Es ist eines der wichtigsten Verfahren dieses Jahres. Mehr Demokratie-Bundesvorstand Roman Huber war am 26. Juni in Luxemburg bei der Verhandlung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Paralleljustiz in Handelsabkommen. Hier sein Bericht aus dem Gerichtssaal.
Full court, grande salle… der volle Gerichtshof kommt nur alle paar Jahre zusammen. Die Kammern bestehen normalerweise aus drei bis fünf Mitgliedern, die große Kammer umfasst 13 Richter/innen, nun sitzen im goldenen Saal alle – 20 Richter und 4 Richterinnen. Art. 16 der Satzung des EuGH stellt klar: Dies findet nur bei einer Rechtssache von außergewöhnlicher Bedeutung statt.
Auch der Vortrag der EU-Kommission zeigt: Es geht ums Ganze. Heute wird nicht nur über CETA verhandelt, sondern es geht um die Paralleljustiz an sich. Das Verfahren betrifft alle neuen Verträge, die gerade verhandelt werden, z.B. mit Singapur, Vietnam, Mexiko, Chile, Myanmar. Es betrifft vor allem die neuen Verträge mit den Schwergewichten Japan und China. Das EuGH-Verfahren wird sogar Auswirkungen auf alle bereits bestehenden Abkommen haben, die EU-Mitgliedsländer abgeschlossen haben. Die EU-Kommission erwähnt vor Gericht die unglaubliche Zahl von 1.344 Investitionsschutz-Abkommen, die betroffen sind.
Zuerst stellt der belgische Anwalt seinen Antrag vor. Danach haben die EU-Institutionen und alle 27 Staaten die Möglichkeit vorzutragen – in ihrer Landessprache. Die 65 Übersetzerinnen und Übersetzer, das sind Dolmetscher/innen in den Kabinen an den Seiten des großen Saales, leisten Großartiges, sie übersetzen in 23 Sprachen, fast sechs Stunden lang. Alle Länder trugen im Grunde das Gleiche vor – so fasst es der Präsident des Gerichts am Nachmittag zusammen: Keine Regierung hat ein Problem mit der Paralleljustiz.
Nur das kleine Slowenien stellt sich mutig und kompetent gegen den Strom. Dann beginnen die Richter/innen zu fragen und nehmen die EU-Kommission und den Europäischen Rat in die Zange. Die Materie ist kompliziert: Wer darf EU-Recht auslegen? Wie sind die Verfahrensabläufe? Darf ein Investor erst zu nationalen Gerichten gehen und, wenn ihm das Urteil nicht passt, danach zur Paralleljustiz? Werden ausländische Investoren dadurch bevorzugt? Auf welcher Grundlage arbeitet diese Paralleljustiz? Wie werden Schadenersatzansprüche errechnet? Ein Richter verlässt das juristische Detailgerangel und bringt es perfekt auf den Punkt: Kanada ist ein demokratisches Land, Kanada hat ein funktionierendes Rechtssystem, ein funktionierendes Wirtschaftssystem. Warum brauchen wir diese komplizierte Paralleljustiz überhaupt? Gab es irgendwelche Vorfälle in der jüngsten Zeit, die dies rechtfertigen würden? Wir haben jahrzehntelang positive Erfahrungen mit Kanada, wir vertrauen einander. Ist es nicht ein Rückschritt, so ein Misstrauenssystem einzuführen?
Die Antwort der Kommission war entlarvend: Es geht nicht um Vertrauen. Wir brauchen diese Paralleljustiz, weil Großinvestoren Sicherheit haben wollen und zwar schnell. Damit ist alles gesagt, es geht nicht um die Menschen, es geht um die Konzerne. Dieses Politikverständnis ist so meilenweit von dem weg, was wir unter Demokratie verstehen. Das kann man so nicht stehen lassen. Wir hoffen, dass der EuGH das auch so sieht und der Paralleljustiz in Handelsabkommen mit seinem Urteilsspruch ein für alle Mal den Garaus macht. Aber darauf wollen wir nicht warten. Unabhängig davon ziehen wir alle Register gegen dieses undemokratische Abkommen. CETA ist auch ohne Paralleljustiz vorläufig in Kraft getreten.
Es braucht noch die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Da haken wir ein. Die Zustimmung der Bundesländer ist nicht gesichert. Wenn Grüne und Linke zu ihren Positionen stehen, wird es keine Mehrheit zu CETA geben. Wir helfen Ihnen dabei.
Der Urteilsspruch zur Paralleljustiz in CETA wird überraschend schnell kommen, der Generalstaatsanwalt wird seine Anträge am 23.10.2018 stellen, die Richter/innen entscheiden dann vielleicht noch in diesem Jahr.