Der Kampf gegen den Tiefen Staat ist essenziell bei der Verteidigung der Demokratie.

Historisch stammt der Begriff aus der Türkei. Bereits in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts tauchte er das erste Mal auf, in den Neunzigern wurde er zum feststehenden Begriff. Er umschreibt ein Phänomen, das allerdings kein türkisches Unikat ist. Es geht um die Netzwerke und Verbindungen innerhalb eines Staatsapparates, die nicht durch offizielle Mandate, Aufträge oder Gesetze sanktioniert sind.

Es ist das Zusammenspiel von Kräften aus Justiz, Geheimdiensten, Sicherheitskräften, Militär und bestimmter Ministerien. Sie organisieren bestimmte Aktionen, die bezwecken, die Macht zu zentralisieren und bestimmte Kreise aus der Industrie zu begünstigen, die ihrerseits das Treiben der ätherischen Nomenklatura finanzieren. Es handelt sich um den berühmten Staat im Staate.

Und selbstverständlich sind derartige Tendenzen überall dort zu beobachten, wo die Demokratie gezielt unterminiert werden soll und wird. In der Türkei ist das immer wieder gelungen, und auch zum jetzigen Zeitpunkt wird dort von einem mächtigen Tiefen Staat gesprochen.

Gelegenheit, sich wie gewohnt moralisch überlegen zu fühlen und den Tiefen Staat in der Türkei anzuprangern, bleibt kaum, denn mit der Publikation Jürgen Roths „Der Tiefe Staat. Die Unterwanderung der Demokratie durch Geheimdienste, politische Komplizen und den rechten Mob“ 2016 fand das Modell auch Anwendung für die Bundesrepublik.

Angesichts trauriger Phänomene wie der jahrelange NSU-Prozess und die immer noch existierende Dunkelheit über die staatliche Rolle bei der organisierten rechten Kriminalität oder der abenteuerlichen Kredit- und Finanzpolitik, die nur im Lichte von Waffenexporten erklärlich wird, ist die Frage nach Struktur und Stärke des Tiefen Staates in der Republik mehr als berechtigt.

Da hilft es auch nicht, wenn die Frage, die immer virulenter wird, jetzt nach altem Muster wieder einmal heftig am Beispiel der USA abgearbeitet wird. Dass dort ein Tiefer Staat existiert ist unzweifelhaft. Das, was dort als der militärisch-industrielle Komplex bezeichnet wird, ist seit dem Vietnamkrieg in aller Munde und für die meisten US-Amerikaner seit mehr als einem halben Jahrhundert Gewissheit. Auf den amerikanischen Tiefen Staat gehen Kriege wie politische Morde zurück, es stellt sich eher die Frage, welche Kriege nicht auf ihn zurückgehen.

Das Interessante an dem Phänomen und seiner Analyse ist allerdings nicht die moralische Entrüstung, die nichts anderes darstellt als eine weitere Nebelkerze, sondern die entsprechenden Schlüsse, die dazu führen, wie der Formierung des Tiefen Staates entgegengearbeitet werden kann. Denn das Muster arbeitet bereits sehr erfolgreich auf beiden Seiten des Atlantiks. Und das Schlimmste, dass die Betrachtung zeitigen könnte, wäre die Illusion, selbst von dem Phänomen nicht befallen zu sein.

Und da wären wir wieder bei der Türkei. In der Türkei bedurfte es eines schillernden Militärputsches, um aus dem Tiefen Staat über Nacht den neuen Staat zu machen.

Der Tiefe Staat hatte dort mit aller Vehemenz den formal demokratischen Staat durch gezielte Schläge gegen Justiz, Polizei, Bildungsinstitutionen und Presse regelrecht sturmreif geschossen, bevor ein Operettenstreich das Signal für die offizielle Übernahme durch den Tiefen Staat gab. Letzteres ist dann der Akt der Diktatur, der ins Haus steht, wenn der Tiefe Staat genug Zeit und Raum hatte, um sich zu etablieren.

Es ist wichtig alle Erscheinungen, die auf die Aktivitäten des Tiefen Staates hindeuten, hier, im eigenen Land, zu enthüllen, zu betrachten und politisch anzuprangern. Der Kampf gegen den Tiefen Staat ist essenziell bei der Verteidigung der Demokratie.


Über den Autor: Gerhard Mersmann studierte Politologie und Literaturwissenschaften, war als Personalentwickler tätig und als Leiter von Changeprozessen in der Kommunalverwaltung. Außerdem als Regierungsberater in Indonesien nach dem Sturz von Haji Mohamed Suharto. Gerhard Mersmann ist Geschäftsführer eines Studieninstituts und Blogger. Auf Form7 schreibt er pointiert über das politische und gesellschaftliche Geschehen und wirft einen kritischen Blick auf das Handeln der Akteure. Sein Beitrag erschien erstmals auf seinem Blog.

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