Sami Omar ist im Sudan geboren und im süddeutschen Ulm aufgewachsen. Er ist Autor und Moderator und beschäftigt sich mit Migration, Integration und Diskriminierung. Gerade ist „Sami und die liebe Heimat“ erschienen: eine Sammlung seiner Texte.
Wir haben uns mit ihm über sein Aufwachsen als Afrodeutscher in Schwaben unterhalten, über falsche Held_innen gesprochen und darüber, dass manchmal nur noch Pommes helfen.
Kira Ayyadi: Du bist als Sohn eritreischer Eltern im Sudan geboren und als Kind deutscher Eltern im schwäbischen Ulm aufgewachsen. War deine Kindheit anders als die der weißen Kinder?
Sami Omar: Sicher war mein Bedarf an Liebe und Schutz durch meine Familie überdurchschnittlich. Das hat mit meinen aufregenden ersten Lebensjahren zutun. Anders war meine Kindheit in den Dingen und Situationen, in denen ich zum Anderen gemacht wurde. Der einzige Schwarze in meiner Familie zu sein, hat mich nicht fremd gemacht. Es waren die Fragen, der Unglaube, das Befremden, das diese vermeintliche Deplatzierung bei manchen Menschen auslöste. Ich hatte Begriffe für diese Phänomene, bevor ich Worte für sie hatte. Das haben viele fremdgemachte Menschen gemein, denke ich. Manchmal weiß man um die Gewalt, die einem widerfuhr und hat doch keine Worte dafür.
Beim Schreiben darüber löse ich Schmerz und Wut von dem Ereignis und werde so erzählfähig. Nicht weil es jemand fordert, sondern, weil ich es will und anhand dessen gut zeigen kann, welche Mechanismen bei den Verletzungen zum Tragen kamen.
Du schreibst in deinem Buch von Held_innen deiner Kindheit und Jugend, die du wegen schlimmer rassistischer Aussagen streichen musstest, darunter beispielsweise Hanna Ahrendt.
Ich habe nie wirklich mit den Helden gebrochen, die ich in dem Text nenne. Auch Hanna Ahrendt lese ich laienhaft weiter. Mit geht es um die Unmöglichkeit in diesem Spannungsfeld vorbehaltlos Fan zu sein. Meine Emanzipation von ihnen hat mir in gewisser Weise die schwärmerische Leichtigkeit des Unkritischen genommen.
Ich erzähle deshalb davon, weil durch die Sozialisation und Bildung schwarzer Deutscher in Deutschland absurde Situationen entstehen. Ein großer Teil des Bildungskanons geht auf Menschen zurück, die uns für minderwertig hielten. Wir setzen uns mit den Inhalten ihrer Lehre auseinander und mögen daran intellektuell wachsen. Von ihrem Rassismus hören wir aber nicht, weil wir als Rezipienten nie mitgedacht wurden. Heute muss der ethnischen Diversität der Schülerschaft Rechnung getragen werden, indem auch dieser Teil der Lehre thematisiert wird, denke ich.
Eine Untersuchung der UN hat vergangenes Jahr die Situation schwarzer Menschen in Deutschland untersucht und ein vernichtendes Urteil gefällt. So sind sie häufig Opfer rassistischer Diskriminierung durch Klassenkameraden, Lehrer_innen, Arbeitskolleg_innen und erleben strukturelle Diskriminierung durch die Regierung und Strafverfolgungsbehörden. Welche Erfahrungen musstest du machen?
Von vielen Erlebnissen weiß ich gar nichts mehr. Ich trage sie wie subkutane Narben und müsste sie willentlich ertasten, um sie zu beschreiben. Anderes hat mich offensichtlich geprägt. Dass ich mein Deutschsein mit großer Beharrlichkeit gegen Fremdmachungen verteidige, hat zum Beispiel sicher auch mit meinem Grundschullehrer zu tun. Als wir das Lied der Deutschen lernten, sollte ich den Raum verlassen, weil es nicht meine Hymne sei. Diese UN-Studie hatte einen eigenartigen Effekt: Sie schaffte Evidenz für Dinge, deren Zeuge viele Menschen in Deutschland tagtäglich sind. Wir sprechen, berichten und klagen an, was PoC (people of color) und schwarzen Menschen widerfährt. Und doch bedarf es dieser Fürsprache durch die UN. Darüber bin ich froh und betrübt zugleich. Denn man könnte all das wissen, wenn man den Betroffenen mehr Gehör schenkte, statt ihre Berichte häufig als Angriff auf das Selbstbild des Deutschen zu werten, der Rassismus weit von sich weist.
