Im Februar 2018 wurden 68 Stolpersteine für katalanische Opfer des Nationalsozialismus von dem deutschen Künstler Gunther Demnig in Katalonien verlegt. Es sollte ein Beitrag von deutscher Seite zur längst nötigen historischen Aufarbeitung des Faschismus in Spanien sein.
Allerdings scheint das Verlegen eines Stolpersteins für ein politisches Opfer wie für den katalanischen Präsidenten Lluís Companys, der von der Gestapo an Spanien ausgeliefert und von den Franquisten erschossen wurde, auch 80 Jahre danach noch politisch unbequem zu sein: Die Verlegung seines Stolpersteins wurde vom Rathaus Barcelona bis auf weiteres ausgesetzt.
Der Mann, der die katalanische Republik ausrief
Vielen Deutschen wird es nicht entgangen sein, dass seit der Festnahme des ehemaligen katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont in Schleswig-Holstein manche Katalanen Parallelen zur Auslieferung von Lluís Companys durch die deutsche Gestapo ziehen.
Gerechtfertigt oder nicht, dieser Vergleich zeigt, wie stark das Schicksal des historischen Präsidenten in Katalonien noch emotionalisiert. Schon im Oktober letzten Jahres, in der Zeit nach dem umstrittenen Referendum, sorgte der Kommentar eines Sprechers der spanischen Regierungspartei, Puigdemont könnte „wie Companys enden“, für das Hochkochen von Emotionen unter Puigdemonts Anhängern. Doch wer war eigentlich Lluís Companys, der fast 80 Jahre nach seinem Tod immer noch eine so entscheidende Rolle für viele Katalanen spielt?
Lluís Companys i Jover wurde 1882 in den katalanischen Pyrenäen, im El Tarròs, bei Lleida, in eine wohlhabende Bauernfamilie geboren. Nach einem Jura-Studium verteidigte er als Anwalt zahlreiche Gewerkschaftler. Während der Diktatur von Primo de Rivera (1923-1930) saß er bereits im Gefängnis und war später im Untergrund aktiv.
1933 wurde er zum Präsidenten der katalanischen Regierung gewählt. Am 6. Oktober 1934 rief der katalanische Linksrepublikaner und Präsident der Generalität den katalanischen Staat innerhalb der spanischen Räterepublik aus. Companys und seine Regierung wurden von der damaligen konservativen spanischen Regierung festgenommen und zu 30 Jahren Haft verurteilt.
Doch schon 1936 kam Companys durch den Sieg der revolutionären Volksfront (Front Popular) frei und wurde erneut Präsident der Generalität. Nach Francos Putsch gegen die Zweite Spanische Republik 1936 war Companys Konzentrationspunkt des politischen Widerstands in Katalonien.
Als im Januar 1939 Franco in Barcelona einmarschierte, floh Companys wie Tausende von Republikanern nach Frankreich. Ein Jahr später wurde er von den deutschen Streitkräften in der Bretagne festgenommen und an Spanien ausgeliefert. Companys wurde von Francos Terrormiliz brutal gefoltert und am 15. Oktober 1940 auf dem Montjuïc (Barcelona) erschossen. Seit 1985 ruhen Companys’ Reste im Mausoleum im Fossar de la Pedrera in Barcelona.
Companys Fähigkeit, in schwierigen Zeiten unterschiedliche ideologische Strömungen im Kampf gegen den Feind zu vereinen sowie sein Einsatz für die Arbeiter und Gewerkschaftler sind in der kollektiven Erinnerung Kataloniens haften geblieben.
Gleichzeitig ist seine Hinrichtung als einziger demokratisch gewählter Präsident durch den Faschismus und die Weigerung der spanischen Politik bis heute, dieses Kriegsverbrechen als solches anzuerkennen und zu verurteilen, für viele Katalanen und Katalaninnen eine offene Wunde. Erst im letzten Jahr wurde erneut das Gesuch der katalanischen Regierung und zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich für die Aufhebung seiner Verurteilung und Hinrichtung einsetzen, von der spanischen Politik abgelehnt.
