Über die Rolle der Kunst in Zeiten von Troll-Armeen und Hate Speech
Debatten gehören zur Demokratie, doch gerade im Netz wird die Stimmung immer toxischer. Gezielte Troll-Kampagnen und Hate Speech stehen an der Tagesordnung. Wie wirkt sich das auf die Zivilgesellschaft aus? Die Kulturwissenschaftlerin Susanne Braun sucht in ihrem Essay nach Antworten in der Welt der Kunst.
Rechtsextreme Trolle beeinflussen den Diskurs, das beweist eine aktuelle Studie. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist im Januar 2018 eingeführt worden und soll Social-Media-Unernehmen verpflichten, rechtsextreme hate speech zu löschen. Seitdem ist die Zahl der entsprechenden Kommentare zwar gesunken, doch die koordinierten Hasskampagnen haben sich seitdem offenbar verdreifacht. Dabei wäre es gerade jetzt notwendig, möglichst vorurteilsfrei auf Fremde und Unbekanntes zuzugehen.Wir erleben gerade die grösste Völkerwanderung seit dem II. Weltkrieg und wer Fluchtursachen bekämpfen will, muss sich mit den tatsächlichen Gegebenheiten in den jeweiligen Ländern beschäftigen. Renommierte Kunstfestivals wie das European Media Art Festival (emaf) und die 10. Berlin Biennale for Contemporary Art machen vor, wie so etwas funktionieren kann. Doch wer ein auch nur ein positives Bild von Geflüchteten zeichnet, lebt mitunter etwas gefährlich.
Kunst und Geflüchtete
Der Bildschirm dominiert einen Grossteil der ehemaligen Dominikanerkirche, in der die Kunsthalle Osnabrück beheimatet ist. Zu sehen sind Frauen in bunter afrikanischer Kleidung, Männer, aber auch Menschen, die eindeutig aus westlichen Ländern stammen. Viele von ihnen reden an einer Art Pult mit Mikrofon, an dem deutlich Kongo-Tribunal zu lesen ist.
Über Kopfhörer lassen sich die Reden prinzipiell verfolgen, doch allen, die nicht ausgesprochen gut Französisch sprechen, kann das kaum gelingen. Noch heute ist Französisch, die Sprache der ehemaligen belgischen Kolonialmacht, Amtssprache in der Demokratischen Republik Kongo.
Wirklich erhellend ist eher das Buch, das Milo Rau, der Regisseur des „Kongo-Tribunals“, herausgegeben hat. Hier lässt sich erfahren, dass das Tribunal allenfalls wie eine ernstzunehmende Gerichtsverhandlung wirkt, es sich dabei aber streng genommen um ein Theaterstück handelt. Doch dieses Stück ist weit mehr als ein unterhaltsames Bühnenstück.
Hier kommen erstmals Zeugen des brutalen Bürgerkriegs zu Wort, der seit rund zwanzig Jahren in der DR Kongo tobt und das Zusammenleben in vielen Gegenden nahezu unmöglich macht. Die im Buch transkribierten Aussagen der Zeugen verdeutlichen, wie unübersichtlich und kompliziert die Lage in der DR Kongo ist.
Kapitalismus und hate speech
Den Aussagen zufolge ist die DR Kongo, reich an Rohstoffen, offenbar in den Fokus multinationaler Konzerne geraten. Bereits seit vielen Jahren hungert ein Grossteil der Bevölkerung und profitiert in keiner Weise von den Reichtümern, die das Land zu bieten hat. Die wertvollen und seltenen Rohstoffe werden beispielsweise bei der Herstellung von Photovoltaik-Anlagen für die Energiewende benötigt. Die Zeugen stellen glaubwürdig dar, dass die Grosskonzerne die ohnehin existierenden ethnischen Konflikte im Kongo dazu instrumentalisieren, die Bevölkerung zu spalten, um ihre Interessen besser durchsetzen zu können.
