Auf der von der Partei Die Linke am 2. Juli im Berliner Abgeordnetenhaus veranstalteten 2. Fachtagung zur Zukunft der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin war von der umstrittenen Privatisierung der Medienauswahl und -beschaffung an der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) nicht die Rede. Lediglich Jana Seppelt, zuständige Gewerkschaftssekretärin von ver.di, wies in Ihrem Schlusswort darauf hin.
Gefeiert wurde dagegen in bemerkenswerter Einhelligkeit das ominöse Beispiel der Bibliothek von Aarhus in Dänemark als Leitstern für eine öffentliche Bibliothek der Zukunft. Die weiteren Vorträge zum thematischen Schwerpunkt der Veranstaltung – den „sich verändernden Aufgaben & Arbeitsbedingungen in den Berliner Bibliotheken“ – befassten sich unter anderem mit der Herausforderung durch die Digitalisierung und den veränderten Anforderungen an Qualifikation und Ausbildung der Bibliotheksmitarbeiter.
Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) kritisiert, dass die funktionale Privatisierung und tiefgreifende Umstrukturierung der ZLB, die selbstverständlich einen entscheidenden Einfluss auf die dortigen Aufgaben und die Arbeitsbedingungen hat und maßgeblich für die Entwicklung der anderen öffentlichen Bibliotheken in Berlin ist, in den Vorträgen vollständig ausgeblendet wurde. Auch übt GiB Kritik daran, dass die Bibliothek in Aarhus nicht in sachlich-kritischer Form dargestellt wurde, sondern dass durch einen Vortrag im Stile eines subjektiven Erlebnisberichts, noch dazu ergänzt durch einen Werbefilm, im wesentlichen PR dafür gemacht wurde.
Ulrike von Wiesenau, Kulturreferentin von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB), kommentiert die Veranstaltung wie folgt:
„Es fehlte eine kritische Hinterfragung des vielgerühmten Konzepts einer ‚Eventbibliothek’“, wie es in Aarhus bereits realisiert ist und als Blaupause für die ZLB dienen soll. Dieses beinhaltet letztendlich die vollständige Demontage der Bibliothek als Bibliothek. ‚Information in your pocket‘ ist die neue Devise, die Bibliotheksdirektor Knud Schulz in Aarhus schon in die Tat umgesetzt hat: Bücher brauche man nicht mehr, es gebe ja das Smartphone. Dabei haben internationale Forschungsgruppen inzwischen starke Belege dafür, dass das Lesen längerer Texte auf dem Bildschirm schwieriger ist und dass vertieftes Lesen, Verstehen und Erinnern wie auch die emotionale Beteiligung schwerer fallen als beim Buch. Darüber hinaus gilt, angesichts der Problematik von Datenschutz und Manipulation: Gerade eine öffentliche Bibliothek sollte sich im Hinblick auf Google & Co auch als Ort der Entwicklung von Gegenmacht verstehen.“
Karl Goebler, Mitarbeiter des Kulturreferats von GIB, hebt hervor:
„Repräsentative Umfragen unter Bibliotheksnutzern in Deutschland haben gezeigt: Oberste Priorität in einer öffentlichen Bibliothek hat für sie der Medienbestand und die individuelle Beratung durch qualifizierte Bibliothekare bei der Mediensuche. Weit weniger wichtig sind dagegen Kurse oder ‚Events‘. Aber, unabhängig davon, welche Angebotsmischung man für angemessen oder wünschenswert hält: Bei einer öffentlichen Bibliothek ist darüber demokratisch und gemeinwohlorientiert zu entscheiden und nicht nach den Zielen, Prinzipien und Kriterien der Privatwirtschaft. Der Tatbestand einer funktionalen Privatisierung und der damit verbundenen tiefgreifenden Umstrukturierung der ZLB, die selbstverständlich einen entscheidenden Einfluss auf die dortigen Aufgaben und die Arbeitsbedingungen hat, wurde in den Vorträgen vollständig ausgeblendet.“
Frauke Mahrt-Thomsen, vom Arbeitskreis Kritischer BibliothekarInnen, stellt fest:
„Von guter Arbeit kann in den öffentlichen Bibliotheken Berlins immer weniger die Rede sein, da die Bezirksbibliotheken seit mehr als 25 Jahren kaputtgespart und einer Kosten-Leistungsrechnung unterworfen werden, die in keiner Weise an sozialen und Qualitätskriterien orientiert ist, sondern ihnen eine sachfremde Konkurrenz um die billigsten Dienstleistungen aufzwingt und die Spaltung bei der Versorgung der Bevölkerung fortlaufend vertieft anstatt sie aufzuheben. Durch Streichung von Stellen und Ausbildungsplätzen, durch Privatisierung zentraler Aufgabenfelder werden anspruchsvoll ausgebildete BibliothekarInnen immer mehr abgeschafft und durch preiswertere Fachangestellte für Medien- und Informationsdienstleistungen ersetzt.“
GiB befürchtet: Das sich an der ZLB vollziehende Privatisierungs- und Entkernungsmodell von Wissen könnte an Deutschlands öffentlichen Bibliotheken Schule machen. Von einer rot-rot-grünen Berliner Regierung erwarten wir eine Politik, die die aktuell drohende Privatisierung von Schulbau und Schulbetrieb verhindert und die Privatisierung der Medienauswahl und -beschaffung an der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) rückgängig macht. Im November 2016 hatte die Berliner LINKE das Wahlversprechen gegeben, sich dafür einzusetzen, dass die Zentral- und Landesbibliothek wieder durch eigene Fachlektoren mit Büchern versorgt wird. Eine klare Positionierung gegen eine Privatisierung der Medienbeschaffung an Berlins öffentlichen Bibliotheken, die nun zügig umgesetzt werden muss.