Wien, 13.9.2018
Unter dem Motto „Baut Brücken, nicht Mauern“ versammelten sich heute Tausende Menschen, um gegen die EU-Flüchtlingskonferenz in Wien zu demonstrieren. Bei dieser Konferenz sollen die Pläne für Massenlager, mehr Mittel für Frontex und militärische Interventionen in Afrika konkretisiert werden.
Organisiert wurde diese Demonstration von Plattform für eine menschliche Asylpolitik. Bei der Auftaktkundgebung kamen Erich Fenninger von der Volkshilfe, Abdulhamid Kwieder, Menschenrechtsaktivist, Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen, Henrie Dennis von Afro Rainbow Austria, Nelson Carr und Soma Ahmad, die das Projekt #aufstehn ins Leben gerufen haben, zu Wort.
Für die meisten Menschen in Österreich ist Afrika, das Mittelmeer, die Flüchtlinge, die im Meer ertrinken, weit weit weg. Es sind Schlagzeilen in den Tagesmedien, Wahlkampfthemen in der Politik. In welcher unmenschlichen Situation sich die Flüchtlinge in Libyen befinden kann sich kaum jemand vorstellen und vielleicht wollen das viele auch nicht. Mühsam haben sich Herr und Frau Österreicher ein Konstrukt ihres „sicheren“ Lebens aufgebaut, nicht daran kratzen, es könnte ja zusammenfallen, nur nichts hinterfragen.
Wie die Situation derzeit für Flüchtlinge ist, die versuchen über das Mittelmeer nach Europa zu kommen bzw. in Lagern in Libyen festgehalten werden, beschreibt Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen in seiner Rede.
(Fotos befinden sich am Ende der Rede)
Rede von Marcus Bachmann, Ärzte ohne Grenzen:
Ich spreche für diejenigen die hier nicht selber sprechen können. Der europäische und österreichische Diskurs über die Seenotrettung bewegt sich in eine alarmierende Richtung. Die Debatte geht in eine Richtung, als ob es Alternativen dazu geben würde. Es wird so getan als wenn Seenotrettung auch nicht gerechtfertigt sein könnte. Als ob es eine Alternative dazu gäbe, als ob es eine Meinung wäre, der man zustimmen könne oder auch nicht. So ist es aber nicht, denn zu Ende gedacht, was wäre die Alternative? Dass man Menschen hilflos ertrinken lässt? Das internationale Seenotrecht verpflichtet Menschen in Seenot zu retten. Es ist nicht optional. Es verpflichtet die Staaten entsprechende Kapazitäten zu schaffen und bereit zu halten. Solange Staaten ihren internationalen Verpflichtungen zur Seenotrettung nicht nachkommen bzw. nicht nachkommen wollen, solange bedarf es unabhängiger humanitärer Seenotrettung. Deshalb wird Ärzte ohne Grenzen in Zusammenarbeit mit SOS Mediterranee weiterhin im Mittelmeer gegen alle Widerstände, gegen alle Kriminalisierungs- und Delegitimierungsversuche weiterhin Seenotrettung betreiben.
Als humanitäre Helfer können wir nicht tatenlos wegsehen, wenn Menschen sterben. Sehr oft wird uns vorgeworfen wir seien ein Pullfaktor, das ist die Kriminalisierung der Seenothilfe. Die vergangenen Monate, das haben sicher alle mitbekommen, haben auf tragische Art und Weise bewiesen, dass das leider überhaupt nicht so ist, ganz im Gegenteil. Im Juni und Juli des heurigen Jahres sind proportional so viele Menschen im zentralen Mittelmeer gestorben wie noch niemals zuvor. Anfang September, so erzählten Überlebende unseren Teams, dass jetzt in Libyen bei einem einzigen Unglück am zentralen Mittelmeer über 100 Menschen gestorben sind. Menschen fliehen nicht wegen Seenotrettung, Menschen fliehen vor Krieg, vor Verfolgung, vor Gewalt.
Man kann über Seenotrettung nicht sprechen ohne über Libyen zu sprechen. Libyen ist kein sicheres Land. Flüchtlinge in libyschen Gefangenenlagern werden willkürlich und ohne Schutz festgehalten und sind der Gewalt von staatlichen und nichtstattlichen Akteuren ausgesetzt. Physischer und psychischer Missbrauch, Folter und Sklaverei, sexuelle Ausbeutung, Vergewaltigung, Mord. Gerade jetzt sieht man auch in den vergangenen 2 Wochen ist der offene Bürgerkrieg in Tripolis wieder ausgebrochen, dass die Menschen in diesen Gefangenenlagern schutzlos zwischen alle Fronten geraten. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen behandeln Verletzungen oder Erkrankungen, die vor allem und zu allererst den unmenschlichen und unhygienischen Haftbedingungen geschuldet sind. Es sind Menschen, die kaum Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Libyen ist kein sicheres Land. Wir fordern daher keine Menschen nach Libyen zurückzubringen.
Das Motto der österreichischen EU—Ratspräsidentschaft ist ein Europa das schützt. Es ist ein Slogan mit einer ganz ganz schreienden Leerstelle und Auslassung. Wir fordern daher vom Bundeskanzler Sebastian Kurz und von der österreichischen Bundesregierung, sorgen sie dafür, dass es ein Europa wird, das zu allererst Menschenleben schützt.