Nach dem terroristischen Anschlag des 17. August in Barcelona und Cambrils demonstrierten am vergangenen Samstag, 26. August, in Barcelona rund eine halbe Million Menschen unter dem Motto „Wir haben keine Angst“ („katalanisch: „No tenim por“). Doch diese Demonstration war anders, gekennzeichnet von Aktionen, Forderungen und einer Besonderheit, die weit über das Geschehene hinausgehen.
Die Proteste richteten sich hauptsächlich gegen eine Politik der Kriegspropaganda, die den Nährboden für terroristische Anschläge darstellt. Und sie haben es geschafft, das zu überwinden, was leicht zu einer islamophoben Haltung, zu einem Angriff auf eine ganze Religion, eine Kultur oder ein Land hätte werden können. Aber in diese Falle ist die katalanische Gesellschaft nicht getappt: die Schuld liegt nicht bei einer Religion, sondern vielmehr bei einer Politik zu Gunsten der Militärindustrie, die in direktem Zusammenhang mit der Globalisierung von Angst steht. Die Informationen, die unter den Teilnehmern zirkulierten, klagten Persönlichkeiten wie König Felipe VI an, Waffen nach Saudi-Arabien zu liefern.
Während der Demonstration, die entlang des Passeig de Gracia und auf der Plaza Catalunya stattfand, wurden die Vertreter der Königsfamilie und einige der teilnehmenden Politiker ausgepfiffen. Der starke Widerstand gegen die Präsenz des Königs stellte die treibende Kraft hinter den 170 Vereinigungen, Menschenrechtsorganisationen und Befürwortern der Unabhängigkeit Katalonien dar, die an der Veranstaltung teilnahmen und die sich aber bereits eine Stunde zuvor getroffen hatten, um in blauen T-Shirts unter dem Motto „Eure Politik, unsere Toten“ zu demonstrieren.
Neben den Aufrufen, Terror und Angst zurückzuweisen und jeden Menschen ohne Unterscheidung nach Glauben zu verteidigen, gab es zahlreiche Gesten der Solidarität mit der muslimischen Gemeinde sowie Dank und Unterstützung für alle, die unmittelbar nach den Anschlägen Dienstleistungen und Hilfe, oft genug ohne Entlohnung, angeboten hatten.
Es war eine besondere Demonstration, anders als vorherige. Tausende von gelben und roten Rosen wurden an die Teilnehmer verteilt, um sie als Symbol der Dankbarkeit weiter zu verschenken, denn der Protest und die Forderungen waren nicht die einzigen Motivationen für den Umzug. Es wurde gezeigt, dass menschliche Gesten wie Umarmungen, Danksagungen und das Ausdrücken der eigenen Emotionen alle kulturellen Unterschiede überwinden können. Die Protagonisten des Samstag waren nicht die Politiker, sondern die Menschen.
Zehn Tage nach den Anschlägen reagiert die katalanische Gesellschaft in unvorhersehbarer Weise: die Liebe hat den Hass überflügelt. Die Opfer waren nicht nur die, die durch den Lastwagen niedergemäht wurden, sondern auch die Attentäter selber (wir könnten auch sagen Mörder), die – ob noch lebend oder tot – die Konsequenz einer irrationalen Gesellschaft sind. „Wir haben 8 junge Männer an Ripoll verloren“ sagte einer der Anwohner. Er konnte nicht glauben, dass diese jungen Männer, alle zwischen 17 und 20 Jahren alt, eine solche Grausamkeit hatten begehen können. Wir wollen das an dieser Stelle nicht vertiefen, aber es sei zumindest gesagt, dass diese jungen Männer, diese Mörder, das Recht haben, wie jeder andere Mensch auch von einem Gesetz beurteilt zu werden, das nicht auf Rache und Bestrafung basiert, sondern auf Integration. Aber sie sind nicht mehr hier und somit ist das auch nicht mehr möglich.
Es war eine besondere Veranstaltung, auch weil die Sicherheitskräfte zuvor von allen, die „Nein zur Angst“ sagen, aufs heftigste verurteilt worden waren, und die aber jetzt in dieser emotionalen und menschlichen Atmosphäre zu Komplizen der Bürger wurden, zu Helden, denen gedankt wurde, die umarmt wurden und für die applaudiert wurde.
Wenn wir aus all dem etwas mitnehmen, auch um zu verstehen, in welche Richtung die Geschehnisse und die Reaktionen der Bürger gehen werden, dann ist es das Bewusstsein seitens der katalanischen Gesellschaft, dass Muslime nicht die Ursache sind. Wir werden uns durch die von Waffenhändlern und Kriegstreibern verbreitete Angst nicht zum Schweigen bringen lassen. Wir haben es laut und deutlich gerufen: „Wir haben keine Angst!“
Übersetzung von Evelyn Rottengatter