Die Bundesregierung besteht auf der Kopplung künftiger Schuldenerleichterungen für Griechenland an die Fortsetzung der politischen Diktate gegenüber Athen. Hintergrund sind die Auseinandersetzungen um den Umgang mit dem verarmten Land nach dem Ende des aktuellen Kreditprogramms im August. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass Griechenland ohne einen signifikanten Schuldenerlass nicht in der Lage sein wird, seine Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen, und verlangt einen solchen Erlass ohne eine damit verbundene politische Knebelung.
Berlin ist dazu, wie bisher, nicht bereit und will Unterstützungsleistungen strikt an neue Diktate binden, etwa an den Zwang zu weiteren Privatisierungen staatlichen Eigentums. Die Debatte darüber wird beim nächsten Treffen der EU-Finanzminister an diesem Freitag fortgesetzt. Berlin ist international zunehmend isoliert. Die Auseinandersetzungen zeigen, dass der neue SPD-Finanzminister Olaf Scholz den Kurs seines Vorgängers Wolfgang Schäuble weitgehend unverändert fortführt.
„Wie Schäuble, nur netter“
Der neue deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ist bemüht, die harte finanzpolitische Linie seines Amtsvorgängers Wolfgang Schäuble trotz zunehmender internationaler Opposition weiterzuverfolgen. Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister gab sich bei seinen ersten öffentlichen Auftritten im neuen Amt sichtlich Mühe, die Kontinuität der deutschen Finanzpolitik hervorzuheben. So betonte er etwa in einer Rede vor dem German Marshall Fund of the United States (GMFUS), er halte eine „solide“ Haushaltspolitik für notwendig; bei einer Diskussionsrunde im IWF-Hauptgebäude in Washington bekräftigte er, er beharre auf den als „Strukturreformen“ bezeichneten Austeritätsprogrammen in der EU, die Berlin nach dem Ausbruch der Eurokrise der Eurozone oktroyierte – mit verheerenden sozioökonomischen Folgen. Auf die Reformvorschläge des französischen Präsidenten, etwa den Aufbau eines EU-Finanzministeriums, ging Scholz bei seinen Aufritten überhaupt nicht ein. Eine Bankenunion sei für ihn nur dann denkbar, wenn die Kreditrisiken in den europäischen Krisenländern reduziert würden, heißt es; Scholz sei bemüht, die Erwartungen vieler Euroländer zu dämpfen, „dass die neue Bundesregierung den Geldhahn aufdreht“. Der neue Finanzminister setze „in vielen Punkten den Kurs seines Vorgängers“ fort, resümieren Beobachter anlässlich seines öffentlichen Auftritts am Rande der IWF-Frühjahrstagung in Washington.[1] Die Wirtschaftspresse urteilt: „Scholz ist wie Schäuble, nur netter“.[2]
Immer im Kreis
Besonders umstritten ist der Umgang mit der Staatsverschuldung Griechenlands, die am vergangenen Freitag bei dem Treffen der „Washington Group“ aus IWF, EZB, ESM und den Finanzministern der vier größten Eurostaaten auf der Tagesordnung stand. Der IWF beharrt seit je darauf, dass Griechenland substanzielle Schuldenerleichterungen erhält; ohne sie sei Athen nicht in der Lage, seine Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen, hieß es immer wieder aus Washington. Berlin blockiert das jedoch hartnäckig; seit rund drei Jahren drehe sich die Debatte zwischen IWF und Bundesfinanzministerium „im Kreis“, da dem Währungsfonds die Berliner Austeritätspolitik in Griechenland zu extrem sei, konstatiert die Wirtschaftspresse.[3] Der IWF weigert sich folglich, seinen prinzipiell zugesagten 1,6 Milliarden Euro schweren Beitrag zum „Hilfsprogramm“ für Griechenland auszuzahlen. Ein neuer Anlauf, ihn ins Boot zu holen, soll an diesem Freitag gestartet werden, wenn bei dem Treffen der Euro-Finanzminister das im August bevorstehende Auslaufen des offiziellen „Hilfsprogramms“ für Griechenland diskutiert wird.
Kampf um die Souveränität
Das Auslaufen des offiziellen Kreditprogramms, das unter der Regie des damaligen deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble in den vergangenen acht Jahren den Zugang zu Krisenkrediten an ein sozioökonomisch verheerendes Austeritätsregime koppelte, wird von der griechischen Regierung um Premierminister Aléxis Tsípras im Vorwahlkampf zu einem wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Wiedererlangung der griechischen Souveränität erklärt. Berlin indes ist bemüht, die wohl unumgänglichen Schuldenerleichterungen für Athen möglichst niedrig zu halten und sie weiterhin an verbindliche politische Vorgaben zu koppeln. Die Formulierung einer eigenständigen griechischen Haushaltspolitik nach der Rückkehr Athens auf den Finanzmarkt soll so verhindert werden. Man wolle sicherstellen, dass die griechische Regierung an den „implementierten Reformen“ festhalte und einen großen Primärüberschuss (Haushaltsüberschuss abzüglich Schuldendienst) über eine „lange Zeitperiode“ aufrechterhalte, erklärte der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Valdis Dombrovskis.[4] Eine Offerte aus Brüssel sehe etwa vor, dass Athen bis 2022 einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent garantiere.
