Auf der letztwöchigen Fachtagung „Zukunft der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin“ wurde die umstrittene Neuausrichtung der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) diskutiert. ZLB-Direktor Volker Heller hatte im September 2017 mit seinen Vorstandskollegen dem Großbuchhändler Hugendubel den Zuschlag erteilt, in den nächsten Jahren den Großteil der Medienbeschaffung für die Bibliothek zu übernehmen. Gleichzeitig wurde die Anzahl der hausinternen Bibliothekare und Fachlektoren reduziert und ihre Kernaufgabe darauf beschränkt, allgemeine Bedarfsprofile zur Orientierung für die Auswahl der Medien zu erstellen.
Ulrike von Wiesenau, Kulturreferentin von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB), kommentiert diese Entwicklung wie folgt: „Die Privatisierung der Buch- und Medienauswahl der öffentlichen Bibliotheken bedeutet den Verlust ihrer inhaltlichen Kompetenz. Denn ein differenziertes Konzept kann nur mit fachlich qualifizierten und inhaltlich spezialisierten Fachlektoren realisiert werden. Dieses inhaltliche Rückgrat der Bibliothek wird nun gebrochen. Die Bibliothekare werden einem Prozess der Dequalifizierung ausgesetzt, das Know-How der Bibliothek wird vernichtet. Ökonomische Kriterien und eine rein betriebswirtschaftliche Logik sollen darüber entscheiden, welches Wissen für uns verfügbar gehalten wird.“
GiB kritisiert auch die Ausrichtung der Veranstaltung. Nach Einschätzung von GiB sollte die gestrige Veranstaltung weniger einer fachlichen Diskussion mit offenem Ausgang dienen als vielmehr der Legitimation der Privatisierung der Medienbeschaffung an der ZLB und des von Heller verfolgten Konzepts. Alle sieben geladenen Redner teilten offenbar die Position von Heller. Einzig der Personalratsvorsitzende der ZLB, Lothar Brendel, erhielt zehn Minuten die Gelegenheit, die fachliche Sicht der überwiegenden Mehrheit der Belegschaft darzustellen, die eine Gegenposition darstellte. Eine weitere Kritikerin des Konzepts, die zuständige Gewerkschaftssekretärin von ver.di, Jana Seppelt, war als Rednerin abgelehnt worden.
Lothar Brendel, Personalratsvorsitzenden der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) vertrat die Sache des Gemeinguts der Öffentlichen Bibliotheken: „Dieses Vorgehen der Berliner Kulturverwaltung ist ein kulturpolitischer Offenbarungseid, denn nach den Bezirksbibliotheken wird nun auch noch mit der ZLB fast der gesamte Erwerbungsetat der öffentlichen Bibliotheken Berlins an Hugendubel und EKZ vergeben. Eine schwere Schädigung der vielen Fachbuchhändler in der Stadt und ein Schlag gegen die Buchkultur in Berlin. Soll dieses quicklebendige geistige Biotop, in dem sich die unterschiedlichsten Interessen und Niveaus mischen, in dem jeder Bücher entdecken kann, die er nicht erwartet hat, demnächst ausgetrocknet werden und auf eine Monokultur ausschließlich populärer, durch Kennzahlen ermittelte Bücher beschränkt werden?“
Nach den Darlegungen von Brendel können Kennzahlen wie etwa Ausleihzahlen zwar Hinweise für die Ausrichtung des Bibliotheksangebots liefern, aber keineswegs hinreichende. Denn vorher müssten die inhaltlichen Ziele, das Profil der Bibliothek, bestimmt werden. Und das seien bei einer gemeinnützigen, steuerfinanzierten Einrichtung wie der ZLB Maßstäbe der Vermittlung von Bildung und Wissen für alle Bevölkerungsschichten als Ergänzung zu den Angeboten, die in den Bezirksbibliotheken vorhanden sind. Wer allein auf hohe Ausleihzahlen setze, verfolge im Grunde ein rein kommerzielles Prinzip wie in Supermärkten, wo es nur auf den maximalen Umsatz pro Quadratmeter ankommt.
GiB befürchtet: Bei der anstehenden Fragestellung geht es nicht nur um die ZLB, sondern um alle öffentlichen Bibliotheken Berlins. Das Privatisierungsmodell könnte an Deutschlands öffentlichen Bibliotheken Schule machen. Offenbar werden auch schon Pflöcke für den künftigen Bibliotheksentwicklungsplan eingeschlagen. Der Chef der Abteilung der Hugendubel Fachinformation, die bereits den größten Teil der Medienbeschaffung in den Berliner Bezirksbibliotheken und der ZLB in der Hand hat, trat persönlich auf.
Der Schriftsteller Ingo Schulze schrieb dem Kulturreferat von GiB: „Ich wünsche mir Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die ihre eigene Kompetenz achten und diese im Sinne des Gemeinwesens auch verantwortlich nutzen dürfen, und Bibliotheksleiter und –leiterinnen, die nicht Hoheitsrechte des Gemeinwesens veruntreuen und an der Selbstabschaffung ihrer Institution und ihres Berufes arbeiten.“
Dazu auch der Blog-Beitrag: Die Privatisierung einer Metropolenbibliothek