bilden, der sich gegen die Einmischung der USA richtet – also die Gründung der Bolivarianischen Allianz für Amerika, der ALBA. Der Putsch von 2009 in Honduras gegen die Regierung von Manuel Zelaya, einem Verbündeten von Chávez, war ein eindeutiger Warnschuss. Aber das reichte längst nicht aus. Chávez und seiner Revolution musste im eigenen Land der Garaus gemacht werden.
Unterstützung des zersplitterten rechten Flügels
Die US-Regierung und die venezolanische Oligarchie finanzierten innerhalb Venezuelas gemeinsam verschiedene Institutionen, die sich einen demokratischen Anschein gaben. Das sind Gruppen, die zwar unter der völligen Kontrolle der Oligarchie stehen, trotzdem aber im Stil demokratischer Institutionen auftreten. Das National Endowment for Democracy der US-Regierung und das International Republican Institute haben eng miteinander kooperiert, um Kader für politische Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen auszubilden.
Eine der Hauptaufgaben der US-Beamten, die sich mit der „Stärkung demokratischer Institutionen“ befassten, bestand darin, die zerstrittene venezolanische Rechte zu vereinen. Gespräche mit Beamten des US-Außenministeriums während der letzten zehn Jahre zeigen deren Frustration angesichts der ewigen Streitereien und kleinlichen Ambitionen innerhalb der venezolanischen Oligarchie, deren einzelne Fraktionen sich vielmehr bei den USA einschmeicheln wollen, als eine breite Unterstützung bei der venezolanischen Bevölkerung zu generieren.
Über die Pan-American Development Foundation, die Stiftung für panamerikanische Entwicklung, hat die US-Regierung Gelder zum Aufbau äußerst spezifischer NGOs innerhalb Venezuelas bereitgestellt. Diese NGOs konzentrieren sich auf Probleme in den Bereichen Kriminalität, Pressefreiheit, richterliche Unabhängigkeit sowie Frauen- und Menschenrechte. Der Kern ihrer Arbeit besteht darin, den Anstieg der Kriminalität und die Schikanen der Presse mit einem geradezu pointillistischem Fokus zu dokumentieren – und darin, jeden einzelnen Fall aufzubauschen, anstatt ihn in seinem Kontext zu untersuchen.
Der Kerninhalt dieser Arbeit richtet sich nicht etwa an den Westen – denn dort gibt es ja ohnehin schon einen gewissen Hass auf das bolivarische Experiment. Vielmehr geht es darum, Zwietracht innerhalb jener Klassen zu schüren, die Chávez immer noch unterstützen.
Wie Brownfield darlegte, zielte die US-Unterstützung jener Gruppen darauf, „die dunkelsten Ecken der Revolution auszuleuchten sowie Informationen zu sammeln und zu dokumentieren und diese dann zu veröffentlichen“. Allerdings ging es nicht nur um die Verbreitung von Informationen, sondern darum, sie so darzustellen, dass das venezolanische Experiment jegliche Legitimität verlieren würde. Zur Erreichung dieses Ziels war alles erlaubt. Der CIA und das OTI durchstöberten mit ihren Taschenlampen jede noch so dunkle Gosse Venezuelas und meldeten alles, was sie darin fanden. Und wenn sie nicht auf genügend Schmutz stießen, übertrieben sie ganz einfach oder fabrizierten ihre Beweise.
Regime-Change 2.0
Am 11. September publizierte die New York Times ein Editorial mit dem verblüffenden Titel: „Stay Out of Venezuela, Mr. Trump“ – „Finger weg von Venezuela, Mister Trump“. Sollte das etwa heißen, dass die liberale US-Elite der USA keine Lust mehr auf einen Regime-Change in dem südamerikanischen Land hatte? Der Untertitel des Artikels belehrte den Leser jedoch schnell eines Besseren: „Präsident Maduro muss zwar weg, aber ein von den Amerikanern gestützter Putsch ist nicht die Lösung“. Ein Regimewechsel durch einen Militärputsch wird demzufolge nicht gebilligt, andere Mittel hingegen finden Unterstützung. Und worin bestehen diese anderen Mittel? Mehr Sanktionen gegen Venezuela, mehr Leid für das venezolanische Volk. Dieser Druck, so die Hoffnung, soll die Leute dazu bringen, sich gegen die Maduro-Regierung aufzulehnen und auf den Straßen zu demonstrieren.