Der spanische „Pakt des Schweigens“ und deutsche Bringschuld
2018 wird der 40. Jahrestag der spanischen Verfassung gefeiert. Doch sehen viele Spanier und Spanierinnen in der fehlenden geschichtlichen Auseinandersetzung mit dem Spanischen Bürgerkrieg (1936-39) und der Franco-Diktatur (1939-75) immer noch ein wichtiges Demokratiedefizit in ihrem Land.
Sämtliche spanische Regierungen, egal welcher Couleur, haben bisher stets auf ein Amnestiegesetz von 1977 verwiesen, das im Rahmen der sogenannten Transition (dem Übergang vom Franquismus zur Demokratie zwischen 1975-1978) vereinbart wurde. Diese Amnestie, durch die eine Aufklärung und Anerkennung sämtlicher franquistischer Verbrechen verhindert wurde, ist in Spanien als „Pakt des Schweigens“ bekannt.
Selbst die UNO hat Spanien mehrmals aufgefordert, die Verbrechen des Franquismus aufzuarbeiten und eine Wiedergutmachung für die Opfer sowie die Öffnung der mehr als 2500 Massengräber aus dem Bürgerkrieg, in dem noch mehr als 114.000 Vermisste verscharrt liegen, voranzutreiben. Bis jetzt ohne Erfolg.
2007 wurde unter dem Sozialisten Jose Luís Zapatero ein erster Schritt getan mit dem Gesetz zur historischen Aufarbeitung, allerdings wird es von den Opfern als unzulänglich angesehen. Unter anderem erkennt das Gesetz zwar die franquistischen Kriegsgerichte als illegitim an, erklärt aber deren Gerichtsurteile nicht für ungültig.
Zudem fließt seit Regierungsantritt des konservativen Partido Popular (Volkspartei) unter Mariano Rajoy im Jahr 2011 kein staatlicher Euro in die Öffnung der mehr als 2500 Massengräber des Bürgerkriegs oder für die Opfer der Franquisten, wie es das Gesetz von Zapatero eigentlich vorsieht. Wie im Fall des ermordeten katalanischen Präsidenten Lluís Companys warten seit Generationen Zehntausende von Familienangehörigen der Opfer des Bürgerkriegs und der darauffolgenden Franco-Diktatur auf Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung.
Inzwischen klagen Franquismus-Opfer auch von Argentinien aus. Im Oktober 2013 hat eine argentinische Richterin mittels dem Weltrechtsprinzip (Universal Jurisdiction) ein Verfahren gegen Spanien wegen der Ermordung von Lluís Companys sowie 45 Bürgermeistern und zwei Abgeordneten von ERC unter Franco eröffnet. Die Forderung nach einer Auslieferung der noch lebenden franquistischen Verbrecher wurde 2017 erneut von der spanischen Regierung und Justiz abgelehnt.
Im Gegensatz zu Spanien erkannten 2008 sowohl der Generalkonsul Deutschlands als auch der französische Konsul in einem Erinnerungsakt die Mitschuld ihrer beiden Länder an der Festnahme und der Auslieferung von Lluís Companys an den Diktator Francisco Franco an.
Bernhard von Grünberg, Stellvertreter der UNO-Flüchtlingshilfe, Wahlbeobachter am 9. November 2014 bis hin zur Wahl am 21. Dezember 2017 in Katalonien, und ehemaliger Landtagsabgeordneter der SPD in Nordrhein-Westfalen, sieht einen hohen Bedarf für die historische Aufarbeitung in Spanien: „Mein Vater war selbst Nazi und hat nach dem Krieg Naziparteien in Deutschland gegründet. Dank meines Einsatzes setzen wir uns in Bonn intensiv mit dem Nationalsozialismus auseinander. Ich erachte die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in Spanien als grundlegend für demokratische Prozesse. In Spanien haben wir Deutschen eine Bringschuld und sollten demokratische Prozesse unterstützen.“
Stolpersteine für katalanische Naziopfer
Eine der Initiativen, die von Grünberg im Zusammenhang mit der historischen Aufarbeitung angestoßen hat, sind die Stolpersteine. Von Grünberg ist langjähriger Bekannter des Künstlers Gunther Demnig aus Köln, der die Stolpersteine anfertigt. Seit 2015 sind auch in Spanien zahlreiche dieser Mikro-Denkmäler in Erinnerung an die Menschen, die als Opfer des Nationalsozialismus, ermordet, deportiert, ins Exil oder zum Selbstmord getrieben wurden, verlegt worden.
