Wenn auf den Titelseiten mal wieder darüber berichtet wird, was Lagarde zu Merkel gesagt hat oder was Schäuble ihr gesagt hat, ist die größte Gefahr, dass wir die Ursache der “Griechenlandrettung” vergessen.

Was die Ursache war? Der Bankrott französischer und deutscher Banken im Jahre 2009.

Wolfgang Schäuble

Bundeskanzlerin Merkel war außer sich, als ihr Anfang 2009 mitgeteilt wurde, dass sie innerhalb von 24 Stunden mehr als 400 Mrd. Euro für die deutschen Banken beschaffen musste, damit die Geldautomaten den Betrieb fortsetzen können.

Der Grund? Die Banken hatten viel zu viele ihrer Wetten auf Schulden-Derivate der Wall Street verpatzt. Für die konservative und „sparsame“ Frau Merkel handelte es sich um den politischen Selbstmord schlechthin. „Wenigstens ist das Thema erledigt“, muss sie sich gedacht haben. Doch es war nicht erledigt.

Wenige Monate später wurde mit weiteren Telefonsalven ein ähnlich hoher Milliardenbetrag für die gleichen Banken gefordert. Der Grund? Sie hatten 477 Mrd. Euro an Staaten der europäischen Peripherie geliehen, davon 102 Mrd. an Griechenland, das nun nicht in der Lage war, zurückzuzahlen.

Zu dieser Zeit hatte Herr Schäuble gerade das Amt des Bundesfinanzministers übernommen. Prompt erhielt er die ausdrückliche Anweisung von Frau Merkel: „Finden Sie eine Lösung, durch die ich nicht dazu gezwungen bin, vor das Parlament treten zu müssen, um nach weiteren hunderten Milliarden für unsere Banken zu verlangen“.

Wie ebenso zu dieser Zeit Jean-Claude Juncker, damals Premierminister Luxemburgs und Vorsitzender der Euro-Gruppe, später Präsident der Europäischen Kommission, sagte: “Wenn es ernst wird, muss man lügen”.

Die Lüge, für die Herr Schäuble sich nach Absprache mit seiner französischen Amtskollegin Christine Lagarde entschied, war, dass der griechische Memorandums-Kredit, dessen Zweck die Rettung ihrer Banken war, eine Geste der Solidarität mit… den Griechen sei, die, obwohl unwürdig und unerträglich, noch Mitglieder der europäischen Familie seien und… gerettet werden müssten.

Christine Lagarde

Als der griechische Staat Ende 2009 nicht mehr in der Lage war seine Schulden zu bedienen, sahen sich drei französische Banken mit einem möglichen Verlust durch Schulden der Peripherie konfrontiert, die in ihrer Höhe das Doppelte der französischen Wirtschaft übertrafen.

In der Tat offenbaren die Zahlen der „Internationalen“ der Zentralbanken, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (Bank of International Settlements), ein wirklich erschreckendes Bild: diese drei französischen Banken hatten so viel Geld verliehen und in Wetten investiert, dass sobald nur 3 % ihrer offenen Forderungen „errötet“ wären (z.B. durch Bankrott einiger Kreditnehmer und deren daraus hervorgehendem Unvermögen, diese 3 % der offenen Forderungen abzuzahlen), eine Rettung durch die französische Regierung erforderlich gewesen wäre.

Ausgedrückt in Euro bedeutete das etwas Einfaches: wenn 106 Mrd. Euro der Kredite an die Regierungen der Peripherie, an Haushalte und Unternehmen, nicht abbezahlt worden wären, hätte der (finanzwirtschaftlich) bereits ohnehin unter Druck stehende französische Staat die großen französischen Banken retten müssen.

Allein die Kredite dieser drei französischen Banken an die Regierungen Italiens, Spaniens und Portugals entsprachen 34 % der französischen Wirtschaft – 627 Mrd. Euro um genau zu sein. Darüber hinaus hatten diese Banken in den Jahren zuvor Kredite in Höhe von 102 Mrd. Euro an den griechischen Staat vergeben.

Durch einen griechischen Zahlungsausfall wären die Regierungen Italiens, Spaniens und Portugals nicht mehr in der Lage gewesen, ihre Schulden, die sich auf insgesamt etwa 1,76 Bio. Euro beliefen, zu erschwinglichen Zinssätzen zu refinanzieren und sie hätten Schwierigkeiten bekommen, ihre Kredite bei den drei größten französischen Banken zu bedienen. Über Nacht hätten sich die wichtigsten französischen Banken mit dem Verlust von 19 % ihrer „Aktiva“ konfrontiert gesehen, während ein Verlust in der Größenordnung von 3 % bereits für die Zahlungsunfähigkeit ausgereicht hätte.

In diesem Fall hätte die französische Regierung, ebenfalls über Nacht, nicht mehr und nicht weniger als 562 Mrd. Euro gebraucht, um diese Lücke zu schließen. Allerdings hatte Frankreich, im Gegensatz zur Bundesregierung der Vereinigten Staaten, die solche Verluste auf ihre Zentralbank (die FED) übertragen kann, die eigene Zentralbank im Jahr 2000 aufgelöst, um die Gemeinschaftswährung zu übernehmen und war nun gezwungen, sich auf die Güte der gemeinsamen europäischen Zentralbank zu verlassen, der Europäischen Zentralbank.

