Eine Stellungnahme des Kampagnenrats der Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“
Mit Besorgnis beobachten Friedensaktivist*innen in Deutschland die jüngste Entwicklung in Syrien. Wenn nicht entschieden politisch gegengesteuert wird, befürchten sie die militärische Eskalation im Land bis hin zur direkten Konfrontation der Stellvertretermächte USA und NATO mit Russland und dem Iran, die ihre Einflusssphären in der Region unter allen Umständen sichern wollen.
Anfang letzter Woche überschlugen sich die Ereignisse in Syrien: Die US-amerikanischen Streitkräfte schossen ein syrisches Militärflugzeug über syrischem Boden ab. Die USA meldeten, der syrische Kampfjet habe mit den USA verbündete oppositionelle Gruppen bombardiert. Die syrische Regierung wies diese Anschuldigung zurück und erklärte, das Militärflugzeug sei im Einsatz gegen den sog. Islamischen Staat (IS) gewesen. Russland sprach von einem „Akt der Aggression“, kündigte den gemeinsamen Kommunikationskanal mit den USA auf und drohte damit, Flugzeuge der US-geführten Anti-IS-Koalition westlich des Euphrats nun als potentielle Ziele zu betrachten. Australien setzte daraufhin seine aktiven Kampfhandlungen für einige Tage aus, andere Regierungen und Militärführungen reagierten ebenfalls, schlugen sich entweder auf die eine (syrisch-russisch-iranische) oder andere (NATO-amerikanische) Seite. Wahlweise wurde entweder der amerikanische Luftschlag verurteilt oder die syrisch-russische Reaktion darauf. Die deutsche Regierung hielt explizit an ihrem militärischen Einsatz in Syrien fest.
Das Muster bei solchen Vorfällen ist immer ähnlich: Alle Akteure beanspruchen die Wahrheit für sich. Alle weisen die Darstellungen der jeweils anderen zurück. Alle drohen; manche direkt, manche indirekt. Die Medien sprechen von „zunehmenden Spannungen“, „drohender Eskalation“ oder „zugespitzten Lagen“. Militärs und Staatsoberhäupter ziehen „rote Linien“ – bis hierhin und nicht weiter! – – – Was aber, wenn es doch weitergeht? Wenn eine Partei diese Linien übertritt? Oder wenn gleich mehrere es tun? Wenn in einer mittlerweile kaum noch zu überschauenden Gemengelage von Akteuren mit mehr als 20 Staaten und mehr als 200 bewaffneten Gruppierungen ein falscher Schuss abgefeuert, ein falsches Ziel identifiziert wird?
Eine besondere Gefährdung liegt in der drohenden Option einer geostrategischen Aufteilung Syriens zwischen der Allianz Assad/Russland/Iran und der USA und ihrer Alliierten nach einer Eindämmung des IS. Trotz aller gegenwärtigen Unklarheiten einer US-Strategie in Syrien ist nicht mit einem Exit der USA zu rechnen, sondern eher mit einem Wechsel zu einer Besetzung von Teilen Syriens, um sich der Einflussnahme des Iran weiterhin entgegen zu stellen und wichtige Ressourcen zu kontrollieren. Russlands strategisches Interesse scheint in der Sicherung der staatlichen Souveränität Gesamt-Syriens zu liegen. Damit droht möglicherweise alsbald eine direkte militärische Konfrontation der externen Kriegsbeteiligten und ihrer Stellvertreter auf syrischem Boden und weiterhin in der Luft. Die Auswirkungen könnten weit über die Region hinausgehen.
Nur eine Rückkehr zu zivilen, diplomatischen und politischen Lösungswegen kann in einer solchen Lage zur Entspannung zwischen den Konfliktparteien beitragen und eine weitere Eskalation verhindern. Nur gewaltfrei kann nachhaltiger Frieden entstehen. Deshalb fordern wir seit langem und jetzt wieder: ein Ende des militärischen Kampfes gegen den Terror. Einen sofortigen und allseitigen Waffenstillstand. Einen Stopp von Waffenlieferungen in die Region. Und einen Rückzug der intervenierenden ausländischen Truppen aus der Region.
Für uns heißt das in allererster Linie: Einen Abzug der Bundeswehr. Als Zeichen dafür, dass sich deutsche Politik der militärischen Eskalationsspirale verweigert. Als ernsthaftes Bekenntnis zu zivilen Lösungen für Syrien. Und als Beitrag dazu, dass der Stellvertreterkonflikt, der – zusätzlich zu allen anderen innersyrischen Konflikten – auf dem Rücken der syrischen Bevölkerung ausgetragen wird, endlich ein Ende findet.
Dies scheint allerdings noch in weiter Ferne: Gerade erst bekräftigte der Deutsche Bundestag die Fortführung des Bundeswehreinsatzes in Syrien und beschloss, die Truppen vom türkischen Incirlik nach Jordanien zu verlegen. Und am Tag nach dem Abschuss des syrischen Kampfjets schossen die Amerikaner eine iranische Drohne ab. Der militärische Kampf bleibt weiterhin das alles dominierende Mittel der Wahl. Und die Eskalationsspirale dreht sich weiter und weiter.
Die zivilgesellschaftliche Kampagne „MACHT FRIEDEN. Zivile Lösungen für Syrien“ wird weiterhin die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik betonen: weg von der kurzsichtigen, destruktiven Politik militärischer Auslandseinsätze – hin zu einer konstruktiven, zivilen, partnerschaftlichen Ausrichtung. Dazu fordert sie von allen Abgeordneten des Deutschen Bundestags eine Nicht-Verlängerung des Bundeswehrmandats für Syrien, die Stärkung des Friedensprozesses unter UN-Verantwortung und unter Einbeziehung der syrischen Zivilgesellschaft, eine deutliche Aufstockung der humanitären Hilfe für Syrien sowie den finanziellen und strukturellen Ausbau der Zivilen Konfliktbearbeitung.
Zu den Hintergründen:
Medienberichte über den Abschuss des syrischen Kampfjets und die internationalen Reaktionen darauf:
- https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-usa-russland-107.html
- https://www.welt.de/politik/ausland/article165675281/US-Streitkraefte-schiessen-syrische-Maschine-ab.html
- http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-usa-schiessen-syrischen-kampfjet-bei-rakka-ab-a-1152812.html
Bundespressekonferenz vom 21.06.2017 mit Fragen zum Abschuss des syrischen Kampfjets:
- https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/06/2017-06-21-regpk.html
Medienberichte über den Abschuss der iranischen Drohne und die internationalen Reaktionen darauf: