Ein Gespräch über die Zukunft der East Side Gallery mit Thomas Rojahn und Joerg Bereths vom Bündnis East Side Gallery retten und der Initiative Monument to Joy und Werner Heck, dem Vorsitzenden im Ausschuss für Kultur und Bildung der BVV Friedrichshain-Kreuzberg für den Stachel.
Stachel: Ihr setzt Euch ja schon länger für die East Side Gallery ein. Weshalb? Was macht die East Side Gallery für Euch zu einem so besonderen Ort, dass ihr Euch da engagiert?
Thomas: Für mich steht die East Side Gallery für die Freude über das friedliche Ende des Kalten Krieges sowie den friedlichen Fall des Eisernen Vorhangs, der bis 1989 die Welt in Ost und West teilte. Nach dem Fall der Mauer gab es berechtigte Hoffnungen für ein friedliches Miteinander in Europa und der Welt. Doch die Strategie des Wandels durch Annäherung bzw. Kooperation statt Konfrontation, hat sich heute wieder ins Gegenteil gewandelt. Daher ist es wichtig, die East Side Gallery für nachfolgende Generationen als Denkmal zu erhalten. Ein Symbol für Völkerverständigung, Freiheit und Frieden.
Jordi: Zunächst war es für mich nur ein Gefühl – ein Bedürfnis oder innerer Zwang, den ich mir nicht recht erklären konnte. Heute ist die East Side Gallery für mich wahrscheinlich das wichtigste Denkmal der neueren Zeitgeschichte, das den Menschen gerade in Zeiten wachsender Unsicherheit, Empörung und Angst wichtige Orientierung bieten kann.
Für Euch ist die East Side Gallery weniger ein Mauerdenkmal als vielmehr ein „Denkmal an die Freude“?
Thomas: Die East Side Gallery soll die Menschen dazu anregen, sich für die Überwindung von Mauern, Völkerverständigung, Freiheit und für den Frieden einzusetzen. Freiheit wird einem nicht geschenkt, für sie muss man immer wieder streiten. Deswegen sollte es kein museales, statisches sondern ein lebendiges Denkmal werden, “Ein lebendiges Denkmal an die Freude“. Schwerpunkt dieser Arbeit, da auch die East Side Gallery als ein Streetart Projekt angelegt wurde, ist die Kunst. Da Kunst in Metaphern sprechen kann, ist sie für mich das ideale Mittel, um den heute eher vernachlässigt wirkenden Ort im Sinne des Leitthemas des Denkmals mit Leben zu erfüllen. Dazu würden wir zum Beispiel gerne Künstler*innen zu Happenings einladen. Hinter der East Side Gallery gibt es viel Platz, den man gut für temporäre Kunst nutzen könnte. Streetart gehört zur East Side Gallery und durch das Aufstellen von Wänden könnte man für diese Art von Kunst einen Freiraum schaffen. Durch das Bereitstellen entsprechender baulicher Open Air- Anlagen wie einem Amphitheater, einer Agora oder ähnlichem ließen sich u.a. Theaterstücke oder musikalische Darbietungen aufführen, Happenings abhalten oder Vorträge zu Themen, die die Galerie verkörpert, durchführen. Ja, es sollte für jede Kunstsparte die Möglichkeit gegeben sein, sich mit Themen wie den Fall von Mauern, Frieden und Freiheit zu beschäftigen …
Wem „gehört“ die East Side Gallery?
Jordi: Wir denken, ideell gehört die East Side Gallery kraft ihrer Symbolkraft schon heute den Menschen, die sich nach dem Fall von Mauern sowie nach elementaren Dingen wie Frieden, selbstbestimmte Freiheit und Demokratie sehnen. Wir meinen auch, dass sich die Menschen die East Side Gallery gerade wegen ihrer Symbolkraft als Symbol nicht wegnehmen lassen dürfen und ihre Zukunft gemeinsam „von unten“ entwickeln sollten. Das ist der Ansatz von East Side Gallery – A Monument to Joy.
Offensichtlich steht die Übernahme bzw. Übertragung der East Side Gallery in die Stiftung Berliner Mauer bevor. Was haltet ihr davon?
Jordi: Wir sehen diese Entwicklung eher mit gemischten Gefühlen. Sicher, die Stiftung Berliner Mauer wäre im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein Garant für den Schutz der baulichen Substanz der East Side Gallery. Problematisch erscheint uns jedoch insbesondere der Umstand, dass die Stiftung Berliner Mauer traditionell eher eine negative Erinnerungskultur pflegt. Ihre Themen sind zum Beispiel die Schrecken der Deutschen Teilung, die Mauertoten, Flucht und Vertreibung. Sicher, auch bei der East Side Gallery handelt es sich um ein Teilstück der ehemaligen Berliner Mauer. Nach unserem Empfinden haben im Jahr 1990 jedoch die 118 internationalen Künstlerinnen und Künstler durch ihr Wirken den ehemaligen Ort des Schreckens in einen Ort positiver Erinnerung transformiert. Und daher plädieren wir dafür, die Zukunft der East Side Gallery anders, nämlich positiv, zu denken. Für uns ist die East Side Gallery ein Symbol der Freude über den friedlichen Fall von Mauern. Es sollte zumindest eine gewisse Eigenständigkeit der East Side Gallery sichergestellt werden. Denkbar wäre es für uns, die East Side Gallery in eine eigene „Unselbständige Stiftung“ zu überführen, die an die Stiftung Berliner Mauer angeschlossen ist.
