Ein neuer Report des Toxikologen Peter Clausing legt nahe, dass der Unkrautvernichter Glyphosat nach geltenden EU-Standards als „wahrscheinlich krebserregend“ hätte eingestuft werden müssen. Aber offenbar wurden Belege für die krebserregende Wirkung von EU-Kontrollbehörden missachtet.
Der Unkrautvernichter Glyphosat steht im Verdacht, Krebs zu erregen. Die Zulassung läuft in der Europäischen Union aus. Lobbisten versuchen, ein Verbot zu verhindern. Robert Manoutschehri berichtet über manipulierte Studien und gekaufte Wissenschaft.
Ein neuer Report „Glyphosat & Krebs“ enthüllt systematischen Regelbruch durch Behörden sowie Tricks und Lobbyarbeit von Monsanto, um das gefährliche Pestizid vor einem Verbot zu retten.
Laut EU-Pestizidverordnung dürfen Wirkstoffe nicht mehr vermarktet werden, wenn sie Krebs hervorrufen oder das Erbgut schädigen können. Dass der bereits seit Jahren in Landwirtschaft und Garten verwendete Unkrautvernichter Glyphosat schwere Augenschäden hervorrufen kann, lang anhaltend giftig für das gesamte Wasserökosystem sowie für Bienen und andere Pflanzenbestäuber ist, reicht für ein Verbot offenbar nicht aus.
Mit einem Gutachten der europäischen Chemikalienagentur ECHA von März 2017 wurde das Pestizid – für viele wider erwarten – für „nicht krebserregend“ befunden und könnte am 19. Juli, wenn die EU über eine Wiederzulassung berät, erneut freigegeben werden.
Ein neuer Report des Toxikologen Peter Clausing legt nun aber nahe, dass Glyphosat nach den geltenden EU-Standards eigentlich doch als „wahrscheinlich krebserregend“ hätte eingestuft werden müssen. Denn offenbar wurden Belege für die krebserregende Wirkung von den EU-Kontrollbehörden EFSA und ECHA missachtet und Richtlinien für die wissenschaftliche Bewertung grob verletzt.
Kontrollbehörden verlassen sich blind auf Studien der Hersteller
Monsanto als Hersteller des bekanntesten glyphosathaltigen Produkts „Roundup“ verweist gerne auf „die überwältigende Faktenlage“ zahlreicher Studien, doch die Autoren der industriefinanzierten Arbeiten haben massive Interessenskonflikte mit der Chemieindustrie. So waren zwölf der 16 Mitglieder des Gremiums bereits als Berater für Monsanto tätig oder angestellt, wie Clausing aufdeckt.
Ein weiteres Beispiel des Autors: Nachdem die Krebsforschungsagentur IARC (International Agency for Research on Cancer) in vier Hersteller-Studien „ausreichende Beweise für eine krebserregende Wirkung“ von Glyphosat fand, in denen das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) zuvor keine Hinweise für eine Krebswirkung erkennen konnte, erhielt das BfR den Auftrag, die Bewertungen der IARC zu evaluieren.
In der Folge musste das BfR die von der IARC festgestellten statistisch signifikanten Tumorbefunde in allen vier Studien bestätigen. Auch in den übrigen drei Mausstudien der Hersteller musste die Behörde statistisch signifikante und dosisabhängige Zunahmen von Tumoren zugeben, die sie vorher anscheinend „übersehen“ hatte. Die Behörde räumte ein, sie habe „ursprünglich auf die statistischen Auswertungen vertraut, die mit den Studien der Hersteller mitgeliefert wurden“.
Nach „Gekaufte Wissenschaft“ ist dies nun der zweite Glyphosat-Report von GLOBAL 2000, der die Chemie-Industrie und Kontrollbehörden beschuldigt, wissenschaftliche Standards zu verletzten und Publikationen zu manipulieren, um das Pestizid Glyphosat vor einem Verbot in der EU zu retten.
