Katalonien ist auf das umstrittene Referendum an diesem Sonntag vorbereitet. In einer Pressekonferenz haben am Freitag Minister der katalanischen Regierung erklärt, dass alles für das Referendum bereit stehe. Mehr als fünf Millionen wahlberechtigte Katalanen und Katalaninnen sind aufgerufen, in den mehr als 2315 Wahllokalen in Katalonien von 9 bis 20 Uhr ihre Stimme abzugeben. Regierungssprecher Jordi Turull bestätigte, dass „wer will, kann am Sonntag abstimmen“.
Nach einer kurz vor dem Referendum veröffentlichten Umfrage in der Zeitung eldiario.es wird eine Beteiligung von 63 Prozent erwartet mit 600.000 Wählern, die sich erst auf Grund der Repressionen der spanischen Regierung für eine Teilnahme entschieden haben.
Das wochenlange Katz und Maus-Spiel zwischen der spanischen und katalanischen Regierung um die Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums tritt in die Endphase. Noch am Donnerstagnachmittag hatte die spanische Guardia Civil 2.5 Millionen Stimmzettel in Igualada, im Inland von Katalonien, beschlagnahmt und beschützte tausende Wahlurnen, die für reguläre Wahlen verwendet werden. Am Freitagmorgen, 48 Stunden vor dem Referendum, stellte die katalanische Regierung die Wahlurnen für das Referendum auf einer Pressekonferenz vor. Es handelt sich um handliche weiße Plastikbehälter mit orangen Verschlussbändern, die das Logo der Regierung von Katalonien tragen. Zudem wurde versichert, dass genügend Wahlzettel und Briefumschläge ausliegen würden. Die Bürger könnte friedlich und ruhig am Sonntag abstimmen, versichert die Regierung Kataloniens.
Die spanische Regierung hat in Vorbereitung auf den 1. Oktober schweres Geschütz aufgefahren: mehrere tausend Guardia Civil und Polizisten sollen sich auf großen Passagierschiffen in den Häfen von Barcelona und Tarragona bereithalten, auch im Landesinneren wie in Lleida ist eine höhere Präsenz der paramilitärischen Guardia Civil zu beobachten. Das Hohe Gericht in Katalonien hat der lokalen Polizei, den Mossos d’Esquadra, angeordnet, sämtliche Wahllokale zu verriegeln und zu bewachen.
Dabei ist die Frage, wie sich die 17.000 Mann starke katalanische Polizei am Sonntag verhalten wird, noch unklar. Das spanische Innenministerium hat mehrmals in dieser Woche versucht, die Mossos d’Esquadra unter sein Kommando zu stellen. Die katalanische Regierung, der katalanische Innenminister und Polizeichef Josep Lluis Trapero stemmen sich dagegen: die Mossos seien den katalanischen Bürgern verpflichtet und in jedem Fall würden sie wenn dann den „normalen Verlauf des öffentlichen Lebens“ garantieren. In einem Tweet schrieb Innenminister Joaquin Forn „Keiner soll sich irren, die Mossos verteidigen die katalanischen Bürger“. Am Freitagnachmittag hat Trapero seine Polizisten in einem internen Schreiben darauf hingewiesen, dass in keinem Fall Gewalt während des Referendums einzusetzen sei. Es bleibt also abzuwarten, wie die Mossos am Sonntag tatsächlich die Menschen davon abhalten werden, in die Wahllokale zu strömen. Die für die Gegenoffensive verantwortliche Richterin Mercedes Armas hatte allerdings verfügt, dass im Fall eines Nichteinschreitens der katalanischen Polizei andere Sicherheitskräfte übernehmen würden.
Wie genau die Wahlurnen in die Wahllokale gelangen sollen und ein geordneter Aufbau der Wahllokale erfolgen kann, ist auch abzuwarten. Zudem wurde am Freitagnachmittag bekannt, dass die Richterin angeordnet hatte, die App, mit der jeder Wähler sein Wahllokal herausfinden konnte, stillzulegen. Die Guardia Civil soll mehrere Stunden in den Büroräumen von Google in Barcelona Mitarbeiter festgehalten haben. Auch die spanische Datenschutzorganisation meldete sich am Freitag zu Wort und warnte die Wahlhelfer, dass sie mit Bußgeldern von bis zu 300.000 Euro rechnen müssten, woraufhin die Katalanische Datenschutzorganisation antwortete, dass in jedem Fall sie die Verantwortung tragen würde und nicht die Wahlhelfer.