Für Interessen privater Investor*innen können ganze Stücke aus der Mauer gerissen werden, aber auf der Rückseite macht der Denkmalschutz Schwierigkeiten, wenn künstlerische Interventionen aufgebracht werden sollen, die sich ohne die Substanz der Mauer auch nur anzukratzen, wieder entfernen lassen …
Jordi: Dit is Berlin. Ich erinnere mich an eine Szene aus dem Jahr 2013, als gerade das erste Mauersegment, der Engel, aus der East Side Gallery gebrochen worden war. Neben der noch frischen, klaffenden Lücke heftete Jörg Weber von der Künstlerinitiative gerade ein Protestplakat mit Kreppband an, als er von der Polizei aufgefordert wurde, dieses wieder zu entfernen, weil er dabei sei, ein Denkmal zu zerstören.
Was haltet ihr von der Idee, die East Side Gallery durch einen Zaun zu schützen?
Jordi: Die Idee, die East Side Gallery durch einen Zaun vor Schmierereien zu schützen, stammt von der Künstlerinitiative East Side Gallery. Obwohl die Künstlerinitiative in der Vergangenheit sehr viel für den Erhalt der East Side Gallery geleistet hat, spiegelt sie keinesfalls den Willen aller Künstlerinnen und Künstler wider, die die East Side Gallery im Jahr 1990 geschaffen haben. Uns erscheint es paradox, ein Freiheitsdenkmal, das für den friedlichen Fall von Mauern steht, durch eine neuerliche Mauer in Form eines Zauns vor den Bürgerinnen und Bürgern schützen zu wollen.
Was erwartet ihr vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, was vom Berliner Senat?
Jordi: Entsprechend des erfolgreichen Bürgerentscheids „Spreeufer für Alle!“ erwarten wir von beiden, dass sie dieses Votum nicht weiterhin ignorieren und kooperativ zusammenarbeiten, um vereint und aufrichtig den nach wie vor drohenden Hotelneubau „Waterfront Living“ von Investor Alon Mekel, der das Denkmal East Side Gallery endgültig zerstören würde, abzuwenden und den ehemaligen Todesstreifen in eine Grünfläche umwidmen. Ganz wie es im aktuellen Koalitionsvertrag vereinbart wurde.
Darüber hinaus wünschen wir uns eine kooperative Zusammenarbeit, die die Vision von einem „Lebendigen Denkmal an die Freude – East Side Gallery“ als ein Denkmal „von unten“ Wirklichkeit werden lässt, wie er in unserem „Denkanstoß für das Konzept eines lebendigen Denkmals an die Freude – East Side Gallery“ angerissen ist. Hierzu möchten wir den Bezirk, den Senat und insbesondere alle engagierten Berlinerinnen und Berliner herzlich einladen …
Was erwartet ihr von dem geplanten Hearing zur Zukunft der East Side Gallery?
Thomas: Den entscheidenden Impuls für ein „lebendiges Denkmal an die Freude – East Side Gallery“.
Was würdet ihr machen, wenn Euch die East Side Gallery und das Gelände auf dem sie steht, übertragen würde?
Jordi: Eine wunderbare Frage. Im Rahmen unserer Möglichkeiten würden wir natürlich primär dafür sorgen, die Bilder sowie die Substanz der Galerie zu erhalten. Auch würden wir uns dafür einsetzen, die ursprüngliche Geschlossenheit der Galerie wiederherzustellen, damit alle Bilder wieder an ihren originären Stammplatz zurückkehren können und auch „Living Levels“ wieder verschwindet. Die Menschen sollen einfach wieder selbst erfahren können, was es heißt, in einen „geteilten Himmel“ blicken zu müssen, um sich der Bedeutung von Frieden, Freiheit und Demokratie für unsere Welt stets aufs Neue bewusst zu werden. Und schließlich würden wir im Rahmen eines größer angelegten, dauerhaften Dialogs versuchen, das Areal des ehemaligen Todesstreifens hinter der East Side Gallery im Sinne unseres „Denkanstoßes für das Konzept eines lebendigen Denkmals an die Freude – East Side Gallery“ mit Leben zu erfüllen.
von Werner Heck erschienen am 28.08.2017 im Xhain-Stachel
Mehr dazu unter:
https://monument-to-joy.org
https://www.pressenza.com/…/east-side-gallery-soll-ein-lebendiges-denk-mal- der-freude-werden/