Wird dein „Deutschsein“ heute immer noch hinterfragt?
Aber ja. Mein Deutschsein ist in vieler Menschen Augen eine Selbstverständlichkeit und in vieler anderer eine Anmaßung. Oft höre oder lese ich die fabelhafte Analogie von der Maus, die – nur weil sie im Pferdestall wohnt – noch lange kein Pferd sei. Das zeigt, dass auch Rassisten einen Sinn für Bildhaftigkeit haben. Es zeigt auch, dass das Konzept des Deutschseins noch viel zu oft auf einem Rasse-Konzept fußt und durchwachsen ist von einem Glauben an völkische Homogenität. Das zu widerlegen ist eine Bildungsaufgabe besonders derer, die vermeintlich qua Natur zum Volk gehören. Ich hoffe zum Beispiel darauf, dass die direkte Konfrontation vieler bisher zurückhaltender Parlamentarier mit der AfD im Bundestag eine Auseinandersetzung mit Rassismus erzwingt – auch wenn diese oft nur oberflächlich sein mag.
Du schreibst in deinem Buch, dass das Wort Rasse nach dem Zweiten Weltkrieg quasi durch den Begriff Kultur ersetzt wurde. Wie genau meinst du das?
Der Rasse-Begriff ist in weiten Teilen der Gesellschaft glücklicherweise geächtet. Die Ideologie dahinter ist ja aber noch sehr lebendig. So knüpft sich die Wertigkeit von Menschen eben oft an den Status ihrer Kultur und über diesen gibt es Querverweise zu ihrer Hautfarbe oder Ethnie. Die AfD spricht in ihrem Parteiprogramm davon, dass: „importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und deren Werte damit zutiefst relativiert“ würden. Darin z.B. sehe ich eine gezielte Umgehung des Rassebegriffes bei inhaltlicher Deckungsgleichheit – und eine geradezu lächerliche Auffassung von Geschichtsblindheit.
Wie erklärst du dir, dass auch einige PoCs in der AfD Mitglied sind?
Ich recherchierte zu einem anderen AfD-Thema und stieß auf immer mehr schwarze Menschen und PoC , die in der AfD sind. In weiten Teilen der Partei, denke ich, greift hier das Roberto-Blanko-Alibi. Also das Nutzen einer schwarzen Person in den eigenen Reihen zum Zeichen der Unschuld im Bezug auf Rassismus. Die Gegenfrage lautet ja immer: Wenn ich Rassist bin, wie kann der Schwarze dann mein Freund sein?
Ich behaupte unablässig, dass wir Menschen alle gleich viel wert sind. Ich habe nie behauptet, wir sind alle gleich klug! Anhand dieser PoCs und schwarzen Menschen kann man den Unterschied recht gut sehen. Doch ich glaube an deren Freiheit zur Idiotie. Ihre Anzahl ist gering und so hoffe ich ist auch ihr Einfluss.
Du schreibst, dass auch deine Kinder Rassismus erleben. Wie geht ihr als Familie damit um?
Wir sind stolz auf die Reflektiertheit, mit der sie solchen Situationen begegnen und versuchen offen mit ihnen über Verletzungen zu sprechen. Alle Gefühle der Empörung, Trauer und Gleichgültigkeit kommen vor und sind o.k. Wahr ist auch: Wir werden sie oftmals nicht beschützen können. Aber hoffentlich bleibt ihr zu Hause ihnen ein Ort der Geborgenheit und Reflektion. Wenn nichts hilft, machen wir in der Regel Pommes und Chicken Nuggets.
„Sami und die liebe Heimat“ ist hier erhältlich.