Berlin gegen Paris
Berlin favorisiert die direkte Kopplung von Schuldenerleichterungen – gedacht ist etwa an die Rücküberweisung von Zinsgewinnen aus Griechenland-Anleihen an Athen – an Maßnahmen wie weitere „kleinere Privatisierungen“.[5] Zuerst könnten – bei politischem Wohlverhalten Athens – 1,6 Milliarden Euro überweisen werden, heißt es. Durch die Kopplung an politische Kontrolle könne man sicherstellen, „dass die Athener Regierung auch in den kommenden Jahren nicht vom bisherigen Reformkurs allzu stark abweicht“. Die alte deutsche Härte kontrastiert dabei mit französischen Vorstellungen, die Athen sehr viel weiter entgegenkommen und darauf abzielen, dem sozioökonomisch verwüsteten Land Nachlässe im Umfang von 18 Milliarden Euro zu gewähren.[6] Griechenlands Zinslast soll darüber hinaus auf zwei Prozent gedeckelt werden. Der Hintergrund: Athen steht in direkten Verhandlungen mit Paris über den Erwerb von vier französischen Fregatten, die das verarmte Mittelmeerland im Rahmen einer strategischen Partnerschaft zur Luftverteidigung in der Ägäis nutzen soll – gegen etwaige Attacken der Türkei.
Deutsche Härte
Der deutsche Finanzminister müsse in den Verhandlungen eine „schwierige Gratwanderung“ absolvieren [7], heißt es, da der zunehmende internationale Druck, das Austeritätsregime endlich zu lockern, auf eine starke innenpolitische Blockadehaltung in der Bundesrepublik stoße; Schuldenerleichterungen für Griechenland seien hierzulande „nicht gerade populär“. Insbesondere innerhalb der Unionsfraktion rege sich Widerstand gegen jedes nennenswerte Zugeständnis an das in acht Jahren Kürzungsdiktat pauperisierte Krisenland. Es herrschten Befürchtungen, mit einer Abkehr vom drakonischen Austeritätsregime extrem rechte Parteien wie die AfD oder den rechten Flügel in der FDP stark zu machen. Die CSU, die kurz vor einer Wahl stehe, habe zudem keinerlei Interesse an einer öffentlichen Diskussion darüber und versuche, das Thema totzuschweigen. Dennoch werde der Bundestag bis zum Sommer eine Entscheidung über den konkreten Umfang der Schuldenerleichterungen für Athen fällen müssen. Härte gegenüber Griechenland gilt in der Bundesrepublik als ein relativ sicheres Mittel, um innenpolitisch Kapital zu akkumulieren. Auch Kanzleramtschef Altmaier hat noch im Februar weitere Auszahlungen von Kredittranchen an Athen mit der Forderung verknüpft, Zwangsvollsteckungen von Häusern schneller durchzuführen und dafür ein System im Internet zu schaffen.[8]
Verelendet
Trotz etwas besserer makroökonomischer Ergebnisse sind in Griechenland die verheerenden sozialen Folgen der deutschen Austeritätspolitik auch nicht annähernd überwunden. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung – 35 Prozent, konkret 3,8 Millionen Griechinnen und Griechen – leben in Armut; nur Bulgarien und Rumänien weisen in der EU eine höhere Armutsrate auf.[9] 1,8 Millionen Bürger des Landes – 13,6 Prozent der Bevölkerung – vegetieren in extremer Armut dahin; sie verfügen nicht über eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln oder mit Kleidung.[10] Der Armutsanteil in der griechischen Bevölkerung ist zwischen 2008 und 2015 um 40 Prozent gestiegen.[11] Insbesondere Kinder und Jugendliche leiden unter dem durch das Berliner Austeritätsregime angefachten Pauperismus: Jedes vierte Kind in Griechenland muss in Armut aufwachsen.[12] Immer noch beträgt die offizielle Arbeitslosenquote mehr als 20 Prozent.[13]
Beitrag mit freundlicher Genehmigung von GERMAN-FOREIGN-POLICY.com übernommen.
[1] Roland Pichler: Der neue spricht wie der alte Finanzminister. stuttgarter-nachrichten.de 20.04.2018.
[2] Christian Ramthun: Scholz ist wie Schäuble, nur netter. wiwo.de 20.04.2018.
[3] Martin Greive, Jan Hildebrand, Ruth Berschens: IWF wartet auf Deutschland – Finanzminister Scholz soll Griechenlands Schuldenlast lindern. handelsblatt.com 17.04.2018.
[4] Jan Strupczewski: Euro zone to link debt relief to sound future Greek policies. reuters.com 21.04.2018.
[5] Martin Greive, Jan Hildebrand, Ruth Berschens: IWF wartet auf Deutschland – Finanzminister Scholz soll Griechenlands Schuldenlast lindern. handelsblatt.com 17.04.2018.
[6] Martin Greive, Jan Hildebrand: Hilfen für Griechenland könnten Finanzminister Scholz in Bedrängnis bringen. handelsblatt.com 03.04.2018.
[7] Martin Greive, Jan Hildebrand, Ruth Berschens: IWF wartet auf Deutschland – Finanzminister Scholz soll Griechenlands Schuldenlast lindern. handelsblatt.com 17.04.2018.
[8] Altmaier macht Druck auf Athen. n-tv.de 19.02.2018.
[9] One in three Greeks living in poverty. neokosmos.com 24.10.2017.
[10] Philip Chrysopoulos: Almost 1.5 Million Greeks Live in Extreme Poverty. greece.greekreporter.com 02.05.2017.
[11] Philip Chrysopoulos: Poverty in Greece Gone Up 40% Since 2008. greece.greekreporter.com 02.03.2017.
[12] Philip Chrysopoulos: Greece’s Children Pay the Price of Economic Crisis. greece.greekreporter.com 15.03.2017.
[13] Greek unemployment rate eased to 20.6% in January thanks to tourism. tornosnews.gr 13.04.2018.