Plädoyer wider die Verzichtslogik in der gegenwärtigen Klimadebatte
In der öffentlichen Diskussion über Ursachen und Folgen des Klimawandels sind zumeist die ganz grossen Verallgemeinerungen an der Tagesordnung: Wir lebten über unsere Verhältnisse, der Mensch an sich treibe durch seine Gier die Welt in den ökologischen Abgrund, wir alle trügen irgendwie durch unseren Konsum Schuld an der drohenden Klimakatastrophe, die Menschheit müsse endlich zur Besinnung kommen, etc.
„Den Gürtel enger schnallen!“ – vor allem am Ende der sozialen Skala
Angesicht der extremen sozialen Spaltung in der Bundesrepublik, die inzwischen amerikanische oder russische Dimensionen erreicht, scheint bei dieser Verallgemeinerung eine Drohung gegen die marginalisierten Bevölkerungsschichten mitzuschwingen.
Die überlebensnotwendige Forderung, die eigene Lebensweise endlich klimafreundlicher zu gestalten, läuft binnenkapitalistisch gerade am unteren Ende der sozialen Skala auf das berüchtigte Enger-Schnallen des Gürtels hinaus.
Vollends absurd wird diese in der Klimadebatte übliche, ganz grosse Verallgemeinerung zur „Menschheit“ auf globaler Ebene. Der Klimawandel wurde von der ersten Welt verursacht, von den USA, vom Autoland Deutschland, von Japan – obwohl China und viele Schwellenländer inzwischen bei den CO2-Emissionen aufgeholt haben, ist der historische Emissionsbeitrag gerade des Westens am grössten.
Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung generieren rund die Hälfte der CO2-Emissionen, während die verarmte untere Hälfte der spätkapitalistischen Welt nur für zehn Prozent des Treibhausgasausstosses verantwortlich ist (womit auch die üblichen rechten Überbevölkerungsphantasien, die inzwischen auch die FAZ propagiert, empirisch widerlegt wären).
Die Ideologie in der Klimadebatte erschöpft sich aber nicht nur in diesem billigen Taschenspielertrick, bei dem eine zutiefst sozial gespaltene, oligarchisch geprägte Gesellschaft oder Weltwirtschaft plötzlich in einer egalitär anmutenden Verallgemeinerung subsumiert wird, in der alle – vom Milliardär zum Obdachlosen – die Kosten des Klimawandels zu tragen hätten.
Die Eskalation des „Mehr“
Entscheidend ist gerade, was der „Erdüberlastungstag“ eigentlich erfasst. Es ist gerade nicht die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschheit, die zu einer immer stärkeren ökologischen Überbelastung „unseres“ Planeten führt. Es ist die Verwertungsbewegung des Kapitals, die den Ressourcenverbrauch über ein nachhaltiges Niveau ansteigen lässt.
Den Ressourcenverbrauch des Kapitalismus facht das Kapital in seinem uferlosen Wachstumszwang an. Als Kapital fungiert Geld, das durch Warenproduktion „vermehrt“ (verwertet) werden soll: Aus dem investierten Geld soll nach der Warenherstellung und deren Verkauf auf dem Markt mehr Geld werden. Niemand investiert sein Geld in eine „Unternehmung“, um nachher genauso viel oder gar weniger Geld zu erhalten.
Für den Kapitalisten ist die Ware somit nur als Träger von Mehrwert, der durch Verkauf auf dem Markt realisiert wird, relevant. Um den Mehrwert – dessen Substanz abstrakte Lohnarbeit bildet – durch Marktverkauf realisieren zu können, muss die Ware einen Gebrauchswert aufweisen. Sie muss für irgendwelche zahlungsfähigen Marktteilnehmer aus irgendwelchen Gründen einen Nutzen haben, der sie dazu verleitet, diese Ware auch zu erwerben. Es muss Marktnachfrage nach der betreffenden Ware herrschen. Der Gebrauchswert ist im Kapitalismus somit nur notwendiges „Nebenprodukt“, um den eigentlichen Selbstzweck der ganzen Veranstaltung zu realisieren: die uferlose Akkumulationsbewegung des Kapitals.
Die wachsende Bedürfnisbefriedigung der Menschheit?
