Spaniens Ministerpräsident Rajoy musste vor Gericht als Zeuge in einem der größten Korruptionsfälle des Landes als Zeuge auszusagen. Wer hoffte, er würde zur Aufklärung des Falles beitragen, wurde enttäuscht.
Im wohl größten Korruptionsfall der spanischen Demokratie musste Ministerpräsident Mariano Rajoy in Madrid als Zeuge vor Gericht aussagen. Sein Auftritt wurde zu einer Inszenierung von Amt und Person.
Im sogenannten Fall Gürtel stehen zahlreiche Unternehmer und politische Akteure der aktuellen Regierungspartei Partido Popular (PP) aus der Region Madrid und Valencia im Zentrum des Verfahrens.
Die Liste der Vorwürfe reicht von Vorteilsgewährung, Bestechung, Betrug, Unterschlagung, Urkundenfälschung, Geldwäsche bis hin zur Steuerhinterziehung.
Eine zentrale Rolle spielt der Hauptbeschuldigte Luís Bárcenas. Dem ehemaligen Schatzmeister der PP wird unter anderem vorgeworfen über 48 Millionen Euro vor der Steuerbehörde auf Schweizer Banken versteckt und Schwarzgeld an Mitglieder der Regierungspartei gezahlt zu haben – auch an Rajoy.
Der wurde nun als Zeuge befragt. Im Vorfeld hatte Rajoy mit allen möglichen Ausreden versucht, sich vor dem Auftritt vor Gericht zu drücken. Mal hieß es, sein Terminkalender sei voll, mal wolle er der Allgemeinheit die Kosten für die Fahrt von seinem Amtssitz zum Gerichtsgebäude ersparen und lieber per Videoschaltung seine Aussage machen. Genutzt hat es ihm nichts. Der öffentliche und politische Druck war offenbar zu groß und der Ministerpräsident musste persönlich vor Gericht erscheinen – ein einmaliger Vorgang.
Die deutschen Medien berichteten über das Verfahren und Rajoys Aussage, und konzentrierten sich auf das Offensichtliche. In der Berichterstattung wurde ein Detail nicht deutlich: Der Auftritt von Ministerpräsident Mariano Rajoy war keine ernst zu nehmende juristische Aufarbeitung des Korruptionsfalls, sondern eine Inszenierung der eigenen Person und der Macht des Amtes.
Mariano Rajoy ist kein Zeuge wie jeder andere
Der Eintritt ins Gericht durch den Haupteingang und vorbei an Schaulustigen und vor allem den Medienvertretern blieb Rajoy erspart. Er wurde zur und nach der Befragung unspektakulär durch den Hinterausgang des Gerichtsgebäudes geschleust. Journalisten hatten somit keine Chance, ihm eventuell unangenehme Fragen zu seiner Rolle in dem Korruptionsskandal, der in den spanischen Medien als „Caso Gürtel“ bezeichnet wird, zu stellen.
Ein Kuriosum war schon der Sitzplatz Rajoys im Gerichtssaal. Jeder Bürger, der in Spanien vor Gericht erscheint, sitzt normalerweise dem Gericht zugewandt vor dem Richterpult – und blickt nach oben.
Rajoy nicht. Ihm wurde ein Platz zugewiesen, der sonst nur Anwälten zusteht – mit Blick zum Publikum und auf einem erhöhten Podest: auf Augenhöhe mit den Richtern.
Kein Wunder also, dass ein Vertreter der Nebenklage gleich zu Beginn der Befragung (im Video ab 0:00-0:30) seinen Protest wegen der bevorzugten Behandlung Rajoys hervorbrachte.
Der Anwalt betonte, dass der Platz von Rajoy laut Gerichtsordnung ausschließlich Richtern und Anwälten zustehe, und Rajoy nicht als Ministerpräsident geladen sei, sondern nur als einfacher Zeuge. Genutzt hat der Einwand nichts. Rajoy behielt den priviligierten Platz.
Bei der Befragung selbst präsentierte sich Mariano Rajoy ahnungslos. Auf die Frage, ob er sich um die Finanzen der Partei gekümmert habe, antwortete Rajoy, er habe sich ausschließlich um politische Belange gekümmert und nichts anderes.
Ob er über Wahlkampagnen bescheid wisse, die laut dem angeklagten Ex-Schatzmeister Luís Bárcenas mit Schwarzgeld bezahlt worden seien (Minute 12:55-13:11), antwortete Rajoy, er wisse davon nichts und hätte schon mehrfach erklärt, er kümmere sich ausschließlich um politische Angelegenheiten.
Als Rajoy mit einer Einlassung von Bárcenas konfrontiert wird, der im Juli 2013 ausgesagt haben soll, dass unter den Empfängern der Schwarzgelder auch der Ministerpräsident, der Generalsekretär und dessen zwei Stellvertreter gewesen seien, springt Rajoy der vorsitzende Richter zur Seite und erklärt die Frage für unzulässig (Minute 13:14-13:35).
Die heikle Frage, nämlich ob Rajoy jemals selbst Bargeld vom Schatzmeister bekommen habe, ging durch und wurde von Rajoy verneint.
Der Richter wirkte zunehmend ungehalten und drängte den befragenden Anwalt dazu, seine Fragen schneller abzuarbeiten. Die Tempoverschärfung änderte nichts an Rajoys Antworten: Er will von nichts gewusst haben.
Auffallend oft suchte Rajoy den Blickkontakt mit dem Publikum, so als könne er dort für seine Antworten Zustimmung finden. Aufseiten der Anwaltschaft fand er sie nicht. Seine Antworten gegenüber den Vertretern der Nebenkläger und der Staatsanwaltschaft, so warf es ihm zumindest einer der befragenden Anwälte vor, seien durch Unverschämtheit gekennzeichnet.
Am Ende der Befragung waren alle Beteiligten so schlau wie vorher, was nicht überrascht. Wer hätte auch erwartet, dass sich der spanische Ministerpräsident durch eine Aussage selbst belastet und vielleicht sogar einräumt, Schwarzgelder angenommen zu haben?
Misstrauensantrag gegen Rajoy?
Seit Jahren wird Spanien von Korruptionsskandalen erschüttert in die Angehörige der Partido Popular und Eliten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verstrickt sind. Selbst die Königsfamilie hat ihre Korruptionsaffäre: Im Fall Nóos fanden sich die Schwester des spanischen Königs Felipe VI., Cristina de Borbón und ihr Ehemann Iñaki Urdangarín auf der Anklagebank wieder. Es ging um Betrug, Veruntreuung und Steuervergehen in Millionenhöhe.
Der Fall Gürtel könnte sich als Stolperstein für die PP herauskristallisieren. Deren Führungsetage hat den Bogen nicht nur politisch, sondern auch moralisch überspannt. Denn es sind offensichtlich keine Einzelfälle von Korruption, wie immer wieder seitens der PP zu hören war, sondern korrupte Strukturen, die sich durch alle Ebenen der Partei ziehen: Ein Krebsleiden, dessen Metastasen sich im ganzen Land ausgebreitet und festgesetzt haben.
Die Reaktionen auf Rajoys Zeugenaussage ließen folglich nicht lange auf sich warten. Pablo Iglesias, Chef des linken Oppositionsbündnisses Unidos Podemos, sagte, es sei an der Zeit, die PP aus der Regierung zu entfernen. Dazu wolle er sich mit dem Generalsekretär der spanische Sozialisten Pedro Sánchez treffen, um ein gemeinsames Vorgehen abzusprechen. Im Raum steht eine Anhörung Rajoys vor einem parlamentarischen Ausschuss und ein Misstrauensantrag.