Jedoch war die EZB leider unter dem ausdrücklichen Verbot jedweder Übernahme schlechter griechischer oder italienischer Schulden gegründet worden, ganz gleich ob öffentliche oder private. Punkt. Das war Deutschlands Bedingung dafür, seine geliebte Mark in Euro umzubenennen, um sie mit jedem Hinz und Kunz Europas zu teilen.

Das ist der Grund für die Panik, die die französische Finanzministerin Christine Lagarde ergriff. Sie wurde ersucht, mit einem Taschenspielertrick 562 Mrd. Euro aufzutreiben.

Das ist auch der Grund dafür, dass sich der damalige Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, der seinen Posten dazu nutzen wollte, um zwei Jahre später für das Amt des Staatspräsidenten Frankreichs zu kandidieren, mit Frau Lagarde verbündete, sodass ein Rettungspaket für die französischen Banken gesichert wird. Andernfalls wären die 1,29 Bio. Euro Schulden der französischen Regierung innerhalb von Sekunden „errötet“ und der Euro hätte aufgehört zu existieren.

Lagarde und Schäuble

Um das Problem mit den französischen und deutschen Banken zu überwinden, planten also Lagarde und Schäuble gemeinsam, mit loyaler Unterstützung durch Strauss-Kahn, die Beleihung des griechischen Staates mit einem gigantischen Betrag, mit dem die französischen und deutschen Banken ausbezahlt werden sollten.

Darüber hinaus sollte der Großteil der Kredite aus Europa nicht aus den Kassen der EU selbst kommen, sondern in Form einer Reihe von bilateralen Krediten, d.h. von Deutschland an Griechenland, von Irland an Griechenland, von Slowenien an Griechenland usw., und zwar so, dass die Höhe jedes bilateralen Kredits der Wirtschaftskraft des jeweiligen Kreditgebers entspricht – eine merkwürdige Umsetzung von Karl Marx’ Grundsatz: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“.

Von 1.000 Euro also, die an Athen gegeben werden sollten, um letztlich an die französischen und deutschen Banken weitergegeben zu werden, bürgte Deutschland für 270 und Frankreich für 200, während die kleineren und wirtschaftlich schwächeren Staaten die Bürgschaft für die übrigen 530 Euro übernahmen.[1]

Das war das Schöne an der „Rettung“ Griechenlands, zumindest aus der Sicht Frankreichs und Deutschlands: Die größte Last für die Rettung der französischen und deutschen Banken wurde auf die Schultern von Steuerzahlern aus Ländern abgelegt, die noch ärmer als Griechenland waren, wie z.B. Portugal und die Slowakei.

So in etwa kam es, dass die Ärmsten Europas uns Griechen „hassten“, während uns der reiche Norden beschimpfte. So in etwa kam es, dass Europäer sich wegen französischer und deutscher Banker gegeneinander wendeten.

Operation „Abstoßung“

Als die Rettungskredite im griechischen Finanzministerium zusammengeflossen waren, begann die Operation „Abstoßung“. Bereits Oktober 2011 hatte sich die Exposition deutscher Banken in griechischen Staatsschulden eindrucksvoll von 91,4 Mrd. Euro auf 27,8 Mrd. verringert. Fünf Monate später, im März 2012, war sie auf unter 795 Mio. gefallen.

In der Zwischenzeit stießen französische Banken noch schneller ab: im September 2011 waren 63,6 Mrd. Euro von griechischen Staatsanleihen befreit und im Dezember 2012 waren ihre Bücher letztlich von solchen Staatsanleihen „gesäubert“. Die gesamte Operation war also in weniger als zwei Jahren abgeschlossen. Das war der wahre Grund für die griechische „Rettung“.

Epilog

Waren Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble so naiv zu hoffen, dass der bankrotte griechische Staat dieses Geld zurückzahlen würde und das sogar mit Zinsen? Natürlich nicht. Sie machten sich da keine Illusionen.

Sie wussten, dass das, was sie taten, nichts anderes war als eine zynische Übertragung von Verlusten aus den Büchern französischer und deutscher Banken auf die Schultern der schwächsten Steuerzahler Europas. Sie wussten und wissen, dass es einen Schuldenschnitt für Griechenland geben wird.

Allerdings wäre der Schuldenschnitt gleichbedeutend mit einem Eingeständnis gegenüber Verwaltungsgremien und Parlamenten, dass sie jahrelang gelogen haben. Daher werden sie den Schuldenschnitt „so lange sie können“ verweigern, wobei jede Verzögerung zur Verödung Griechenlands beiträgt.

Wie lange die Dauer von „so lange sie können“ ist? Solange wir Griechen diese Wische unterschreiben, die man uns in der Euro-Gruppe vorlegt und damit im Wesentlichen die Verödung unseres Landes mitunterschreiben.

Gibt es einen anderen Weg für Griechenland? Ja. DiEM25 schlägt Konstruktiven Ungehorsam in Form des “Greek New Deal” vor.

Artikel von Yanis Varoufakis, Original erschienen auf Griechisch in EfSyn. Übersetzung aus dem Griechischen von Ilias Grigoriadis.


[1] Diese Zahlen spiegeln die Tatsache wider, dass Deutschland ca. 27 Prozent des Gesamteinkommens der Eurozone repräsentierte, Frankreich ca. 20 Prozent usw.

Der Originalartikel kann hier besucht werden