In deutschen Braunkohlegebieten werden viele Dörfer geräumt und Bürger umgesiedelt. Für die Kohle – und oftmals gegen den Willen der Bewohner. Die hoffen auf einen rechtzeitigen Kohleausstieg. Ein Stimmungsbild.
„Viele Leute sterben hier vor Kummer“, sagt Helmut Kehrmann sichtlich bewegt. Kummer, weil sie ihre Heimat verlassen müssen. Kehrmann wohnt in Keyenberg. Der Ort hat rund 800 Einwohner, wurde erstmalig 893 urkundlich erwähnt und soll laut RWE noch für die Braunkohlegewinnung geopfert werden. Bis Ende 2026 müssten dafür alle Bewohner ihre Häuser verkauft und verlassen haben.
„Ich will nicht mehr“
Besonders hart betroffen sind vor allem die älteren Bürger. „Mein Nachbar war innerhalb weniger Wochen sieben Mal auf Beerdigungen.“ Normal, sei das nicht mehr, so Kehrmann. „Aber viele der älteren Leute sagen: Ich will das nicht mehr.“
Es ist die Seele, die Psyche, die oft nicht mehr Stand hält oder nicht mehr standhalten will. Der Schmerz über die erzwungene Umsiedlung, den Verlust von Heimat und Haus, die zerstörte Nachbarschaft und auch die materielle Existenz. „Es trifft vor allem auch die Menschen, die schon seit Generationen hier Höfe besitzen. Die wissen nicht, wie es weitergehen soll“, sagt Monika Krüger, die ebenfalls in Keyenberg zuhause ist.
Verlorene Existenz
Aber auch die Jüngeren leiden unter der Umsiedlung. In den Geschäften bleiben die Kunden aus, weil umliegende Dörfer abgebaggert werden. Die Existenzgrundlage geht verloren. „Die zwei kleinen Supermärkte gibt es hier nicht mehr, weil es sich nicht mehr rentiert. Und der Wirt sitzt abends ohne Gäste da“, erzählt Krüger. „Ist das nicht schlimm?“
Die Folge seien oft Krankheit und Depressionen – so auch das Schicksal eines ihr gut bekannten Versicherungsvertreters aus dem inzwischen zerstörten Nachbarort Immerath: „Er ist so krank geworden, dass er keine Ruhe mehr gefunden hat und nachts durch die Straßen gelaufen ist vor Sorge.“ Denn mit den Umsiedlungen seien ihm auch die Kunden weg geblieben.
Hambacher Wald: „Jede Unterstützung verdient“
Monika Krüger, Hilde und Helmut Kehrmann zeigen sich solidarisch mit der Protestbewegung im Hambacher Wald. Durch die jungen Klimaaktivisten gäbe es mehr Hoffnung, mehr Berichte über die Folgen des Braunkohletagebaus – auch über die Vertreibung aus den Dörfern und das damit verbundene Leid.
„Ich finde das hier grundsätzlich gut. Eigentlich müssten die Bewohner von ganz Keyenberg hier auf den Bäumen sitzen und nicht die jungen Leute“, sagt Hilde Kehrmann nach einem Gottesdienstbesuch für Klimagerechtigkeit im Hambacher Wald. „Die jungen Leute haben jede Unterstützung verdient. Sie wissen, dass wir die Erde brauchen. Wenn wir so weiter machen, können unsere Enkel nicht mehr auf dieser Welt leben. Braunkohle ist einfach nicht mehr erforderlich.“