Nun liesse sich argumentieren, dass diese Differenzierung nicht entscheidend sei, dass hier Haarspalterei betrieben würde, da über den Umweg der Kapitalverwertung in Gestalt der Gebrauchswerte doch letztendlich menschliche Bedürfnisse befriedigt würden. Das Kapital expandiere immer weiter – wobei immer grössere Quanta an Gebrauchswerten entstünden, sodass der Earth-Overshoot-Day doch vermittelt die wachsende Bedürfnisbefriedigung der Menschheit erfasse, die in Konflikt mit den ökologischen Grenzen des Planeten Erde gerieten.
Zum einen sei hier auf den Unterschied zwischen Marktnachfrage und Bedürfnissen hingewiesen. Im Kapitalismus ist Nachfrage immer nur zahlungskräftige Nachfrage: Es mag eine breite Nachfrage nach Tamagotschis, sprithungrigen Automonstern oder an Unibody-Notebooks herrschen, die aus einen Aluminiumblock gefräst werden, während zugleich in Hungergebieten sich partout keine Nachfrage nach Lebensmitteln einstellen will.
Diese perverse Deformation der Bedürfnisse der Menschheit zur „Nachfrage“, bei der SUVs und künftiger Elektronikschrott wichtiger als das milliardenfach vorenthaltene Essen, Kleidung und Obdach sind, wird beim Earth-Overshoot-Day erfasst – und nicht die Bedürfnisse der Menschheit, die sich nur partiell mit der Marktnachfrage decken.
Das endlose Streben nach maximalen Profit, das ja das Wesen des Kapitals ausmacht, „kontaminiert“ aber auch den Gebrauchswert, es verändert die Funktionsweise, die Eigenschaften der Gebrauchsgegenstände, die Waren sind. Eine klare Trennung zwischen Wert und Gebrauchswert ist somit nicht gegeben, der abstrakte Wert, dessen Substanz verwertete Lohnarbeit bildet, schlägt sich auch in den konkreten Eigenschaften des Gebrauchswerts der Warenkörper nieder.
Produzieren für den Müll
Evident wird das bei den krisenbedingt zunehmenden Tendenzen zur geplanten Obsoleszenz. Hierunter ist – spätestens seit dem grossen Glühbirnenkartell – der geplante Verschleiss von Waren zu verstehen, die möglichst bald nach Ablauf der Garantiezeit von Käufer ersetzt werden sollten, um wieder Nachfrage herzustellen. Für das Kapital ist dieser ökologisch verheerende Vorgang nur zu logisch, da dadurch die uferlose Akkumulationsbewegung des Kapitals – die ja den Selbstzweck der Warenproduktion bildet – weiter befördert wird.
Obsoleszenz wird nicht nur durch geplante Sollbruchstellen, durch eine nahezu unmögliche Reparatur der Geräte erreicht, wie es etwa Apple zur Perfektion treibt, sondern auch durch moralischen Verschleiss, durch Werbung, sich schnell wandelnde „Moden“ und den kulturindustriellen Zwang zum Update – nichts ist peinlicher als das iPhone der vorletzten Generation. Es geht der Mehrwertmaschine somit nicht um die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern um die unentwegte Erzeugung immer neuer Bedürfnisse, um immer mehr Ressourcen in Warenform zu giessen und einen möglichst schnellen Verschleiss auszusetzen.
Zugleich dient die Ware, gerade bei krisenbedingt zunehmender Konkurrenz, als Statussymbol. Die irrationale präfaschistische Ästhetik und der dumpfe PS-Wahn, die die Autobranche in den letzten Jahren hervorgebracht hat, dient gerade der Beförderung von Statusgefühlen derjenigen Menschen, die es in einem härter werdenden Arbeitsalltag noch „geschafft“ haben. Das an ein Batmobil erinnernde SUV gleicht einem Panzer, der die Durchsetzungsfähigkeit des Eigentümers signalisiert. Es ist eine Penisverlängerung auf vier Rädern.