In der Zwischenzeit hält die Mobilisierung der Zivilbevölkerung in ganz Katalonien an. Tausende von Studenten demonstrierten in den letzten Tagen auf den Straßen, der Verband der Feuerwehrmänner Kataloniens war ebenfalls aufmarschiert. Große Traktorkolonnen des katalanischen Bauernverbands zogen am Freitag durch Barcelona und Tarragona und blockierten den Verkehr vor den spanischen Delegationen, um ihre Unterstützung für das Referendum zu zeigen. Lehrer und Direktoren organisieren über das Wochenende Aktivitäten, um die Zentren offen zu halten, die als Wahllokale dienen sollen.
Zahlreiche Organisationen und Institutionen haben Manifeste in Unterstützung für das Referendum unterzeichnet. Die Bürgerinitiativen für die Unabhängigkeit wie die Katalanische Nationalversammlung und Omnium Cultural haben alle Wähler zur Friedfertigkeit aufgerufen, egal was passiere. Es werden auch professionelle Wahlbeobachter und der Verein zur Verteidigung der Bürgerrechte (Sindicat de Greuges) vor Ort sein, um die Einhaltung von Grundrechten während der Abstimmung zu dokumentieren. Erst am Donnerstag hatten internationale UN-Experten die spanische Regierung wegen ihres Eingreifens in Grundrechte wie die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht kritisiert. Internationale Parlamentarier aus 17 Ländern sind ebenfalls in Katalonien, um sich ein Bild vom Ablauf des Referendums zu machen.
Was auch immer am Sonntag geschieht, das Katz- und Maus Spiel um das Referendum wird beendet sein, aber nicht der Konflikt. Die meisten Experten haben ihr Augenmerk bereits auf den 2. Oktober gerichtet und die Zeit danach, genauso wie die spanische Regierung, die sämtlichen Urlaub der Militärpolizei bis zum 5. Oktober und „solange wie nötig“ laut Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal ausgesetzt hat. Zudem sind bereits zahlreiche Strafanzeigen gegen die Hauptakteure der Unabhängigkeitsbewegung erhoben worden, die nach dem Referendum ausgerollt werden dürften. Die Unabhängigkeitsbefürworter stellen sich ihrerseits auf mehrere Wochen permanente Mobilisierung ein, um das Resultat vom 1. Oktober zu verteidigen. Nach dem im Parlament verabschiedeten Plan müsste bei mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen innerhalb von 48 Stunden nach der Auszählung die Unabhängigkeit erklärt werden.
Der katalanische Außenminister, Raul Romeva, hatte am Freitag erneut die Bereitschaft der katalanischen Regierung zum Dialog unterstrichen, allerdings war das einzige aktuelle Angebot seitens der spanischen Regierung eine Geste des Wirtschaftsminister, Luis de Guindós: Wenn man von dem illegalen Referendum ablasse, stelle er eine Diskussion des sogenannten Fiskalpakts in Aussicht, den der ehemalige Ministerpräsident Kataloniens, Artur Mas, schon 2012 verhandeln wollte – ohne Erfolg.
Für die Menschen in Katalonien, die am Sonntag zu den Wahllokalen gehen werden, ist es keine Option mehr, in diesem Kräfteverhältnis zu existieren. Die spanische Regierung hat alle Chancen verpasst, um Brücken zu bauen. Erst wenn die Katalanen ihr Recht auf Entscheidung ausüben können und das Resultat akzeptiert wird, gibt es eine Chance auf einen gemeinsamen Neuanfang mit Madrid durch Dialog auf Augenhöhe. In der aktuellen Lage bleibt allerdings sehr zu bezweifeln, dass dies ohne internationale Vermittlung überhaupt möglich ist.
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