Morde, Vergewaltigungen und andere schwere Misshandlungen sind in manchen Regionen keine Seltenheit. Auch die EU hat ein grosses Interesse daran, möglichst preisgünstig aus der DR Kongo zu importieren. Eine Jury, der zum Beispiel auch der Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck angehört, hört den Zeugen geduldig zu.
Letztlich kommt die Jury in einer Art Urteil zu dem Ergebnis, dass sowohl bei der internationalen Gemeinschaft als auch bei der Regierung der DR Kongo der politische Wille fehlt, Recht und Gesetz wirklich durchzusetzen. Die kongolesische Zivilgesellschaft, die lokalen Menschenrechtsorganisationen und die Überlebenden von Gewalt müssten gestärkt werden.
Darf Kunst das? Und darf vor allen Dingen ein Regisseur aus Europa kommen und die Bevölkerung der DR Kongo nach seinen Wertmassstäben beurteilen, die heute immerhin auf der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ basieren? „Das Tribunal ist überwiegend positiv aufgenommen worden“, erklärt die Dramaturgin Eva-Maria Bertschy bei einem Publikumsgespräch im Rahmen des emaf, „die Menschen waren froh, dass sie überhaupt eine Gelegenheit zur Aufarbeitung bekommen haben. Wir hoffen auch, dass wir weiter machen können“. Natürlich ist das Urteil der Jury rechtlich nicht bindend, wenn auch die Jury das Tribunal als eine Art Vorarbeit für ein eventuelles Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sieht.
Der Schlüssel zu einer friedlichen Welt
Menschen aus Krisengebieten wenden sich oft an Institutionen aus westlichen Ländern mit der Bitte um Hilfe. Dafür, dass ihre Sicht auf die Dinge gehört werden muss und sie letztlich genauso ein Recht auf freie Meinungsäusserung haben sollten, plädiert beispielsweise der Oxford-Professor Timothy Garton Ash in seinem Buch „Redefreiheit. Prinzipien für eine vernetzte Welt“. Heute sei durch die moderne Verkehrs- und Informationsinfrastruktur jedes Ziel auf der Welt in Reichweite gelangt und das verlange eine Diskussionskultur auf Augenhöhe.
„Das Ziel besteht nicht darin, dass wir uns über alles einig sind (Gott behüte!)“, schreibt er, „sondern dass wir uns darüber einigen, wie wir miteinander streiten. (…) Dies ist nur ein Anfang; oder bescheidener und akkurater formuliert, es soll eine Arbeit fortsetzen, die andere bereits begonnen haben. Diese Arbeit ist wichtiger denn je in einer verbundenen Welt voller rivalisierender Mächte und wachsender Konflikte. Die niemals endende Reise zu dem, was Kant die >Weltbürgergesellschaft< nannte, hat in unserer Zeit eine neue Dringlichkeit bekommen“. Für Timothy Garton Ash ist eine funktionierende Diskussionskultur der Schlüssel zu einer friedlicheren Welt und dient damit letztlich auch der Beseitigung von Fluchtursachen.
Hate speech und Kunst
Der Überlegenheitsanspruch der westlichen Kultur wird auch bei der 10. Berlin Biennale for Contemporary Art unter dem Motto „We don’t need another hero“ einer kritischen Betrachtung unterzogen. Die aus Südafrika stammende Kuratorin Gabi Ngcobo und ihr Team sehen sich in der direkten Nachfolge der südafrikanischen Studentenbewegungen #RHODESMUSTFALL und #FEESMUSTFALL aus dem Jahr 2015. Ziel der Proteste war, das Bildungssystem von dem Einfluss der Kolonialmächte zu befreien und es, unabhängig vom Einkommen, für alle zugänglich zu machen.