Neben namenhaften Opfern wie Lluís Companys, waren es vor allem Tausende von Republikanern, die nach dem Sieg des Generals Franco nach Frankreich flüchteten und dort von den deutschen Faschisten festgenommen und an das Franco-Regime ausgeliefert oder in Konzentrationslager geschickt wurden, oft nach Mauthausen. Mehr als 7.000 Spanier wurden zur Zwangsarbeit verurteilt. Mehr als die Hälfte von ihnen starb in den Lagern.
„In Situationen, in denen die historische Aufarbeitung nur schleppend vorankommt wie im Fall Spaniens, kann es durchaus hilfreich sein, wenn unpolitische, gemeinnützige Vereine eine vermittelnde Rolle übernehmen“, meint Heike Keilhofer, Mitglied beim Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Barcelona. Anfang 2016 stellte der Verein erstmals einen Antrag auf Genehmigung eines Stolpersteins für Lluís Companys an das Rathaus Barcelona. Keilhofer erklärt, dass dieser Stolperstein dem Verein Köln-Barcelona besonders deshalb wichtig sei, weil er in Deutschland auf die Mitschuld des deutschen Nationalsozialismus an diesem Verbrechen aufmerksam mache.
„Diese Schuld sollte ins deutsche Bewusstsein gebracht und aufgearbeitet werden,“ sagt Keilhofer. In diesem Sinne sei es auch interessant, wenn die politischen Stiftungen, die Deutschland in Spanien unterhält, den Weg zur Aufarbeitung unterstützen würden.
Unterliegt das Verlegen von Companys’ Stolperstein politischem Kalkül?
Deshalb war das Verlegen von insgesamt 68 Stolpersteinen im Februar 2018 in Katalonien für den Verein Köln-Barcelona und den Künstler Demnig eine besonders wichtige Aktion. Neus Català, die letzte noch lebende Katalanin, die in Mauthausen inhaftiert war, konnte bei der Verlegung ihres Stolpersteins sogar anwesend sein.
Auch der Stolperstein für Lluís Companys sollte seinen Platz vor dem katalanischen Regierungssitz auf der Plaça Sant Jaume finden. Doch die Genehmigung für die Verlegung wird vom Rathaus Barcelona auf die lange Bank geschoben. Nach mehreren erfolglosen schriftlichen und mündlichen Anfragen hieß es schließlich, „man studiere den Fall“. Seitdem wartet der Stolperstein für den ermordeten Companys, in Papier verhüllt, im Memorial Democratic Center in Barcelona auf eine Entscheidung.
Sowohl der Verein zur Städtepartnerschaft Köln-Barcelona als auch Bernhard von Grünberg zeigen sich über die Haltung der Stadtverwaltung unter Ada Colau verwundert. „Diese Situation ist für mich absolut nicht nachvollziehbar. Sicherlich ist auch der Bürgermeisterin (von Barcelona) daran gelegen, die Erinnerung der vielen Opfer des Bürgerkriegs und die Beteiligung des deutschen Nationalsozialismus auch in Barcelona aufzuarbeiten“, erklärt von Grünberg.
Doch offensichtlich spalten sich an der Figur von Lluís Companys die politischen Geister. Tatsächlich ist die Entscheidung über die Verlegung seines Stolpersteins vor den anstehenden Kommunalwahlen in Barcelona 2019 für das Rathaus unter En Comú von Ada Colau nicht einfach. Lehnt Colau die Verlegung ab, steht sie vor einem großen Teil der pro-Unabhängigkeits-Wähler und auch den moderaten Katalanisten schlecht da. Stimmt das Rathaus Barcelona einer Verlegung zu, könnten pro-spanische Parteien in Katalonien dies medienwirksam als pro-Unabhängigkeits-Propaganda anprangern.
Allein die Tatsache, dass man im aktuellen Kontext dem Menschen Companys und Präsidenten von Katalonien fast 80 Jahre nach seinem Tod die Anerkennung als Opfer des Faschismus möglicherweise aus politischen Gründen vorenthält, zeugt auf besonders tragische Weise vom „Erfolg“ des postfranquistischen „Pakt des Schweigens“ von 1977.