Einer der wichtigsten gesellschaftspolitischen Trends in den USA ist die wachsende Rolle von Frauen in der amerikanischen Politik.
Es sind in erster Linie Frauen, die den Ton des politischen Widerstands in den USA angeben und diesen auch maßgeblich organisieren, vom Women‘s March am Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump bis zur #metoo-Bewegung.
Wie erfolgreich diese neue amerikanische Frauenbewegung ist, wird entscheidend sein für den Ausgang der Zwischenwahlen im November 2018 und für die mittelfristige Entwicklung der politischen Kultur in den USA. Vor diesem Hintergrund blicken die Demokraten mit Hoffnung und die Republikaner mit Bangen auf drei Aspekte der politischen Mobilisierung von Frauen.
Frauen dominieren die kritische Zivilgesellschaft
Die Präsidentschaft Donald Trumps hat zu einer Politisierung vieler Menschen beigetragen. Im ganzen Land bekommen zivilgesellschaftliche Organisationen Zulauf oder werden neu gegründet. Eine wichtige Rolle des politischen Widerstands spielen nationale politische Gruppierungen wie „Indivisible“, „Sister District“ oder „Action Together“. Daneben gibt es etablierte nationale Organisationen wie „Planned Parenthood“, die seit Jahrzehnten erfolgreich Kampagnen organisieren. Diese nationalen Plattformen, die stark von Frauen geprägt sind, dominieren das Bild der progressiven politischen Zivilgesellschaft in den USA nach außen.
Parallel dazu gibt es einen breiten Widerstand gegen die Trumpsche Politik, der weniger stark im Fokus der Medien steht, der noch stärker von Frauen dominiert ist, und der in den Vororten der amerikanischen Städte zuhause ist. Die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner lebt weder in demokratisch dominierten Städten noch in republikanisch geprägten ländlichen Räumen, sondern in den Vororten dazwischen.
Diese können meist nicht eindeutig einer Partei zugeordnet werden und sind gerade deshalb zentral für jeden Wahlkampf. Politik in diesen Vororten wird zumeist von lokalen Bürger/inneninitiativen geprägt, und diese sind eindeutig weiblich bestimmt. 70 Prozent der Mitglieder der lokalen progressiven Gruppen, die sich seit der Wahl gegründet haben, sind Frauen, und die meisten von ihren Führungspositionen sind weiblich besetzt.
Republikanische Partei fürchtet neue Frauenbündnisse
Diese lokalen von Frauen geschmiedeten Bündnisse sind es, welche entscheidend für das Scheitern der republikanischen Gesundheitsreform waren, sie sind es, die republikanische Abgeordnete vor Ort stellen, und sie sind es, vor der viele republikanische Politiker/innen sich am meisten fürchten mit Blick auf die Zukunft.
In Virginia beispielsweise fordert in diesen Wochen die Gruppe „Liberal Women of Chesterfield County“ in einem republikanisch dominierten Wahlkreis den konservativen Abgeordneten Dave Brat heraus. Herr Brat war vor vier Jahren als Revolutionär der Tea Party angetreten und hatte mit brachialer Rhetorik den republikanischen Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus, Eric Cantor, geschlagen. Nun steht er selbst vor einer Revolution von links.
Seine Herausforderin Abigail Spanberger liegt mittlerweile in Umfragen gleichauf. Und zentral dafür sind die Frauen von Chesterfield County, die Woche um Woche Treffen organisieren, Unterschriften sammeln, und ihre Mitbürgerinnen motivieren, zu spenden, sich einzubringen und im November zur Wahl zu gehen.
Frauen kandidieren – in Rekordzahlen
Frauen sind nicht nur entscheidend als Rückgrat der US-amerikanischen progressiven Zivilgesellschaft, sondern treten in diesem Jahr auch in Rekordzahlen selbst für politische Ämter an, vor allem auf Seite der Demokraten. Die wichtigste Organisation für die Unterstützung und Beratung von progressiven Kandidatinnen für politische Ämter, „Emily‘s List”, wurde im Wahlkampf 2016 von 920 Frauen kontaktiert, die Interesse hatten, zu kandidieren. Im Vergleich dazu lagen ihr im Februar 2018 bereits 34.000 Anfragen für Unterstützung und Beratung von Kandidatinnen von der lokalen bis zur nationalen Ebene vor.