Die Irrationalität des Systems, das Bedürfnisse wie Kommunikation oder Mobilität vermittels der Warenform deformiert, kommt gerade in solchen Warenkörpern wie dem MacBook oder dem 500-PS-SUV zum Ausdruck. Die kapitalistische Binnenrationalität, die Waren hervorbringt, dient somit einem irrationalen Zweck: der absurden Anhäufung immer grösserer Mengen abstrakten Reichtums, also verwerteter, toter Arbeit.
Spätkapitalistische Warenproduktion ist somit eine Form sehr effizient betriebener Ressourcenverbrennung. Es wird letztendlich für die Müllhalde produziert, während milliardenfach Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden.
Die Klima-Apokalypse ist immer noch vermeidbar
Ein Ende dieses immer weiter anschwellenden, evident zivilisationsbedrohenden Prozesses der Weltverbrennung ist somit nur jenseits des Kapitals möglich. Erst im Gefolge einer Systemtransformation könnten Bedürfnisse tatsächlich befriedigt werden, indem die Gebrauchsgegenstände ihren Warencharakter verlieren. In einer postkapitalistischen Gesellschaftsformation würde auch die Maxime des Effizienzstrebens transformiert, es fände eine Rationalisierung der Rationalität statt: Anstatt die Bedürfnisse durch den Selbstzweck der Wertverwertung zu deformieren, würde die postkapitalistische Ratio auf die maximale Schonung der Ressourcen abzielen.
Langlebigkeit und Modularität bei der Herstellung von Gebrauchsgegenständen würden die Bestrebungen zur Osboleszenz ersetzen. Damit käme auch das Verbrennen von Ressourcen bei der Produktion für die Müllhalde zum Erliegen, das den Spätkapitalismus in immer stärkeren Masse kennzeichnet – gerade aufgrund dessen permanenter Produktivitätsfortschritte. Bedürfnisbefriedigung und Ressourcenschonung wären vereinbar, wenn beispielsweise modular aufgebaute technische Geräte, wie eine Zeit lang in der Diskussion standen, zur Norm würden. Mobilität könnte beim Aufbau einer kollektiven Infrastruktur auch in einer postkapitalistischen, ressourcenschonenden Gesellschaft erhalten bleiben. Das Bedürfnis der Mobilität würde von seiner irrationalen Schlacke befreit, mit der die Werbebranche alltäglich das Bewusstsein zumüllt.
Die Klima-Apokalypse ist immer noch vermeidbar, selbst wenn die Kulturindustrie sie alltäglich in ihren Unterhaltungsprodukten ausschwitzt. Hierzu ist aber nichts weniger als ein Systemwechsel notwendig, wie inzwischen selbst von der Süddeutschen Zeitung zitierte Klimawissenschaftler erkennen: Wir schlagen eine tiefe Transformation vor, die auf einer fundamentalen Neuorientierung der menschlichen Werte beruht, von gerechter Verteilung, Verhalten, Institutionen, Wirtschaft und Technologie.
Diese „tiefe Transformation“ ist aber nur bei einer tiefgreifenden, raschen Umwälzung der ökonomischen Basis der Gesellschaft möglich, indem das Kapital als destruktive gesellschaftliche Dynamik in Geschichte überführt wird.
Alle sonstigen Appelle an „Verteilung, Verhalten, Institutionen“ werden sonst ungestört verhallen. Die in der Krise zunehmenden ökonomischen Zwänge des Kapitals, das nur das Leben derjenigen Lohnabhängigen als vollwertig anerkennt, die direkt oder indirekt zum Akkumulationsprozess beitragen, sind einfach stärker. Als Beispiel seien hier etwa die Arbeiter in der Autoindustrie genannt, die nun vor der Wahl zwischen sofortiger Verelendung via Arbeitslosigkeit oder eines künftigen Klimakollaps‘ stehen. Deswegen könnte – allen Unzulänglichkeiten zum Trotz – die Einführung eines garantierten Grundeinkommens dabei helfen, in der Anfangsphase der Systemtransformation diese Widersprüche zu überwinden, indem es die kapitalistische Kopplung von Lohnarbeit und Existenzsicherung aufhebt.
Denn die Systemtransformation wird sich ereignen: Es stellt sich nur die Frage, ob sie bewusst gestaltet werden kann, oder ob sie einer Naturkatastrophe gleich über die Gesellschaft hereinbricht und diese in die Barbarei taumeln lässt.