Ein Weg, Maduro beizukommen, besteht darin, die Vereinten Nationen in die US-Strategie einzubinden. Die Trump-Administration hat bereits den UN-Sicherheitsrat aufgefordert, Venezuelas gewählte Regierung dadurch zu isolieren, dass Ermittlungen im Bereich Geldwäsche eingeleitet werden und das Land keinen Zugang zu den internationalen Finanzmärkten erhält. Natürlich dienen diese Ermittlungen einem bewährten Spiel: Die UNO soll in die Diskussion über Venezuela einbezogen und Sanktionen gegen das Land erwirkt werden. Dies erhöht den Druck immer weiter und lässt die Rufe nach einer von der UNO sanktionierten Operation zum Sturz der venezolanischen Regierung immer lauter werden. Man kennt das ja – siehe Irak, Iran, Nordkorea und Syrien. Venezuela war schon lange an der Reihe.
Der lange Marsch der Bauern
Die Verhältnisse in Venezuela sind alles andere als einfach. Die Wirtschaft taumelt von einer Krise in die andere. Venezuela war bislang nicht in der Lage, sich aus der Falle des zinsbasierten Kapitalismus zu befreien – der Zins besteht in diesem Falle in den Erträgen aus dem Ölexport. Allerdings ist es der bolivarischen Revolution gelungen, die Sozialleistungen für die breite Öffentlichkeit zu verbessern und neue Einrichtungen zu schaffen, die sich um die Ärmsten der Armen kümmern. Eine Neuorganisation der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse konnte bis jetzt jedoch nicht vollzogen werden.
Die Arbeiter und Bauern Venezuelas haben auf die sich vertiefende Krise mit großer Reife reagiert. Im Verlaufe des letzten Jahres streikten Krankenschwestern und Arbeiter aus der Elektroindustrie, Rentner protestierten, die von immer kleineren staatlichen Pensionen leben müssen, und es fand ein Marsch der Bauern statt. Jeder dieser Proteste gegen die Regierung stellte sich aber im Grundsatz gegen einen Regime-Change und trat für die bolivarische Revolution ein, richtete aber gleichwohl Forderungen an die Regierung und die Gesellschaft, die gehört werden müssen.
Am 12. Juli dieses Jahres machten sich einhundert Bauern von Guanare, einer Stadt im Bundesstaat Portuguesa, in Richtung der Hauptstadt Caracas auf. Über einen Monat lang marschierten sie durch das Land, bis es schließlich zu einem emotionalen, live im Fernsehen übertragenen Treffen mit Maduro kam. „Im Verlauf der letzten drei Jahre ist die Krise aufgrund des Mangels an Nahrung richtig schlimm geworden“, sagte Usmary Enrique von der Plataforma de Luchas Campesinas (Podium der kämpfenden Bauern – „Luchas Campesinas“ – wörtlich „Kämpfe der Bauern“; Anmerkung der Redaktion). „Es ist lächerlich, dass wir Essen importieren müssen, wo wir es doch selber produzieren könnten“, fügte er hinzu.
Maduro versprach, ihre Beschwerden ernst zu nehmen. Einen Monat später gingen die Bauern so lange in Hungerstreik, bis Maduro seine Aufmerksamkeit auf ihre Verbesserungsvorschläge im Hinblick auf die Landwirtschaft richtete. Per Anweisung verbot er Enteignungen und warnte vor der Anwendung von Gewalt gegen Bauern. Die Spannungen zwischen Kleinbauern und der venezolanischen Regierung sind tiefgreifend und ernst. Dennoch würden die Bauern kein US-gefördertes Forum zum Sturz der Regierung unterstützen, da sie weder die US-Regierung noch die venezolanische Oligarchie als Verbündete betrachten.
Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Regime Change 2.0: Is Venezuela Next?„. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert und unter Creative Commons-Lizenz CC BY 4.0 hier veröffentlicht.
Vijay Prashad, ein indischer Historiker, Journalist und Kommentator, hat bereits 25 Bücher verfasst, darunter „The Darker Nations: A People’s History of the Third World“, welches 2008 vom Asian American Writers‘ Workshop zum Sachbuch des Jahres gewählt wurde. Neben seinem Engagement für die Belange der unterdrückten Völker ist er außerdem an der BDS-Bewegung beteiligt.