Bei vielen Bildern, die im Rahmen der 10. Berlin Biennale ausgestellt werden, ist die Handarbeit der MalerInnen beim Entstehungsprozess sehr deutlich erkennbar und offenbar ein wichtiges Gestaltungselement. Das Gemälde „Wait for me in the lurking landscape“ von Herman Muamba aus Namibia zeigt beispielsweise unterschiedliche Formen, die sich gegenseitig überlappen oder ineinander greifen. Keine Form gleicht der anderen und auch die Farben sind in unmittelbarer Nähe ganz verschieden. Bei vielen Bildern und Filmen ist die Ausübung von Gewalt ein wichtiges Thema, sei es direkt oder indirekt.
Kampfbereite Frauen
Tessa Mars beispielsweise, die aus der Karibik stammt, zeigt auf mehreren Bildern kampfbereite Frauen. Phantasievoll bewaffnet und gerüstet, versuchen sie einem Gegner entgegenzutreten, der jedoch unsichtbar bleibt. Dass sie überwiegend mit filigranen Bleistiftstrichen gezeichnet sind, unterstreicht ihren etwas zerbrechlichen Charakter zusätzlich. Die Installation „Desequlibradas“ der aus Nicaragua stammenden Künstlerin Patricia Belli besteht aus zwölf lebensgrossen Köpfen. Aus Styropor und Kunstharz gestaltet, liegen die hellgrauen Köpfe mitten auf dem Weg der Besucher, über den Boden der Ausstellungshalle verstreut.
Sobald ein Besucher sie berührt, geben sie lautstark Geräusche und Stimmen von sich und lassen sich nicht zum Schweigen bringen. Eine der wichtigsten Arbeiten der 10. Berlin Biennale ist ganz bestimmt die Videoarbeit „Again / Noch einmal“ von Mario Pfeifer aus dem Jahr 2018. Der Film dokumentiert die Umstände, die zum Tod eines Asylbewerbers aus dem Irak geführt haben. Das Fazit des Films formuliert ein Verwandter des Toten: Er habe sich nicht vorstellen könne, dass so etwas in einem Land wie Deutschland möglich sei. Ein Land, von dem es heisse, dass es die Menschenrechte achte und das so vielen als Vorbild gelte.
Sich aktiv zur Wehr setzen
Wie schwer es in Deutschland sein kann, über Flüchtlingspolitik zu berichten oder Flüchtlinge auch nur in einem positiven Licht darzustellen, weiss Alexander Völkel. Er ist Gründer und Redakteur des mittlerweile mit Preisen und Auszeichnungen dotierten lokalen Onlinemagazins nordstadtblogger.de.
Alexander Völkel porträtiert hier gemeinsam mit weiteren Kolleginnen und Kollegen unter anderem das Leben in der Dortmunder Nordstadt, einem Bezirk in dem traditionell besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund leben.
„Wenn wir einen Beitrag bringen, in dem Flüchtlinge positiv dargestellt werden, stürzen sich Rechtsextreme und Rechtspopulisten garantiert drauf und versuchen, sich zu profilieren“, erklärt Alexander Völkel bei einem Gespräch im Büro der Nordstadtblogger.
Er sieht diese verbalen Angriffe von Rechtsaussen auch als Reaktion auf seine Arbeit als politischer Berichterstatter in Dortmund. „Mittlerweile sind auch rechtspopulistische Parteien wie die AfD Teil der politischen Landschaft. Und darüber berichte ich – hintergründig und sachlich“.
Traurige Höhepunkte waren Morddrohungen, die ihn und seine Kollegen erreichten. „Ich kann nur jedem raten, sich bei Anfeindungen, Bedrohungen und hate speech zu wehren. Dafür gibt es Beratungen und Schulungen“, erklärt Alexander Völkel. „Mittlerweile fackeln wir nicht mehr lange und erstatten Anzeige“. Dadurch und dass die Redaktion von nordstadtblogger.de sich auch konsequent verbal zur Wehr setzt, sei der Umfang von hate speech mittlerweile zurück gegangen.
Dieser Artikel von Susanne Braun wurde von untergrund-blättle.ch unter Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz übernommen und auf berlinergazette.de erstveröffentlicht.