Gestern fand vor dem Brandenburger Tor und neben der US-amerikanischen Botschaft zum Gedenken und aus aktuellem Anlass eine Kundgebung unter dem Motto „Stoppt die Putschversuche! Stoppt die imperialistische Intervention!“ mit über 200 Teilnehmenden statt.
Am 11. September 1973 wurde der chilenische Präsident Salvador Allende gestürzt, der erste Präsident, der durch Wahlen eine sozialistische Revolution hervorbrachte. Schon vor den Wahlen hatte der US-amerikanische Geheimdienst CIA in Chile mittels einer Reihe verdeckter Operationen versucht, die Wahl Allendes zum Staatspräsidenten zu verhindern. Nachdem diese Aktionen erfolglos geblieben waren, gingen die USA zu massiven Geheimdienstoperationen über mit dem Ziel, die linke Regierung in Chile zu destabilisieren und die Voraussetzungen für den Militärputsch am 11. September 1973 zu schaffen, welcher Salvador Allende das Leben kostete und die Militärdiktatur von Augusto Pinochet unter US-amerikanischen Gnaden einleitete, der nach Schätzung einer Regierungskommission über 40‘000 Menschen zum Opfer fielen.
Unter dem Codenamen Operation Condor operierten die USA in sechs lateinamerikanischen Ländern. In den 70er und 80er Jahren wurden in Argentinien, Chile, Paraguay, Uruguay, Bolivien und Brasilien linke und oppositionelle Kräfte verfolgt und getötet, um die zum Teil installierten Militärdiktaturen und rechtsautoritären Regime an der Macht zu halten.
In den letzten Jahren versuchten die USA, den verlorenen Einfluss in Lateinamerika mittels einer moderneren Neuauflage der Operation Condor wieder zu erlangen. So kam es in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern zu Staatsstreichen gegen fortschrittliche Regierungen; durchgeführt von den Wirtschaftsgrößen der jeweiligen Länder und den US-amerikanischen Interventionisten, die am 4. August diesen Jahres in einem Anschlag auf Nicolás Maduro, dem Präsidenten Venezuelas, gipfelten.
Eine Rednerin aus Brasilien wies auf den politischen Prozess gegen Lula hin, um seine Kandidatur und eine wahrscheinliche Wiederwahl zu verhindern. Alleine die Bevölkerung kann dieser Regime-Change-Politik etwas entgegensetzten, dazu muss sie sich allerdings organisieren, fügte sie hinzu.
Zu Wort kam aber auch Llanquiray Painemal Morales, eine Mapuche mit chilenischen Pass, wie sie sich selbst vorstellte. Sie wies darauf hin, dass der Terror für die Mapuche bereits vor dem 11. September 1973 begann und bis heute nicht zu Ende ist. In Chile wird unter dem Anti-Terror-Gesetz aus der Zeit Pinochets das indigene Volk der Mapuche unterdrückt und die politischen AnführerInnen als politische Gefangene inhaftiert. Ähnliches erleidet die indigene Bevölkerung in Argentinien.
Deswegen ist dieser 9/11 nicht bloß ein Gedenktag an Salvador Allende und all jene, die bei der Verteidigung seiner Regierung gefallen sind, sondern auch an all die anderen lateinamerikanischen Völker, die unter einem Putsch und einer Militärdiktatur leiden mussten, welche sich gegen die Souveränität des Volkes richtete.
Trotz der in allen Breitengraden besorgniserregenden internationalen Entwicklung ist es doch sehr erfreulich, dass sich die größtenteils jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht nur wegen ihrem spezifischen Anliegen auf dem Pariser Platz in Berlin versammelten, sondern auch, dass sie sehr wohl die größeren Zusammenhänge zwischen Neo-Liberalismus, Militärputsche, Fluchtbewegungen, zunehmender Militarisierung und Kriegstreiberei gegen den Osten sowie dem Vormarsch der Rechtspopulisten und des Faschismus in Europa verstehen.
So könnte das gegen Ende der friedlichen Veranstaltung vorgetragene jiddische Lied „Es brennt“ auch als Appell verstanden werden, nicht tatenlos zuzusehen, wenn es heißt:
„Es brennt, Brüder, es brennt – die Hilfe ist allein nur bei euch – Wenn euch das Städtchen lieb und teuer ist, dann löscht das Feuer. Steht nicht, Brüder, guckt nur um euch. Und regt nicht die Händ‘, steht nicht, Brüder, löscht das Feuer, wenn unser Städtchen brennt!“
Alle Bilder von Reto Thumiger