Das bedeutet nicht, dass Geschlechterparität in der US-Politik in naher Zukunft erreicht sein wird. Nach derzeitigen Projektionen dürfte auch im kommenden Kongress nur etwa jeder vierte Sitz von einer Frau besetzt sein, im Vergleich zu derzeit einem Fünftel. Hauptverantwortlich dafür ist eine wachsende parteipolitische Kluft.
Stellten sich 2010 noch fast gleich viele demokratische und republikanische Frauen für das US-Abgeordnetenhaus zur Wahl (etwa jeweils 150), so sind es auf Seiten der Demokraten in diesem Jahr um die 400, während die Zahlen auf Seiten der Republikaner stagnieren. Manche republikanischen Strateg/innen raten vielversprechenden Kandidatinnen gar davon ab, in diesem Jahr anzutreten, um ihr Image nicht nachhaltig zu beschädigen.
Aber der Enthusiasmus und die schiere Zahl von Kandidatinnen auf Seiten der Demokraten ist dennoch ein Zeichen, dass hier etwas nachhaltig in Bewegung gerät und die amerikanische Politik in Zukunft stärker von Frauen geprägt sein wird.
Bemerkenswert ist auch, dass viele der Kandidatinnen ihre Wahlkämpfe dieses Jahr anders führen als in der Vergangenheit. In den USA gab es lange Zeit ein ungeschriebenes Gesetz, dass Frauen in der Politik Hosenanzüge tragen müssen, niemals Schwäche oder Verletzlichkeit zeigen dürfen und generell versuchen sollten, ihren persönlichen Hintergrund nicht zu sehr zu betonen. Das beruhte auf dem Vorurteil, dass dies in einer männerdominierten politischen Landschaft der einzige Weg sei, nicht „schwach“ zu wirken.
Kandidatinnen brechen mit alten Tabus
Studien in den USA zeigen seit Langem, dass Wähler/innen andere Maßstäbe an Frauen anlegen als an Männer. Frauen müssen stets beweisen, dass sie qualifiziert und gleichzeitig sympathisch sind, Männer hingegen gelten tendenziell per se als qualifiziert. Hillary Clinton wurde seinerzeit dringend geraten, das Land suche nach einer Vaterfigur und sie solle ausschließlich ihre Abgehärtetheit und ihre berufliche Qualifikation in den Vordergrund ihrer Kampagne stellen.
Doch in diesem Jahr stellen viele Kandidatinnen diesen Status Quo in Frage. Hillary Clintons Kandidatur und das Ansehen von Politikerinnen wie Elisabeth Warren oder Kamala Harris haben dazu beigetragen, dass Wähler/innen die Qualifikation von Frauen stärker anerkennen. Und gleichzeitig sind viele Frauen nicht mehr bereit, sich einem männlichen Diktat zu unterwerfen, was ihr Image nach außen angeht.
So treten 2018 im ganzen Land Frauen an, die sich nicht scheuen, ihre ganz persönliche Geschichte zu erzählen. Dabei werden auch schwierige Kapitel aus der eigenen Vergangenheit nicht ausgespart, von eigenen Erfahrungen mit Missbrauch, von privater Verschuldung, von der Herausforderung, Beruf und Karriere unter einen Hut zu bringen oder von der Schwierigkeit, sexistische Barrieren zu überwinden.
Das kommt bei vielen Wähler/innen gut an, und es vermittelt ein ganzheitlicheres und offeneres Bild von Frauen in der amerikanischen Politik. Innerhalb der Demokratischen Partei ist es dieses Jahr statistisch sogar erstmals von Vorteil, als Frau in den Vorwahlen anzutreten. So werden etwa die Hälfte der demokratischen Kandidat/innen dieses Jahr auf allen Ebenen Frauen sein, eine Parität zumindest in dieser Hinsicht.
Einen guten Eindruck davon, wie sich die neuen Kandidatinnen in der Öffentlichkeit präsentieren, bietet das Wahlkampfvideo von M.J. Hegar, die in einem traditionell republikanischen Wahlkreis in Texas für die Demokraten antritt.