Der Biochemiker Helmut Burtscher, der den Report neben Rechtsanwalt Dr. Josef Unterweger auf einer Pressekonferenz am Donnerstag vorstellte, ergänzt mit der Warnung:
Krebs ist die häufigste Todesursache unter den dreißig- bis siebzigjährigen Österreicherinnen. Die Massivität, mit der EU-Regulierungsbehörden Gesetze zum Schutz vor krebserregenden Chemikalien verletzen, ist der beste Garant dafür, dass sich an dieser traurigen Bilanz auch in Zukunft nichts ändern wird. Es sei denn, die Politik schiebt dem einen Riegel vor. Die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten dürfen dem fehlerhaften Urteil der Behörden nicht folgen. Sie müssen das in der EU geltende Vorsorgeprinzip anwenden und ein Verbot von Glyphosat durchsetzen.
Schwere Kritik und Bedenken aus vielen Lagern
Während sich etwa die „Industrie Gruppe Pflanzenschutz“, die sich laut Eigenbeschreibung „offene und sachliche Information“ auf die Fahne heftet, mit ebenso faktenbefreiter wie untergriffiger Leugnung und (laut eigenem Jargon) „Anpatzversuchen“ in Presseaussendungen gegen die Anschuldigungen wehrt, sprachen sich NGOs, Interessensvertretungen und selbst die österreichische Lebensmittelbehörde für ein künftiges Verbot von Glyphosat aus.
„Substanzen, die unsere Gesundheit, aber auch unsere Umwelt massiv gefährden und schädigen, haben auf dem Acker nichts verloren. Ein Verbot von Glyphosat ist alternativlos“, betonte etwa der Bundesgeschäftsführer der SPÖ-Bauern.
Die EU-Gesundheitsspecherin der SPÖ weist darauf hin, dass bereits 1,3 Millionen Menschen die Petition der Europäischen Bürgerinitative für ein Verbot von Glyphosat unterschrieben hätten – ein starkes Signal, dass die EU-Kommission nicht ignorieren sollte.
Auch die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) stellt fest, dass „Forderungen zum Schutz der Umwelt und Vielfalt von der EU-Kommission nicht ausreichend berücksichtigt wurden“ und formulert diese nochmals klar: Sikkation (Anm.: Austrocknung) zur Vorerntebehandlung in Getreide sollte nicht mehr möglich sein.
Im Sinne des Vorsorgeprinzips sollte die Anwendung von Glyphosat im Haus- und Kleingartenbereich („Nicht-professioneller Anwender“) möglichst eingeschränkt werden. Im Falle einer Erneuerung der Zulassung sollte besonderes Augenmerk auf den Schutz des Grundwassers gelegt und EU-weite Auflagen zur Wahrung der Biodiversität inklusive risikominimierende Maßnahmen getroffen werden.
Auch müsste gewährleistet sein, dass alle wissenschaftlich validen Erkenntnisse in Zusammenhang mit Glyphosat in der aktuellen Bewertung berücksichtigt wurden und in eine eventuelle Erneuerungsentscheidung eingeflossen seien.
Die Auswirkungen von Glyphosat in Argentinien
Welche katastrohalen Auswirkungen der langfristige Einsatz von Chemikalien wie zum Beispiel Glyphosat in der Landwirtschaft auf die Natur und den Menschen hat, zeigt die Journalistin Gaby Weber in ihrer Dokumentation „Tödliche Agri Kultur – Wie Monsanto die Welt vergiftet“ am Beispiel Argentiniens auf.
Vor wenigen Tagen setzte die Behörde für Gesundheit und Umwelt in Kalifornien Glyphosat auf eine Liste, auf der Chemikalien aufgeführt sind, die krebserregend sein können. Der Konzern Monsanto will gegen die Entscheidung vorgehen.
Ist Deine Stadt schon frei von Gylphosat? schau nach! Greenpeace bietet für Österreich einen Gemeinde-Check an.
Robert Manoutschehri ist Fotograf, Journalist, Texter und Grafikdesigner aus Österreicher. Er engagiert sich ehrenamtlich für zahlreiche Bürgerinitiativen und NGO’s. Er lebt in Wien.