Mit Claudia Azizah Seise, Südostasienwissenschaftlerin und Expertin für den Islam in Südostasien, habe ich über die Vielfalt im Islam gesprochen. Ich wollte im Besonderen auch die Besonderheiten des Islam in Indonesien hervorheben. Wir sprachen auch über die Rolle der Konvertiten und die Bedeutung des Kampfes gegen die Islamfeindlichkeit in den westlichen Gesellschaften.
ProMosaik spricht manchmal vom Islam im Plural wegen der Vielfalt der Kulturen, die sich zum Islam bekennen. Wie sehen Sie das?
Ich denke, dass Allah in Seiner Weisheit Islam so gemacht habe, dass es Platz gibt für farbenfrohe Vielfalt und Pluralität. Das wird unter anderem in dem Qur’anvers deutlich, in dem es heißt, dass Er Männer und Frauen und viele verschiedene ethnische Gruppen und Völker geschaffen hat, damit wir uns gegenseitig kennenlernen (Al-Hujurat: 13). Diese Diversität ist eine Gnade und Weisheit Allahs und es liegt an uns, wie wir damit umgehen. Es ist für uns eine Möglichkeit Toleranz zu lernen und endlich einmal unsere Vorurteile aus unseren Köpfen zu vertreiben. Und speziell für die muslimische Gemeinschaft bedeutet das, dass es keine Überlegenheit einer ethnischen Gruppe über einer anderen gibt. Allah hat sie alle gleich geschaffen und was uns unterscheidet ist nur unsere Gottesfurcht und Gottesliebe.
Ich denke, es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass es trotz dieser Vielfalt einige Parameter gibt, in der sich diese bewegen muss. Vielfalt und Diversität im Islam bedeutet nicht unbegrenzte Freiheit bezüglich der Auslegung der Religion. Die islamische Pluralität ist durch den Rahmen von Qur’an, Sunnah, Ijma’ (der Konsens der ausgebildeten islamischen Gelehrten) und Idschtihad (eigenständige Urteilsbemühung eines ausgebildeten islamischen Gelehrten) bzw. Qiyas (Analogieschluss) begrenzt.
Welche Besonderheiten hat der Islam in Indonesien?
Der Islam in Indonesien hat sich zwischen dem 8. bis 13. Jahrhundert in Indonesien friedlich verbreitet und die lokalen Traditionen teilweise inkorporiert bzw. assimiliert. Bis heute ist der traditionelle Islam in Indonesien von Toleranz und Offenheit geprägt. Dafür wird er bisweilen von bestimmten transnationalen Gruppen kritisiert.
Besonders interessant ist die Rolle der muslimischen Frau in Indonesien. Sie prägt das öffentliche Leben sowohl auf den Märkten als auch in den Moscheen, in den Schulen und in den Büros. Die Märkte sind hauptsächlich in Frauenhand und in den Moscheen sieht man häufig mehr Frauen am rituellen Gemeinschaftsgebet teilnehmen als Männer.
Auch die islamische Bildung weist eine interessante Besonderheit auf, die Pesantren. Pesantren sind islamische Internate wo junge Muslime sowohl weltliche, als auch religiöse Fächer lernen. In diesen Institutionen, wie auch in der Familie und in der Gesellschaft, wird auch sehr viel Wert auf das schöne Verhalten und das gute Benehmen gelegt.
Oft hört man, von Heimkehrern aus Mekka, dass die Muslime aus Indonesien das schönste Benehmen hatten während der Pilgerriten. Der Prophet Muhammad (möge Allah ihn segnen und ihm Frieden schenken) kam, um den guten Charakter zu vervollkommnen. Das schöne Benehmen, das gute Verhalten gegenüber anderen ist wirklich eine Tugend, die man praktisch überall in Indonesien beobachten kann und, wenn man offen ist, erlernen kann.
Mit welchen Hauptthemen befassen Sie sich?
Ich bin Südostasienwissenschaftlerin und habe mich innerhalb Südostasiens vor allem auf Indonesien und Kambodscha spezialisiert. Thematisch beschäftige ich mich hauptsächlich mit Islam, islamischer Bildung, Spiritualität, Kunst, muslimischen Minderheiten und verschiedenen muslimischen Riten und wie islamische Werte, Normen und Praktiken durch Muslimische Persönlichkeiten vermittelt und weitergegeben werden.
Wie wichtig sind Konvertiten in der muslimischen Ummah mit ihrer Brückenfunktion zwischen der westlichen und islamischen Welt?