Wählerinnen sind entscheidend
Die zentrale Frage für den Ausgang der Zwischenwahlen wird das Wahlverhalten von Frauen sein. Einiges spricht dabei für die Demokraten. Doppelt so viele Frauen zwischen 18 und 44 Jahren identifizieren sich als Demokraten denn als Republikaner, und diese sind laut Umfragen stärker motiviert, wählen zu gehen, als republikanische Frauen.
Zentrales Thema für die meisten dieser Frauen sind sozialpolitische Fragen, vor allem die Gesundheitspolitik. Das wird in diesen Monaten nochmals verstärkt aufgrund der Nominierung von Brett Kavanaugh als Richter am Obersten Gerichtshof, die Donald Trump damit begründet hat, dass das Gericht damit in Zukunft das allgemeine Recht auf Abtreibung in den USA einschränken könnte.
Frauen sind bei den Wahlen allerdings keineswegs eine einheitliche Wählerinnengruppe. Mindestens drei große Gruppen von Frauen werden für den Wahlausgang entscheidend sein.
Die erste Gruppe sind afro-amerikanische Frauen, und in begrenzterem Maße Frauen, die anderen ethnischen Minderheiten angehören. Diese sind die am stärksten zu den Demokraten tendierende Wählergruppe überhaupt. Deren hohe Wahlbeteiligung war bereits im letzten Jahr bei mehreren Wahlen ausschlaggebend.
So wählten in Alabama bei einer Nachwahl für einen Senatsposten 98 Prozent der schwarzen Frauen den Demokraten Doug Jones und waren damit entscheidend dafür, dass Alabama erstmals seit 26 Jahren einen demokratischen Senator wählte. Für einen Erfolg der Demokraten wird die Mobilisierung dieser Wählerinnengruppe gerade in umkämpften Bundesstaaten wie Wisconsin und Michigan von besonderer Bedeutung sein.
Die zweite entscheidende Gruppe, vor allem aus Sicht von Donald Trump, sind Frauen ohne College-Abschluss. Die Umfragezahlen deuten auf eine weiterhin starke Unterstützung von Donald Trump bei dieser Wählerinnengruppe hin. Der große Erfolg von Trump bei diesen Wählerinnen im Herbst 2016 hat ihm überhaupt erst den Wahlsieg im Mittleren Westen und damit die Präsidentschaft ermöglicht.
Heute ist klar, dass der Hauptgrund für die Wahlniederlage von Hillary Clinton war, dass so viele dieser Frauen sie ablehnten. Die Demokraten werden 2018 keine Mehrheit dieser Wählerinnen für sich gewinnen können, aber für ihre Strategie ist es wichtig, ihr Defizit gegenüber den Republikanern bei dieser Wählerinnengruppe zumindest zu verringern.
Dramatische Änderungen in wichtigster Wählerinnengruppe
Die letzte und aus Sicht der Demokraten größte Wählerinnengruppe sind weiße Frauen mit College Abschluss. Diese haben seit Jahrzehnten mehrheitlich demokratisch gewählt, aber nur mit knappem Vorsprung. Hillary Clinton hat 2016 51 Prozent dieser Wählerinnen gewonnen, seit 1992 haben die Demokraten nie mehr als 52 Prozent ihrer Stimmen geholt.
Dieses Jahr hingegen weisen Umfragen darauf hin, dass sich das dramatisch ändern könnte. Über drei Viertel von diesen Frauen halten Donald Trump für jemanden, der Frauen nicht respektiert. Die Demokraten haben derzeit einen 27 prozentigen Vorsprung in Umfragen dieser Gruppe, und 60 Prozent dieser Wählerinnen geben an, die Zwischenwahlen mit großem Interesse zu verfolgen. Gerade bei dieser Gruppe ist die Graswurzelbewegung von Frauen in den Vororten der USA besonders wirkmächtig.
Wenn die Demokraten es schaffen sollten, die Wahlbeteiligung dieser drei Gruppen zu ihren Gunsten zu verändern, im Vergleich zu 2016, dann stehen ihre Chancen sehr gut, die Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu holen.
Mindestens so bedeutsam für die Zukunft einer progressiven Politik in den USA sind jedoch die langfristigen Veränderungen, welche Frauen in der Zivilgesellschaft als politische Kandidatinnen und als entscheidende Wählerinnengruppe in den kommenden Jahren bewirken werden.