Am Beispiel Argentinien lässt sich so einiges über ein globales System ablesen, das dort in seiner ärgsten Form zu beobachten ist. Nicht nur im Bezug darauf, wie es Menschenrechte und Umweltbelange ignoriert, sondern auch, wie seitens der reichen Industrieländer darüber berichtet wird.
Die Tatsache, dass Argentinien nun von Deutschland als erstes lateinamerikanisches Land die G20 Präsidentschaft übernommen hat und auch gleich Austragungsort der diesjährigen Welthandelskonferenz sein durfte, wird von unseren Medien als „Ritterschlag“ bezeichnet. Präsident Macri wolle das Land „in die Welt zurückführen“. Die europäische Industrie freut sich auf lukrative Deals, die Börsenwelt spekuliert auf steigendes Wirtschaftswachstum und prognostiziert einen Spitzenplatz Argentiniens unter den Aktenmärkten weltweit.
Doch welche „Welt“ ist denn da gemeint? Und was sagen die Menschen dazu? Wer profitiert davon und wer sind die Verlierer? Antworten darauf sucht man in unseren Leitmedien vergebens. Wie auch, stützen sie ja immer noch das irrsinnige Modell des ewigen Wachstums zum Wohle der Reichen, das langsam aber sicher das Leben auf diesem Planeten zerstört.
Dass parallel zur Welthandelskonferenz Anfang Dezember ebenfalls einen große, bunte und antiimperialistische Gegendemonstration in Buenos Aires stattfand, ist eine gute Nachricht und zeigt, dass sich auch in Argentinien gesunder Widerstand als Teil einer weltweit wachsenden Bewegung regt.
Am 12. Dezember, während die Handelsminister bereits tagten, zog ein friedlicher, farbenfroher und engagierter Demonstrationsmarsch mit tausenden von Menschen durchs Zentrum der argentinischen Hauptstadt. Das Aufgebot der Ordnungskräfte dabei war enorm und verursachte durch Absperrungen ein Verkehrschaos. Doch das hielt die Teilnehmer nicht davon ab, gewaltfrei und bestimmt ihre Forderungen kund zu tun.
Die Proteste richteten sich hauptsächlich gegen die Folgen ungebremsten Welthandels, unter denen die wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungsgruppen leiden. „Fuera OMC!“ – „WHO raus!“ stand auf den zahlreichen Schildern. Die Wut richtete sich auch gegen Mauricio Macri und seine Politik, die dem neoliberalen Kapitalismus mit Gewalt Tür und Tor öffnet und dabei massiv gegen Menschenrechte verstößt. Ein Detail, dass von unseren Medien lieber ignoriert wird, um die geplanten millionenschweren Deals nicht zu gefährden.
Ernährungssouveränität ist ein Thema, das nicht mehr nur Lateinamerika, sondern alle, auch die in den an der WHO anderen teilnehmenden Staaten lebenden Menschen angeht. Und so ging es bei der Demonstration auch hauptsächlich um die Verteidigung von Saatgut und gegen dessen Patentierung durch große multinationale Unternehmen. Diese berauben Kleinbauern ihrer Freiheit und machen sie zu kontrollierten Sklaven der Agrarindustrie oder zerstören deren Existenzgrundlage gänzlich. Dazu kommt, dass die teils genmanipulierten Pflanzen nur mehr unter erheblichem Einsatz von Glyphosat und anderen Pestiziden wachsen. Menschen, die in diesem Umfeld arbeiten, erleiden teilweise irreparable gesundheitliche Schäden und sind einem extrem hohen Krebsrisiko ausgesetzt.
Der Journalist Pablo Ernesto Piovano, der durch seine Fotoserie „The Human Cost of Agrotoxins“ über das Leid der Monsanto-Geschädigten bekannt geworden war, wurde bei der Demonstration von der Polizei aus nächster Nähe mit Gummiknüppeln beschossen. Somit stehen auch Meinungs- und Pressefreiheit unter Beschuss.