Muslime, die nicht als Muslime geboren worden sind, sind Mittler zwischen zwei verschiedenen Welten. Doch nicht unbedingt zwischen der westlichen und islamischen Welt. Sie sind Mittler zwischen der säkularen Welt und der Welt des Glaubens an einen Gott. Ich denke, das ist ein Unterschied. Denn auch in der muslimischen Welt gibt es Menschen, die ihren Glauben neu entdeckt haben und sich von der zunehmend säkularen muslimischen Gesellschaft unterscheiden. Die göttliche Verbindung in jedem Aspekt des täglichen Lebens zu sehen, zu leben und zu integrieren, macht den gläubigen Menschen (unabhängig von seiner Religion) speziell. Dieser Mensch kann Brückenfunktionen übernehmen und versuchen, die Unwissenheit und Falschinformiertheit der Mehrheit der Gesellschaft aufzuweichen. Dies ist jedoch ein langwieriger Prozess, der viel Geduld, Toleranz, gutes Benehmen und schönes Verhalten und Durchhaltevermögen benötigt. Oft beginnt dieser Prozess schon in der eigenen Familie und im eigenen privaten Umfeld.
Wie kann man durch Wissen über den Islam die Islamfeindlichkeit bekämpfen?
Wissen kann Aufklären und Missverständnisse beseitigen. Jedoch ist Wissen nicht das alleinige Element in diesem Prozess. Dem vermitteltem Wissen müssen Taten folgen. Wir können noch so viel Schönes über den Islam erzählen. Wenn unsere Nachbarn jedoch noch immer unter unserer Rücksichtslosigkeit leiden, dann nützen unsere Worte nicht viel. Ich denke, wir können viel mehr bewirken, wenn wir Islam durch unsere schönen Taten vermitteln. Wenn wir die Herzen unserer Nachbarn durch unser gutes Verhalten gewonnen haben, dann sind die Herzen auch bereit neues Wissen über den Islam aufzunehmen. Das braucht natürlich viel mehr Anstrengung als informative Flyer über den Islam zu verteilen. Denn wir müssen in erster Linie an uns selbst arbeiten. Der Prophet Muhammad (möge Allah ihn segnen und Frieden schenken), wurde mit Dreck beworfen und war trotzdem noch gut mit den Menschen und hat sogar Bittgebete für sie gesprochen. Der Prophet ist unser Vorbild. Wir müssen uns anstrengen, sein schönes Verhalten zu imitieren.
Wie wichtig ist das Thema Frau im Islam und warum muss der muslimische Feminismus von Innen kommen?
Allah hat Männer und Frauen geschaffen und Er hat sie verschieden gemacht. Keiner ist besser als der Andere und sie sind sich gegenseitig überlegen. Das heißt, der eine wurde mit Eigenschaften beschenkt, die der andere nicht hat und umgedreht. Wenn wir diese Weisheit verstehen, verstehen wir auch, dass Männer und Frauen nicht gleich sind und nie gleich sein können. Was sie unterscheidet ist nur ihre Hingabe zu Gott.
In unseren modernen Gesellschaften, wo der Mensch zunehmend als maschinisierte Ware betrachtet und behandelt wird, ist es jedoch oft schwierig die gottgewollten Unterschiede zu berücksichtigen und Gerechtigkeit zu implementieren. Frauen werden Doppel-Dreifach-Vierfachbelastungen zugemutet, die ihre emotionale Komponente teilweise unterdrückt und zurückdrängt.
Es wird erwartet, dass Frauen wie Männer sind. Und das ist meiner Meinung nach falsch. Wir dürfen die der Frau innewohnende Weiblichkeit in all ihrer Schönheit nicht zugunsten der kapitalistischen Bestrebungen unserer Gesellschaften unterdrücken. Da nützt es auch nichts, mehr Kindergärten oder Ganztagsbetreuung zu fordern. Ich bin selbst Mutter, und als Mutter möchte ich vor allem in den ersten Jahren so viel Zeit wie möglich mit meinen Kindern verbringen. Ich möchte ihnen die Welt zeigen, ihre leuchtenden Augen sehen, ihre ersten Schritte, ihre ersten Wörter hören. Wir dürfen diese Zeit nicht zerreißen und Mütter zwingen außerhalb ihrer Häuser zu arbeiten. Es ist wichtig mehr Home-Office-Möglichkeiten zu schaffen. Lasst die Frauen, die es wollen, ihrer Arbeit im Home-Office nachgehen. Und schafft die 40 Stunden Wochen ab! Sowohl Männer als auch Frauen, sollten die Möglichkeit haben, mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Dann werden sie, in der Zeit wo sie arbeiten, leistungsfähiger und kreativer sein.
Das hat jetzt wahrscheinlich nicht wirklich etwas mit Feminismus zu tun. Aber unabhängig von den Labels, die wir bestimmten Bewegungen und theoretischen Konzepten zuschreiben, sollten wir uns auf den Menschen konzentrieren und auf dessen Bedürfnisse. Der Mensch ist keine maschinisierte Ware und sollte auch nicht so behandelt werden. Frauen haben ein Recht, gemäß ihren Veranlagungen, ein zufriedenes und erfülltes Leben zu leben. Unabhängig davon, ob sie arbeiten wollen, Familie gründen wollen, Kinder großziehen wollen. Sie sollten nicht unter der Last der Mehrfachbelastung erdrückt werden, sondern so gut es geht von allen Seiten unterstützt werden. Unabhängig davon welcher Religion sie angehören.