Aber auch Themen wie der Missbrauch von Daten durch Behörden und die komplett unter politischer Kontrolle stehenden Medien wurden angeprangert. All das ist Teil eines massiven Demokratieabbaus zugunsten von Großindustrie und Welthandel, der zu Hunger und Armut für Milliarden von Menschen auf der Erde führt. Denn die Zerstörung bäuerlicher und kleinunternehmerischer Strukturen im Namen der Globalisierung ist nicht nur in ganz Lateinamerika ein großes Problem.
Organisationen wie La Via Campesina und Nyénéli, die weltweit für die Rechte von Kleinbauern kämpfen, haben das schon seit längerem erkannt und unterstützen die wachsende Bewegung gegen die Agrarindustrie und für Ernährungssouveränität und eine gesunde nachhaltige Landwirtschaft, mit der sehr wohl die Weltbevölkerung ernährt werden kann, vorausgesetzt es geht um die Sache selbst und nicht um Milliardengewinne für Konzerne.
Der Widerstand wächst und ist bereits größer, als die hiesige Presse es zugeben mag. Da nützt es auch nichts, die Berichterstattung von Demonstrationen wie dieser zu unterschlagen, wobei man ausführlich über die Proteste gegen die argentinische Rentenreform und ein kürzlich verlorenes U-Boot berichtete – beides Themen, die sicher wichtig, aber um einiges irrelevanter für den Rest der Welt sind als dieses.
Der Grundtenor, den der bunte Marsch von Buenos Aires transportierte, ist der, dass eine andere Welt möglich ist, eine Welt, in der Menschenrechte gewahrt werden und in der genug für alle zum „Gut Leben“ da ist, dem sogenannten „Buen Vivir“, ohne dass einige Wenige in Luxus versinken und der Rest ein karges Dasein führen muss. Diese gemeinsame Vision vereint in Lateinamerika bereits Millionen von Menschen. Und so nahmen bei der Demonstration auch viele aus verschiedensten Bereichen teil, darunter Frauenbewegungen (bei denen auch Männer dabei sind), indigene Völker, unterdrückte Minderheiten, Genossenschaften, Gewerkschaften sowie zivilgesellschaftliche Gruppen für Sozial- und Umweltschutz, nicht nur aus Argentinien, sondern auch aus Brasilien, Paraguay, Mexiko, Spanien, Indien und Südkorea, die alle gemeinsam unter der Sommersonne von Buenos Aires marschierten.
Wie schon beim G20 Gipfel in Hamburg und der COP23 in Bonn dieses Jahr beobachtet, formierte sich also auch in Argentiniens Hauptstadt gesunder Widerstand anlässlich des Treffens der „Großen“. Ein parallel zur WHO-Konferenz organisierter Völkergipfel wehrt sich gegen den politisch unterstützen Vormarsch transnationaler Konzerne und beginnt langsam, aber sicher, sich zu vernetzen. Jeder einzelne dieser Gegengipfel ist immer auch eine Möglichkeit für Aktivisten und Gegenbewegungen, sich zu treffen, sich auszutauschen, zukünftige Aktionen zu planen und so Kräfte zu bündeln für die gemeinsame Vision einer besseren und gerechteren Zukunft für alle, die im Einklang mit der Natur steht.
In Deutschland bieten sich Anfang des neuen Jahres die nächsten Gelegenheiten dazu in Berlin: Am 20. Januar findet dort die große Demonstration „Wir haben es satt!“ gegen Agrarindustrie und Konzernmacht statt. Kurz darauf, am 24. Januar, findet in der Heinrich-Böll-Stiftung der 1. Fachtag für solidarische Landwirtschaft statt. Pressenza wird darüber berichten.
Fotogalerie: Javier Martínez
Quelle: http://www.pressenza.com/es/2017/12/centro-buenos-aires-se-lleno-antiimperialismo/